• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • September / Oktober 2024
  • S. 8-9

Vom Taunus in die Mark Brandenburg und zurück

Text: Mareike Wink

In: Magazin, September / Oktober 2024, Oper Frankfurt, S. 8-9 [Publikumszeitschrift]

Wer die A 661 Richtung Bad Homburg verlässt, mag sich kaum darüber bewusst sein, dass er auf den Pfaden jenes Prinzen unterwegs ist, der durch Kleists Schauspiel als »Held von Fehrbellin« Berühmtheit erlangte. Ihm verdankt die Stadt am Taunus mit dem 1680 begonnenen Schlossbau die erste frühbarocke Residenzanlage nach dem Dreißigjährigen Krieg sowie eine längere Zeit des Wohlstands. Kein Wunder, dass »unser Prinz«, wie er dort noch immer genannt wird, die Schlossbesucher*innen aus den steinernen Augenpaaren diverser Büsten und Statuen anblickt ...


Ein echter Haudegen

Geboren 1633 als siebtes und letztes Kind des Landgrafen Friedrich I. von Hessen-Homburg, rangierte Friedrich jun. in der Erbfolge auf den hinteren Plätzen. Seine Ambitionen fokussierten sich auf eine militärische Karriere auf den Schlachtfeldern Europas. Bald erwarb er Ländereien in Brandenburg, freundete sich mit dem dortigen Kurfürsten Friedrich Wilhelm an und nahm dessen Nichte Luise Elisabeth von Kurland zu seiner (zweiten) Ehefrau.

Als Kommandeur der brandenburgischen Kavallerie kämpfte er nach diversen Gefechten schließlich in der Schlacht bei Fehrbellin im Juni 1675 gegen die Schweden. Während man Friedrich Wilhelm von Brandenburg nach dem Sieg bei Fehrbellin auch den »Großen Kurfürsten« nannte, ging recht schnell die Rede, dass erst das eigenmächtige Handeln des ihm unterstellten Prinzen diesen Triumph ermöglicht hätte. Preußens König Friedrich der Große höchstpersönlich wird davon ein Jahrhundert später in seinen Memoiren berichten – eine der Quellen, aus denen Heinrich von Kleist 1809/10 für sein Schauspiel schöpfte.


Kleist – Visconti – Bachmann – Henze

Kleists Drama wurde über die Jahrhunderte immer wieder umgedeutet und mit der Akzentuierung einer nationalistischen Ebene auch ideologisch vereinnahmt – nicht zuletzt als »Heldenstück« im Dritten Reich.

Luchino Visconti war es, der seinem Freund Hans Werner Henze das Kleist’sche Sujet ans Herz legte, weil es »das glänzendste und bravouröseste deutsche Theaterstück ist und sehr viele opernhafte Elemente hat, die das Schauspiel gar nicht einmal realisieren kann«. Der Komponist reagierte jedoch zunächst verhalten. Visconti, der 1956 bereits Henzes Ballett Maratona di danza inszeniert hatte, drohte daraufhin sogar, ihm die Freundschaft zu kündigen, wenn er das Werk nicht angehe.

Gemeinsam mit Ingeborg Bachmann, die Henze bei einer Tagung der Gruppe 47 kennengelernt hatte, nahm er sich des Vorhabens schließlich an. Eigentlich hätte Visconti selbst bei der Hamburger Uraufführung der Homburg-Oper im Jahr 1960 Regie führen sollen. Weil die Dreharbeiten zu seinem Film Rocco e i suoi fratelli aber länger dauerten als erwartet, musste er kurz vor Probenbeginn absagen, was Henze empfindlich traf. Helmut Käutner übernahm.


