• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • November / Dezember 2024
  • S. 18-19

Die Gier nach Macht

Text: Konrad Kuhn

In: Magazin, November / Dezember 2024, Oper Frankfurt, S. 18-19 [Publikumszeitschrift]

Von 1005 bis 1057 lebte in Schottland ein sagenhafter Heerführer namens Macbeth, der es durch Mord zum König brachte. Die Chronik des Raphael Holinshed aus dem 16. Jahrhundert berichtet davon. Diese Geschichte griff William Shakespeare auf und machte sein vermutlich 1606 vor König James uraufgeführtes Drama daraus. Darin treten drei »weird sisters« auf: drei seltsame Schwestern, die dem General suggerieren, er werde König von Schottland werden. Seinem Freund Banquo prophezeien sie, sein Geschlecht werde über viele Generationen herrschen.


Seltsame Schwestern

Man kann diese Szene mit dem Hexenglauben der Zeit in Verbindung bringen und die »weird sisters« als Verkörperung übernatürlicher Kräfte betrachten. Man kann sie aber auch als Ausdruck der Sehnsüchte, Ängste und Begierden Macbeths verstehen; was sie ihm »weissagen«, hat immer schon in ihm geschlummert und tritt nun zutage. Verdrängte Gedanken erwachen: Ist der Weg zur Macht nicht stets mit Verbrechen gepflastert?

Zur treibenden Kraft wird Lady Macbeth. Sie drängt ihren zögernden Mann, seine Skrupel zu überwinden und den alternden König Duncan, der gerade zu Gast ist, in der Nacht zu töten. Anschließend beschmiert sie selbst Duncans Diener mit Blut, um den Verdacht auf sie zu lenken. Der Weg nach ganz oben ist frei. Doch wer soll einmal den Lohn der bösen Tat ernten? Das Paar hat keine Kinder. Banquos Nachkommen hingegen ist der Thron verheißen. Wiederum angestachelt von der Lady, gibt Macbeth einen weiteren Mord in Auftrag, dem sein Kriegskamerad und Freund Banquo zum Opfer fällt – nicht jedoch dessen Sohn, der fliehen kann. Von seinem Gewissen verfolgt, fängt Macbeth an, Gespenster zu sehen. Mit Mühe versucht die Lady, die Aussetzer ihres Mannes beim Festmahl zu überspielen.

Schließlich sucht Macbeth erneut Rat bei den »Hexen«. Mit zweideutigen Sprüchen und Erscheinungen wiegen sie ihn in Sicherheit: Kein Mann, »von einem Weib geboren«, könne ihm gefährlich werden. Er sei unbesiegbar, solange nicht »der Wald von Birnam gegen Dunsinane«, seinen Herrschaftssitz, »vorrückt«. Als Nachfolger auf dem Thron aber verweisen sie wieder auf Banquos Nachkommen: Ihnen gehört die Zukunft.


Schuldgefühle

Lady Macbeth, die ihren Mann zu Beginn zu immer weiteren Morden verleitet hat, wird so heftig von ihren Schuldgefühlen heimgesucht, dass sie darüber den Verstand verliert: In der berühmten Schlafwandelszene versucht sie immer wieder, sich von einem imaginären Fleck rein zu waschen. Entsetzt werden ihre Kammerfrau und ein Arzt Zeuge, wie sie im Schlaf all ihre Verbrechen preisgibt. Am Ende wird Macbeth von Macduff, dessen gesamte Familie er ausgelöscht hat, getötet: Dieser war nicht auf natürliche Weise zur Welt gekommen, sondern, wie er selbst sagt, »aus dem Leib der Mutter geschnitten« worden. Die Angreifer tarnen sich mit Zweigen, die sie im Wald von Birnam abgeschnitten haben; so erweist sich auch diese Prophezeiung als tückisch: Der Wald rückt scheinbar gegen Dunsinane vor.

Regisseur R.B. Schlather, der nach Werken von Händel, Cimarosa und Puccini seine vierte Inszenierung an der Oper Frankfurt erarbeitet, legt den Fokus ganz auf die beiden Hauptfiguren. Im häuslichen Rahmen rund um das kinderlose, mörderische Paar werden Mechanismen gewaltsamer Herrschaft erkennbar, die sich im großen Maßstab wiederfinden lassen: Weltpolitik spiegelt sich im Privaten. Aus dieser Perspektive erscheint die Geschichte um den mittelalterlichen schottischen Despoten erschreckend aktuell.


Experimentelle Partitur

Für Giuseppe Verdi war William Shakespeare, neben Friedrich Schiller, das große Vorbild. Den Plan, den King Lear zu vertonen, hat er nie umgesetzt. Erst am Ende seines Lebens wandte er sich mit seinen letzten beiden Opern – Otello (1887) und Falstaff (1893) – nochmals dem elisabethanischen Dichter zu. Einen frühen Wendepunkt in Verdis Schaffen markiert jedoch sein Macbeth. Die 1847 entstandene, in vielen Teilen experimentelle Partitur sprengt die Fesseln der bis dahin respektierten Form. Anstatt den Stoff wie üblich für die Opernbühne zuzuschneiden, passte der Komponist die musikalische Form dem Drama an, dem er möglichst genau zu entsprechen versuchte. Daraus entstand ein packendes Stück Musiktheater von düsterer Färbung. 1865 überarbeitete Verdi das Werk für eine Aufführung am Théâtre lyrique in Paris und gab ihm seine endgültige Form. In dieser Fassung kommt die Oper nun unter der Leitung unseres Generalmusikdirektors Thomas Guggeis zur Aufführung.

 

MACBETH
Giuseppe Verdi 1813-1901

Oper in vier Akten / Text von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei nach William Shakespeare / Uraufführung 1847, Teatro della Pergola, Florenz / In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

PREMIERE Sonntag, 1. Dezember
VORSTELLUNGEN 5., 7., 18., 22., 29. Dezember / 1., 4., 12., 17. Januar / 1. Februar

MUSIKALISCHE LEITUNG Thomas Guggeis / Simone Di Felice INSZENIERUNG R.B. Schlather BÜHNENBILD Etienne Pluss KOSTÜME Doey Lüthi CHOREOGRAFIE Gal Fefferman LICHT Olaf Winter CHOR Manuel Pujol DRAMATURGIE Konrad Kuhn

MACBETH Nicholas Brownlee / Domen Križaj BANQUO Kihwan Sim / Andreas Bauer Kanabas LADY MACBETH Tamara Wilson MACDUFF Matteo Lippi KAMMER- FRAU DER LADY Karolina Bengtsson MALCOLM Kudaibergen Abildin ARZT Erik van Heyningen DIENER / MÖRDER / HEROLD Morgan-Andrew King°

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