• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • November / Dezember 2024
  • S. 38

Die Oper Frankfurt trauert um Christof Nel, 1944-2024

Abschiedsgedanken

Text: Olaf Winter

In: Magazin, November / Dezember 2024, Oper Frankfurt, S. 38 [Publikumszeitschrift]

Drei Jahrzehnte war der Regisseur Christof Nel eng mit der Oper Frankfurt verbunden. Seine elf Inszenierungen von 1983 bis 2011 prägten die Geschichte des Hauses. Bereits in der Gielen-Ära debütierte der damals 39-Jährige mit Webers Der Freischütz. Mitte der 1980er Jahre machte er mit zwei Produktionen (Falstaff, Die verkaufte Braut) auf sich aufmerksam, und 1993 folgte mit Die Meistersinger von Nürnberg eine weitere, wichtige Interpretation, die er 2006 selbst überarbeitete. Auch seine späteren Inszenierungen an der Oper Frankfurt, Salome (1999), Madama Butterfly (2001), Die Frau ohne Schatten (2003), Tristan und Isolde (2003), Parsifal (2006), die Frankfurter Fassung von Simplicius Simplicissimus (2009) und Sallinens Kullervo zeigten ihn auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Diese Periode war durch die intensive Zusammenarbeit mit Martina Jochem geprägt. Ihre gemeinsamen psychoanalytischen Annäherungen ans Opernrepertoire führten zu einer einzigartigen, theatralischen Intensität.

Zur Bandbreite der Musiktheaterinszenierungen von Christof Nel zählen auch Uraufführungen, darunter Rolf Riehms Das Schweigen der Sirenen in Stuttgart und Mauricio Kagels TheaterKonzert in Duisburg. Anfänglich Schauspieler, begann Christof Nel 1974 in Stuttgart und Frankfurt Schauspiel zu inszenieren. Beachtung fanden auch seine interdisziplinären Arbeiten wie z.B. Tränen des Vaterlandes mit der Ballett-Kompagnie von William Forsythe in Frankfurt.

Christof Nel starb am 6. August 2024 im Alter von 80 Jahren.

 

(Zsolt Horpácsy)

 



Abschiedsgedanken

Ich muss Christof irgendwann im Frühjahr 1993 zum ersten Mal begegnet sein, im Zusammenhang mit den Vorbereitungen zu den Meistersingern von Nürnberg.

Er beeindruckte mich mit seiner großen Erscheinung und seinem forschenden Blick aus den Augen, mit den buschigen Brauen, das weiß ich noch. Und auch mit dem wahnsinnigen Bühnenbildkonzept, das er mit dem damaligen Technischen Direktor selbst entwarf: Ein riesiger, 40 Meter tiefer, weißer Spielplatz für das Kind in ihm, den er sich selber bauen durfte. Darin die Suche nach Überforderung, nach Ernsthaftigkeit, nach Naivität, nach Radikalität, alles auf einmal. Und dann das T-Shirt für Stolzings Preislied: unzähliges Umfärben und -schneidern in der Kostümabteilung, ekstatischer Perfektionsdrang bis zur Einsicht, dass die Zeit auf dem Spielplatz beendet ist, weil die Premiere nahte.

Und wie viele Versionen es von dem Seil geben musste, mit dem der sich erinnernde Sohn in der pechschwarzen, düsteren aber unmittelbaren Madama Butterfly Version von 2002 am Ende in den Orchestergraben stürzen sollte.

Seile! Wie viele Male die Mitarbeiter der Requisite das bühnenbildumspannende Wäscheseil in der Färberszene in Die Frau ohne Schatten umdekorieren mussten, bis Christof irgendwie damit umgehen konnte!

Die Mohnblumenkostüme in Parsifal, der blutgetränkte Kopf (die Farbe des Blutes!) des Jochanaan in Salome, die Bettwäsche in Tristan und Isolde, nicht kindische, nein, kindliche Suchen, die der Oper Frankfurt am Ende großartige Momente in mittlerweile legendären Inszenierungen beschert haben.

Überhaupt Parsifal: Christof hatte gerade Stephen Hawkings Die unendliche Geschichte der Zeit gelesen und er sprach begeistert darüber. Er war fest entschlossen, dass das Buch Einfluss auf seine Lesart des Parsifal haben sollte.

Er war vor allen Dingen ein großartiger Mensch. Ich erinnere nichts, was vielleicht nicht so schön war an und in ihm, vielleicht gab es gar nichts. Seine Warmherzigkeit fand sich in seinen forschenden Augen wieder.

Ich durfte eine viel zu kurze Zeit lang manchmal teilnehmen an seinen Reisen, lange nicht mehr, jetzt erfahre ich vom Ende. Ich werde ihn nicht vergessen.
 

Olaf Winter, Technischer Direktor