»Das muss schärfer werden«

Bachmann hatte den Dramentext etwas gekürzt, die fünf Akte auf drei zusammengezogen und an einigen wenigen Stellen auch Text ergänzt. So waren die opernwirksamen Gegensätze des Sujets geschärft worden – nicht nur im Antagonismus von Traum und Wirklichkeit, sondern auch in der Zuordnung der Figuren zu einer der beiden Sphären. Der Konflikt zwischen Homburg und dem Kurfürsten erscheint durch diese Zuspitzung noch heftiger. Das Libretto akzentuiert dabei die Perspektive des Protagonisten, u.a. auch, weil dem Kurfürsten ein längerer Monolog aus Kleist’scher Feder gestrichen worden war.

An die intensive Zusammenarbeit mit Ingeborg Bachmann, die mit Henze längst freundschaftlich verbunden war, erinnert sich der Komponist später: »Als ich den Homburg zu komponieren an fing, war sie meine Lehrerin: ›Das muss schärfer werden, das muss … versuch’s nochmal.‹ Wie ein braver Schuljunge bin ich dann in mein Zimmer zurück und habe einen neuen Versuch gestartet und ihr dann vorgespielt. Noch immer nicht schneidend genug! Erst der dritte Versuch wurde ›naja‹ angenommen. Der erste Akkord stammt richtiggehend aus der Feder von Frau Dr. Bachmann.«


»All das könnte auch heute sein«

Bereits in den Eröffnungsklängen seiner Partitur für großes Kammerorchester etabliert Henze die Sphäre des Protagonisten als eine des Traumes, die sich sanglich und traditionsverbunden darstellt, und durch Mischklänge seltsam unscharf flimmert. Die durchstrukturierte Welt der herrschenden Ordnung, die Henze mitunter zwölftönig gestaltet und seriell ausarbeitet, steht dazu in klarem Kontrast.

Umso deutlicher stellt die Oper die Frage nach dem Platz, der dem Träumenden in einer von Gesetzen reglementierten Gesellschaft zugestanden wird, und nach der gesellschaftlichen Anerkennung des Außenseiters. Mit der Zurücknahme des historischen Kontextes und der politischen Bezüge verschieben Bachmann und Henze – ganz Kinder ihrer Zeit – den inhaltlichen Akzent des Stoffes hin zum allgemein Menschlichen, vom historisch Festgelegten hin zum Überzeitlichen. Henze resümiert später: »Mir scheint, das Werk ist schon von vornherein vom Preußentum abstrahiert. Doch die Spannung zwischen dem Sein eines Einzelnen und der Staatsräson, Fragen der Missachtung von Gesetz und Ordnung, das Zittern eines Menschen vor der Gewalt der herrschenden Macht, der Mut, sich ihr zu widersetzen – all das könnte auch heute und hätte vor tausend oder zweitausend Jahren sein können.«

 



DER PRINZ VON HOMBURG
Hans Werner Henze 1926–2012

Oper in drei Akten / Text von Ingeborg Bachmann nach Heinrich von Kleist / Uraufführung 1960, Hamburgische Staatsoper / In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

PREMIERE Sonntag, 22. September
VORSTELLUNGEN 28. September / 5., 12., 19., 25. Oktober / 2. November

MUSIKALISCHE LEITUNG Takeshi Moriuchi
INSZENIERUNG Jens-Daniel Herzog
BÜHNENBILD, KOSTÜME Johannes Schütz
LICHT Joachim Klein
DRAMATURGIE Mareike Wink

PRINZ VON HOMBURG Domen Križaj KURFÜRST VON BRANDENBURG Yves Saelens PRINZESSIN NATALIE Magdalena Hinterdobler GRAF HOHENZOLLERN Magnus Dietrich KURFÜRSTIN Annette Schönmüller FELDMARSCHALL DÖRFLING Iain MacNeil OBRIST KOTTWITZ Sebastian Geyer DREI OFFIZIERE Andrew Kim°, Božidar Smiljanić, Alfred Reiter WACHT- MEISTER Jarrett Porter DREI HOFDAMEN Juanita Lascarro, Cecelia Hall, Judita Nagyová ERSTER HEIDUCK Istvan Balota ZWEITER HEIDUCK Leon Tchakachow

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