• Emilie
  • Staatstheater Mainz
  • Oper von Kaija Saariaho - Saison 2023/24
  • S. 21-22

Frau Doktor

Text: Sonja Westerbeck

In: Emilie, Oper von Kaija Saariaho - Saison 2023/24, Staatstheater Mainz, S. 21-22 [Programmheft]

Die Grenzen des Wissens wurden häufig gegen alle Widerstände der Gesellschaft verschoben. Die Menschen, die dies bewirken konnten, erfuhren diesen Widerstand oft auch in ihrem direkten Umfeld. Sie alle haben / hatten viel Kraft und Durchhaltevermögen, aber wohl vor allem auch Begeisterung für die Sache und Freude am Denken, – und meist klare Ziele vor Augen, was es zu entdecken und erringen galt.

Frauen stellen innerhalb dieser Gruppe durchaus immer noch Außenseiterinnen dar, die meist zu Lebzeiten keine große Unterstützung erhielten; sie sind Minderheiten im – immer noch je nach Fachbereich berwiegend – Wissenschaftsbetrieb – und dennoch durch das Hinterlassen großer Werke, um die man nicht umhinkommt, nicht unsichtbar.

Ein lediglich ausschnittartiger und doch exemplarischer Blick auf die Geschichte der Bildungsmöglichkeiten von Frauen beschreibt Abhängigkeiten von sozialer Stellung und familiären Strukturen – wurden sie von den Eltern gefördert und bekamen gezielten Unterricht? – , handelt aber auch von ausdauernder Streitbarkeit – und von Glück.

Frauen konnten in Deutschland erst ab 1900 – zunächst nur in Heidelberg und Freiburg – ganz regulär studieren, erst 1977 wurde das Recht abgeschafft, dass der Ehemann bestimmen durfte, ob die Erwerbstätigkeit der Frau mit den ehelichen und familiären Pflichten vereinbar sei.

Wer war eigentlich die erste Frau Doktor?

Ob die 1646 in Venedig geborene Elena Lucrezia Cornaro Piscopia auch Sticken lernte und wie sie ihrem künftigen Ehemann das Leben angenehm machte, darüber gibt es keine Quellen. Überliefert ist, dass sie früh in Latein und Griechisch unterrichtet wurde, später auch in Hebräisch und Arabisch, wohl, weil ihr Vater die Talente seiner Tochter sah und sie nicht an eine übliche Erziehung „verschwenden“ wollte. Elena Piscopia widmete sich zunächst statt einem Ehemann der Wissenschaft.

1677 dann die Sensation: Piscopia nahm es in einem Disput mit den Gelehrten der Universität Padua auf. Ihr Philosophie-Professor Carlo Rinaldini plädierte dafür, ihr eine Auszeichnung zu verleihen, die nie zuvor einer Frau zuteilgeworden war: den Doktortitel. Piscopia hätte sich einer theologischen Lehrbefugnis für würdig erwiesen, so Rinaldini. Für den Bischof von Padua war das ein Ding der Unmöglichkeit. Heißt es doch im Korintherbrief, die Frau schweige in der Gemeinde. Die katholische Kirche schlug Piscopia vor, stattdessen in Philosophie zu promovieren. Sie nahm an. Am 25. Juni 1678 bestand sie ihr Promotionskolloquium mit Bravour – und erhielt als erste Frau der Welt den Doktorgrad. (Die erste nachweisbare Verleihung eines Doktorgrades fand 1219 in Bologna nach Bestätigung der dortigen Promotionsordnung durch Papst Honorius III. statt; das erste Doktordiplom einer Universität im Heiligen Römischen Reich wurde am 12. Juni 1359 an der Karls-Universität in Prag verliehen.)

Bevor Frau Dr. Piscopia mit 38 Jahren starb, hielt sie Vorlesungen und schrieb Abhandlungen. Was sie wohl davon halten würde, dass das „Schweigegebot“ nicht nur theoretisch bis heute besteht?

Und in Deutschland?

Die 39-jährige Dorothea Erxleben aus Quedlinburg besteht als erste Frau in Deutschland am 6. Mai 1754 an der Universität Halle an der Saale ihre akademische Prüfung.

Als im Jahr 1740 der junge Friedrich II. an die Macht kam und unter anderem die Folter abschaffte, wehte das Versprechen von Veränderung durch Preußen. Die 25jährige Dorothea beschloss, ihr Glück zu versuchen, und erbat beim neuen König die Erlaubnis, endlich zusammen mit einem ihrer Brüder an einer Universität studieren zu dürfen. Ein halbes Jahr später wurde ihrer Bitte tatsächlich stattgegeben. Sie wurde an der Universität in Halle zum Studium zugelassen.

Doch zum Studium kam es nie. Zum einen, weil ihr Bruder in den Krieg ziehen musste, ohne den Dorothea keinen Zugang zu den Vorlesungen erhielt. Zum anderen aufgrund ihrer Vermählung mit dem Witwer, fünffachen Vater und Diakon Johann Christian Erxleben. Sie bekamen vier gemeinsame Kinder, sodass auf Dorothea neben ihrem autodidaktischen Studium und der Behandlung von Patienten auch in ihrem Zuhause eine Vielzahl an Pflichten und Aufgaben warteten. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, weiterhin als Ärztin in der väterlichen Praxis zu arbeiten. Da sie aber kein formelles Medizinstudium durchlaufen hatte, wurde sie von ihren Kollegen als Dilettantin bezeichnet. Dagegen wehrte sie sich mit der Streitschrift: „Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten“.

Sie verwies erneut auf die königliche Erlaubnis zur Promotion. Der darauffolgenden Aufforderung, diese nachzuholen, kam sie mit dem Einreichen ihrer Doktorarbeit nach.

Im Juni 1754 erlangte Dorothea Erxleben als erste Frau in Deutschland die medizinische Doktorwürde – mit Bestnote. In ihrer Doktorarbeit plädierte sie für sanfte Medizin mit Wickeln, Kräutern und die Unterstützung der körpereigenen Abwehr. Außerdem kritisierte sie teure „Modemedikamente”, die viele ihrer Kritiker einsetzten. Sie war somit nicht nur die erste und einzige Frau in der Ärzteschaft, sondern vertrat auch einen konträren Ansatz zu dem damaligen allgemeinen Trend in der Medizin. Bis zu ihrem frühen Tod im Alter von gerade einmal 46 Jahren praktizierte Dorothea Erxleben offiziell als Ärztin und genoss dabei hohes Ansehen.

 

PDF-Download

Artikelliste dieser Ausgabe