• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 35 | Winter 2024
  • S. 10-12

Johann Strauss (Sohn)

Sein Weg vom Kirchen- zum Tanzmusiker

Text: Otto Biba

In: Magazin Klassik, # 35 | Winter 2024, Radio Klassik Stephansdom, S. 10-12 [Hörermagazin]

Die Doppelbeschäftigung als Kirchen- und Theatermusiker war nicht selten: In der Kirche ist man meist vormittags beschäftigt, im Theater meist nachmittags oder abends. Gleiches kann für Kirchen- und Tanz- bzw. Unterhaltungsmusiker gelten, auch wenn solche Doppelbeschäftigungen seltener nachzuweisen sind. Daher ist es gar nicht so kurios, dass Johann Strauss (Sohn) erst Kirchenmusiker war und dann Kapellmeister einer Unterhaltungskapelle wurde, die wir landläufig, aber nicht korrekt, als Tanzkapelle bezeichnen. Seine Mutter sorgte für zwei ausgezeichnete Violin-Lehrer und gab ihn zu Joseph Drechsler in den Generalbass-, also elementaren Kompositionsunterricht. Drechsler pendelte lange Jahre zwischen einer kirchenmusikalischen und theatralischen Laufbahn, zuletzt am Josefstädter wie am Leopoldstädter Theater in Wien. Erstere führte ihn 1823 als Kapellmeister an die Kirche „Zu den neun Chören der Engel“, besser bekannt als „Kirche am Hof“ und als Professor an eine Lehrerbildungsanstalt, wo angehende Lehrer von ihm kirchenmusikalische Standards lernten, und 1844 als Kapellmeister an den Wiener Stephansdom.

In diesem Jahr 1844 hat er am 9. Juli ein Zeugnis für „Johann Strauss, Sohn des Herrn Kapellmeisters Johann Strauss“, ausgestellt, der „von mir im Generalbasse unterrichtet wurde“. Drechsler bestätigte, „daß die Fortschritte, welche er in der Kunst gemacht, nicht allein seinem Fleiße, sondern auch seinem angebohrnen Talente zuzuschreiben sind. […] Da ich überdies Obangeführten als einen bescheidenen, sehr gebildeten Jüngling kennen lehrnte, so hege ich den aufrichtigen Wunsch, daß man dieses aufkeimende Talent so viel möglich in dem von ihm selbst gewählten Stande unterstützen möge.“ Drechsler war aber für den jungen Strauss mehr als ein Theorie-Lehrer. Er setzte ihn als Geiger im Kirchenmusik-Ensemble in der Kirche am Hof ein, wo Strauss Erfahrung sammeln konnte. Dort hat er sich auch zum ersten Mal als Komponist öffentlich präsentieren können. Am Sonntag, dem 4. August 1844, führte Drechsler zum Gottesdienst eine eigene Messe, ein von ihm komponiertes Graduale und als Offertoriumsgesang „Tu qui regis“ für Chor und Orchester von Johann Strauss (Sohn) auf. Zwei Tage später erschien in der Wiener Allgemeinen Musik-Zeitung eine Rezension, die davon ausging, dass Strauss eine kirchenmusikalische Laufbahn einschlagen wolle, und mahnend meinte: Dieser „Chor von Strauss jun. zeigt ein beachtenswerthes Talent“. Dieses müsse aber erst einmal zur Einsicht gelangen, „dass zu einem Kirchen-Tonwerk Einheit, Natürlichkeit und Einfachheit unerlässliche Bedingungen seien“, um Bedeutendes zu liefern. „Denn Schwulst und Phrasen und hochtrabende Worte und Wendungen sind schlimme Vehikel, ja taugen durchaus nicht zum Gebete.“ Der Herr Rezensent hat aufmerksam zugehört und Strauss’ Drang zum Effekt richtig verstanden. Aber er wusste nicht, dass der einundzwanzigjährige Strauss schon am 31. Juli beim Wiener Magistrat alle Formalitäten eingeleitet hat, um als Musikdirektor einer eigenen Unterhaltungskapelle auftreten zu dürfen. Das Zeugnis Drechslers sowie eines seines Violinlehrers Anton Kohlmann, Violinist im Hofopernorchester, legte er bei. Am 3. August hatte er eine Anhörung vor dem Magistrat, bei der er erklärte: „Ich habe bisher in der Kirche am Hof, aber nie in öffentlichen Örten, wohl aber in Privatzirkeln die Violine gespielt und jederzeit den Beyfall der Zuhörer erhalten.“

Das heißt, Erfahrungen in der Kirchenmusik und Auftritte bei Hauskonzerten waren für ihn der einzige Befähigungsnachweis, eine Tanz- und Unterhaltungskapelle zu gründen und mit dieser aufzutreten. Es sei vorweggenommen: Der Magistrat akzeptierte das. Aber ein solcher Kapellmeister muss ja auch komponieren können. Nur summarisch gab der junge Strauss dazu an, dass er „bereits mehrere Sachen“ komponiert habe. Von mehreren Kompositionen wissen wir nichts, wohl aber von diesem einen Kirchenmusikstück „Tu qui regis“, das am Tag nach dieser magistratischen Anhörung, am 4. August, von Joseph Drechsler in der Kirche am Hof aufgeführt wurde. Die negative Rezension konnten die zehn Mitglieder des Magistrats bald darauf lesen. Vielleicht hat sie diese überzeugt, dass der aus der Kirchenmusik kommende junge Mann in „Gastlocalitäten“, wie „beym Dommayer in Hietzing“ – so der junge Strauss vor dem Magistrat – besser ein gesetzt sein würde als in einer Kirche. Am 5. September wurde der magistratische Bescheid ausgestellt, dass er „als Musikdirektor durch Leitung musikalischer Unternehmungen seinen Erwerb suchen“ dürfe und als solcher der „Erwerbsteuerbemessung“ unterliegen werde. Die beiden Zeugnisse wurden einbehalten, der Nachweis – einschlägiger – kompositorischer Fähigkeiten wurde nicht weiter thematisiert.

Nach Jahren hat Johann Strauss (Sohn) noch einmal für die Kirche komponiert. Am 27. Februar 1896 heiratete seine Stieftochter Alice in der Deutschordenskirche in Wien. Der Stiefvater stellte sich dazu mit einem „Hochzeitspräludium“ für Orgel, Harfe und Violine ein, das er bald darauf mit der Opusnummer 469 veröffentlicht hat. Seine erste oder zumindest seine erste uns bekannte Komposition, „Tu qui regis“, hat er zum Vergessenwerden bestimmt; sie wurde 1995 erstmals publiziert.

Warum die Mutter ihren Sohn Johann zu Joseph Drechsler geschickt hat? (Wo sie doch wusste, welche Pläne oder Träume der Bub hatte.) – Zum einen, Drechsler war ein anerkannter, berühmter Lehrer. Zum andern, der Vater lebte zwar von der Familie getrennt, aber er hatte verboten, dass der Sohn in seine Fußstapfen trete; eine Ausbildung bei dem nunmehr ausschließlich auf Kirchenmusik spezialisierten Drechsler war unverfänglich. Ferner: Das dort erworbene solide kompositorische Können im sogenannten Generalbass (den der Vater nie studiert hatte, sondern sich mühsam selbst aneignen musste) und die für die kirchenmusikalische Praxis so wichtige Routine, mit wenig Proben optimale künstlerische Leistungen zu erbringen, konnten dem Junior auch in der Tanz- und Unterhaltungsmusik nur hilfreich sein.