• Die Zauberflöte
  • Staatstheater Nürnberg
  • Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Saison 2024/25
  • S. 7-9

Eine Feier der Sinnlichkeit

Text: Goyo Montero

In: Die Zauberflöte, Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Saison 2024/25, Staatstheater Nürnberg, S. 7-9 [Programmheft]

Für mich erzählt „Die Zauberflöte“ die Reise eines jungen Menschen aus der tiefsten Verzweiflung zurück zu sich selbst. Wir zeigen Taminos Geschichte in der Ouvertüre: Er ist in ein Koma gefallen, vielleicht nach einem Unfall oder einer Überdosis. Das ganze Stück spielt in seiner Vorstellung, er fällt durch Zeit und Raum. Träume, Halluzinationen, Albträume legen sich in mehreren Schichten übereinander, bis er am Ende Erleuchtung und Vollendung findet. In der Bildnisarie verliebt er sich in sein eigenes Bild, er sieht sich selbst im Spiegel in Pamina, die seine weibliche Seite ist, seine Doppelgängerin.

Er/sie muss die verschiedenen Seiten seines Wesens wieder zu einem Ganzen zusammenfügen, muss alle seine Teile akzeptieren, um ein gutes Leben führen zu können. In den Proben habe ich die beiden Pamino und Tamina genannt, weil sie für mich letztlich nur eine Figur sind. Sie sind in einem Labyrinth wie von Escher, in einer Vision wie von Kubrick. Sarastro und die Königin der Nacht begleiten diese Figur als väterliches und mütterliches Prinzip, mit allen Schwächen. Sarastro ist nicht nur gut, er nervt auch und tritt autoritär auf. Und die Königin ist nicht nur böse, sie kann nur nicht mit ihren negativen Emotionen umgehen. Die Figuren sind alle auf Gegensätzen aufgebaut, trotzdem sind sie nicht eindeutig. Das macht dieses Stück so interessant.

Papageno ist für mich ein kleiner Teufel in dieser fantastischen Welt, ein lockerer Typ, ein Master of Ceremony. Am Anfang ist er ein Nihilist, der nur den eigenen Vorteil sucht. Weil er Taminos Reise mitmacht, gelangt er zu einer spirituellen Erkenntnis und findet seine andere Hälfte, er findet Erlösung. Anders als Monostatos: Er ist für mich die sexuelle Seite von Tamino. Er kann sich einfach nicht beherrschen.

Wir haben in den Dialogen alles weµelassen, was nicht notwendig ist, um das Stück zu erzählen. Es soll eine schnelle Folge von Szenen sein, die voller Spannung ist und die keine Längen haben darf. Es ist alles drin, Humor, Entertainment, aber auch Liebe, tiefe spirituelle Themen, Gewalt, Vergewaltigung, sexuelle Gier. Schließlich gibt es ein Happy End: Tamino und Pamina gehen in ihren Körper zurück, die Prinzipien des Lichts und der Nacht versöhnen sich. Niemand wird am Ende zurückgelassen, alle haben Teil an der positiven Energie. Das Gleichgewicht ist wieder hergestellt.

Ich habe mich sehr lange mit der „Zauberflöte“ beschäftigt, ich wollte die Texte und die Partitur in- und auswendig kennen, bevor ich mit den Proben beginne. Ich weiß, wie wichtig und wie beliebt dieses Stück ist. Man kann meine Inszenierung ganz klassisch anschauen, weil sie aus meinem großen Respekt vor dieser Oper entstanden ist. Aber man kann sich auch auf die Fragen einlassen, die wir uns gestellt haben: Wer sind wir? Was wollen wir vom Leben? Es ist vielleicht nicht die normale, erwartbare „Zauberflöte“, aber Theater ist auch nicht interessant, wenn man nur kriegt, was man erwartet. Meine „Zauberflöte“ will populär sein, aber auch tief und bewegend. Es gibt so viele Ebenen in diesem Stück, dass eine einzige Inszenierung sie gar nicht offenlegen kann. Deshalb ist meine „Zauberflöte“ zugleich aus dem Herzen und aus dem Kopf geboren. Bühnenbild und Kostüme sind aus Mozarts Symbolismus entstanden, das Chiaroscuro des Licht-Designs, die beweglichen schwarzen Bühnenelemente, die mit den sehr farbigen, sehr suµestiven Kostümen kontrastieren. Es ist eine große Feier der Sinnlichkeit: Musik und Tanz in einem schwarzen Raum, in den Farben geworfen werden, eine expressionistische Ästhetik.

Ich spiele auch mit den musikalischen Symbolen. In meiner Interpretation ist die Zauberflöte kein Musikinstrument, kein Gegenstand, sondern eine Gabe, die es dir ermöglicht, dein Gleichgewicht und dein wahres Ich zu finden. Papagenos Glockenspiel dagegen erzeugt starke Brüche und steht dadurch für die positiven wie für die negativen Aspekte der Aufklärung.

Schließlich wollte ich auch alle künstlerischen Mittel des Tanzes integrieren, ohne die Aufführung damit zu überladen. Der Tanz wird ins Gewebe der Erzählung und in alle Charaktere eingeflochten, von den Solist*innen über die Chorist*innen und die Statist*innen. Wir haben uns auf eine besondere, verrückte Reise gemacht. Alle waren gut vorbereitet und haben sich dann dem Stück noch einmal ganz intuitiv genähert. Wir haben uns das Stück finden lassen, das Stück hat sich dabei auch selbst gefunden. Viele mussten Dinge versuchen, die sie normaler weisenicht machen, und haben es mit Spaß und Gewinn und großer Offenheit getan. Wir haben viel gelacht auf den Proben, weil Humor so zentral ist bei Mozart. Diese Inszenierung ist entstanden aus gegenseitigem Respekt, aus Liebe, aus der Suche nach der Bedeutung dieses Stücks. Es war für mich ein wunderbares Opern-Debüt, ich habe viel gegeben und viel gelernt.

PDF-Download

Artikelliste dieser Ausgabe