- Foyer5
- Landestheater Linz
- #33 | November / Dezember 2024
- S. 4-9
Robotische Bühnen, die sich selbst umbauen
Könnte Künstliche Intelligenz (KI) das Theater beeinflussen, ja sogar bereichern? [...]
Interview: Silvana Steinbacher
In: Foyer5, #33 | November / Dezember 2024, Landestheater Linz, S. 4-9 [Publikumszeitschrift]
[...] Die bekannte Medienpsychologin Martina Mara sieht auf der Bühne vielversprechende Perspektiven. Mit Silvana Steinbacher spricht sie unter anderem über innovative ästhetische Momente auf der Bühne und die Rolle einiger weniger Tech-Giganten.
Frau Professorin Mara, das Motto des Linzer Landestheaters 2024/2025 lautet „Wie will ich leben“. Ich sehe bei einem Gespräch einem Menschen gerne in die Augen, werde ich in Zukunft mit einem Roboter sprechen müssen, weil vielbeschäftigte Expert:innen, wie Sie es sind, mir einen zum Interview schicken. Könnte dies ein Zukunftsszenario sein?
Da kann ich Sie beruhigen! Natürlich klingt die Idee eines Roboter-Ichs, das an meiner Stelle Aufgaben übernimmt, nicht ganz unverlockend – vor allem, wenn der Tag wieder einmal für alles zu kurz ist. Aber davon ist die Robotik noch sehr weit entfernt. Es gibt weltweit kaum zweibeinige Roboter, die selbständig durch unbekanntes Terrain gehen können – auch wenn uns das in Science-Fiction-Filmen oft anders präsentiert wird. Außerdem sind humanoide Roboter in der Realität viel träger und langsamer als man sich das vorstellen würde, wodurch eine flüssige Gesprächsdynamik kaum möglich ist. Und selbst wenn ich in der Theorie einen Roboterzwilling hätte: Keine Sorge, zu einem Interview wie diesem würde ich ihn nicht schicken! Da gäbe es deutlich weniger spannende Termine, die er übernehmen müsste …
Wir Menschen sind ja komplexe, teils unergründliche Wesen, können uns dahingehend die Roboter in näherer Zukunft ähneln?
Wir Menschen sind durch unsere Fähigkeit zur Selbstreflexion, unsere Erfahrungen und Emotionen einzigartig. KI hingegen kann große Datenmengen verarbeiten und darauf basierend manche Aspekte menschlichen Verhaltens nachahmen. Ein gutes Beispiel ist ChatGPT. (Anm.: ChatGPT nutzt KI und maschinelles Lernen, um auf Fragen und Anfragen von Benutzern zu antworten.) Wenn die Formulierungen von ChatGPT jetzt manchmal so klingen, als wäre das System ein Wesen mit Gefühlen, dann ist das lediglich das Replizieren dieser erlernten Muster. Ähnliches gilt für einen humanoiden Roboter, der in Folge seiner Programmierung traurig dreinschauen oder lächeln kann.
In Pinocchio A.I., einem Onlinegame des Linzer Landestheaters aus dem Jahr 2022, ging es um eine Professorin, die (vorgeblich) eine KI mit Persönlichkeit (P.I.N. - Personality Intelligence Network) schaffen wollte und dazu die Hilfe des Publikums benötigte. Dabei konnte das Publikum ab 10 Jahren P.I.N. durch die täglichen Entscheidungen lotsen. In Prometheus Unbound von den Cyberräubern wurde im Jahr 2019 im Landestheater Linz tatsächlich live auf der Bühne mit einer KI (dem Vorgänger von ChatGPT) gearbeitet. Wie sehr, meinen Sie, wird die KI auf der Theaterbühne oder der „Netzbühne“ Einzug halten?
Theater war ja schon immer ein Ort, an dem technische Innovationen zum Einsatz kamen, vom Deus Ex Machina im antiken Theater über die Einführung der Bühnenbeleuchtung bis zu Videoprojektionen in zeitgenössischen Inszenierungen. KI kann als ein weiteres kreatives Werkzeug betrachtet werden, das Theatermacher:innen neue Möglichkeiten eröffnet und in diesem Sinne sicherlich vermehrt Einzug halten wird. Einerseits als technisches Hilfsmittel, andererseits aber auch inhaltlich, indem etwa gesellschaftliche Implikationen Künstlicher Intelligenz in Bühnenstücken kritisch verhandelt werden.
Welche positiven Möglichkeiten sehen Sie für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Theater, um völlig neue künstlerische Ausdrucksformen zu schaffen, die bisher undenkbar waren?
Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Erstellung von KI-generierten Visuals, die als Teil des Bühnenbilds genutzt werden, für manche Inszenierungen spannend wäre. Fiktionale Szenerien – etwa eine dynamische, sich laufend wandelnde Traumlandschaft – könnten mithilfe von KI möglicherweise sogar in Echtzeit durch Bühnenbildner:innen erschaffen und projiziert werden. So ließen sich immersive visuelle Umgebungen gestalten, die sich im Laufe des Stücks verändern und auf die Handlung reagieren.
Könnte die Zusammenarbeit von menschlichen Schauspieler:innen und Robotern auf der Bühne dazu führen, dass wir neue, innovative Geschichten erzählen und besondere Momente schaffen können?
In Linz gab es in der Vergangenheit bereits einige experimentelle Aufführungen, bei denen androide Roboter und Schauspieler:innen gemeinsam auf der Bühne waren, z. B. bei der Ars Electronica. Dabei wurde das Verhältnis Mensch-Maschine dann meist auch inhaltlich thematisiert. Man könnte sich auch robotische Bühnen vorstellen, die sich wie kinetische Skulpturen selbst während der Aufführung umbauen. Oder noch intelligentere Beleuchtungssysteme, die auf Bewegungen oder gar Stimmungen der Darsteller:innen reagieren. Solche Innovationen könnten neue ästhetische Möglichkeiten eröffnen, die auch dramaturgisch faszinieren.
Wie könnten KI und Roboter im Theater genutzt werden, um das Erlebnis für das Publikum interaktiver und immersiver zu gestalten, und welche spannenden Entwicklungen sehen Sie in diesem Bereich?
Um das Theatererlebnis interaktiver zu gestalten, könnten KI-Systeme beispielsweise Raum- oder Publikumsdaten analysieren – bis hin zu KI-gesteuerten Handlungsverläufen, die auf in Echtzeit gemessenen Reaktionen oder Entscheidungen des Publikums basieren. Zum Einsatz kommen sollte solch eine partizipative Dimension aber natürlich nur dann, wenn es auch künstlerisch und dramaturgisch Sinn macht.
„Wie wollen wir leben“ beinhaltet für einige auch die Frage: Wie wollen wir das Theater der Zukunft erleben? Könnten beispielsweise Roboter Regie führen oder sogar eigenständig Stücke schreiben?
Die Frage ist hier eher: Wozu? Ein von einer KI geschriebenes Stück mag formal korrekt strukturiert sein, weil es sich statistisch aus dem Mittel analysierter Drehbücher ergibt. Aber bleibt es über den ersten Wow-Faktor hinaus, dass ein Computer nun selbst so etwas leisten kann, interessant? Schließlich fehlt es dabei am Subjekt, dessen Persönlichkeit oder Absicht zum Ausdruck kommt.
Die Anzahl der Menschen, die sich seelenlosen Maschinen nahe fühlen, steigt. Wie ist dieses Phänomen zu erklären?
Sie kennen das wahrscheinlich: Wir bezeichnen unser Handy manchmal als „launisch“ oder den Staubsaugerroboter, der zur Ladestation zurückfährt, als „müde“. Diese natürliche Tendenz zum Anthropomorphismus, bei dem wir auch in nicht-menschlichen Objekten etwas Menschliches sehen, wird noch befeuert, wenn Maschinen so wie wir sprechen oder ein bisschen wie wir aussehen. In unserer eigenen Forschung am Robopsychology Lab der JKU finden wir außerdem, dass sich auch einsame Menschen schneller einer Maschine nahe fühlen. Das kann man positiv sehen, weil das psychologische Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit gestillt wird. Es kann aber auch riskant sein, weil Maschinen, die uns als „Freunde“ erscheinen, einen stärkeren Einfluss auf uns und unsere Meinungsbildung haben.
In der KI wird immer wieder auch das Bild von Goethes Zauberlehrling bemüht und einige Expert:innen warnen vor den rasanten Entwicklungen.
Was mir weniger Sorge bereitet ist die Dystopie einer sich verselbständigenden, außer Kontrolle geratenen KI, wie sie manchmal beschrieben wird. Vielmehr beschäftigt mich, dass die Weiterentwicklung von KI und die Frage, aus welchen Daten sie was lernt, derzeit in den Händen weniger globaler Tech-Giganten liegt, die in der Regel nicht in Europa sitzen. Damit unser europäisches Wertesystem nicht ins Hintertreffen kommt, wäre es wichtig, dass Europa künftig eine gewichtigere Rolle in der KI spielt.
Das gesamte Interview finden Sie auf unserem Blog | landestheaterlinz-blog.at
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