• Das Walzerparadies
  • Erzgebirgische Theater und Orchester
  • Unterhaltung. Deutsche Erstaufführung - Saison 2024/25
  • S. 6-8

Oscar Straus – vergessener Weltbürger?

Text: Lür Jaenike

In: Das Walzerparadies, Unterhaltung. Deutsche Erstaufführung - Saison 2024/25, Erzgebirgische Theater und Orchester, S. 6-8 [Programmheft]

Vor 70 Jahren ist Oscar Straus, Sohn eines jüdischen Bankiers, im kleinen Bad Ischl gestorben. Viele Familienmitglieder, darunter auch sein Sohn, sind dem Holocaust zum Opfer gefallen. Straus’ Lebensweg erscheint uns als ein Panorama der europäischen Kulturgeschichte vom Fin de Siècle bis hin zur Nachkriegszeit – er selbst als „Weltbürger der Musik“.

Straus konnte mit den meisten seiner Operetten einen Erfolg nach dem anderen einfahren. Dabei dominieren Witz, Ironie und hintersinniger Humor seine Werke, und auch der Zeitgeist findet sich in ihnen wieder. Kaum ein Komponist des 20. Jahrhunderts ist zu beiden Seiten des Atlantiks dermaßen gefeiert worden, aber später so sehr in Vergessenheit geraten wie Oscar Straus.

Seine Operette „Ein Walzertraum“ stellte ab 1907 in Wien alle Erfolge von Johann Strauß (Sohn) in den Schatten: Mit diesem Werk avancierte Straus zu einem der bedeutendsten Vertreter des „Silbernen Zeitalters“ der Operette, seine Melodien wurden zu internationalen Evergreens und er selbst als Komponist in Europa und Nordamerika groß gefeiert.

Dass dieser „Weltbürger“ dermaßen in Vergessenheit geraten konnte, ist natürlich der furchtbaren Zeit von 1933 bis 1945, mit der sich Straus konfrontiert sah, geschuldet. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten änderte sich im Kultursektor von einem auf den anderen Tag alles, denn auch in diesem Bereich schlug die antisemitische Ideologie der Nazis erbarmungslos zu und sämtliche Kunst jüdischer Schaffender verschwand aus dem kulturellen Leben. Perfide war, dass viele Werke des unterhaltenden Musiktheaters dennoch gespielt werden konnten, wie z. B. Franz Lehárs „Lustige Witwe“, die die Lieblingsoperette von Adolf Hitler war; wie üblich in der Zeit des Nationalsozialismus blieben in solchen Fällen die jüdischen Librettisten bei Aufführungen unerwähnt. Wo aber Werke aus gesamtjüdischer Produktion kamen, wurden diese als „entartet“ gebrandmarkt und gänzlich von den Bühnen verbannt. Oscar Straus war hiervon empfindlich betroffen, entfielen ihm doch die meisten seiner durch Tantiemen gewonnenen finanziellen Einnahmen. Durch den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 war aber auch sein Leben und das Leben seiner Familie in großer Gefahr. Über Paris und Lissabon emigrierte er nach Hollywood. Hier arbeitete er vor allem als Dirigent.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt Straus die Staatsbürgerschaft der USA. Kurz darauf kehrte er wieder nach Österreich und in sein geliebtes Bad Ischl zurück und konnte sogar sein von den Nazis beschlagnahmtes Haus beziehen. Der Weltstar schien endlich in der Heimat angekommen. Doch wie viele heimgekehrte Künstler konnte auch Straus nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr an seine früheren Erfolge anknüpfen. Ab und zu wurde noch eine seiner Operetten gespielt, meistens der berühmte „Walzertraum“, doch die Aufführungsserien von vor 1933 wurden nicht mehr erreicht.

Oscar Straus starb am 11. Januar 1954 im Alter von 83 Jahren angeblich zu den Klängen eines seiner Walzer. In der Kurstadt Bad Ischl wurde er beigesetzt – nur wenige Meter von seinem Komponistenkollegen Franz Lehár entfernt.

Tatsächlich ist Straus, der als Erbe von Jacques Offenbach und neuer „Walzerkönig“ von seinen Zeitgenossen angesehen wurde, dessen Melodien um die Welt gingen und der Persönlichkeiten wie George Gershwin, Max Ophüls oder Albert Einstein zu seinen Freunden zählte, heutzutage nur mehr wenigen Menschen ein Begriff. Auf den Bühnen haben seine Werke einschließlich des einst so beliebten „Walzertraums“ Seltenheitswert, was bedauerlich ist, da die meisten seiner Operetten neben einer lustig-unterhaltenden, zumeist auch geistreichen Handlung, eine Vielzahl an inspirierten eingängigen Melodien, um die der Komponist eigentlich nie verlegen war, enthalten.

Umso wichtiger ist es, dass das immer an Entdeckungen und Ausgrabungen vergessener Werke des Musiktheaters – hierbei mit dem Schwerpunkt auf Stücke verfemter Komponisten – interessierte Eduard-von-Winterstein Theater bei der Suche nach Werken, die durch die Machtergreifung der Nazis aus den Theatern verschwanden und nach dem Krieg in Vergessenheit gerieten, auf sein Operetten-Kleinod „Das Walzerparadies“ gestoßen ist, ein Werk, das mit seiner Musik verschmitzte Erinnerungen an alte Zeiten aufleben und die Pracht, Lebensfreude, Vielfalt, Toleranz und Offenheit der 1920er und 1930er Jahre wieder auferstehen lässt. Das heute Abend seine Deutsche Erstaufführung am Eduard-von-Winterstein-Theater erlebende „Walzerparadies“ geriet tatsächlich zur letzten Premiere einer Operette in der Geburtsstadt ihres Komponisten; sämtliche folgenden Bühnenwerke von Straus wurden außerhalb von Österreich uraufgeführt.

So soll an diesem Abend, wenn sich der Vorhang zu seinem „Walzerparadies“ hebt, 70 Jahre nach seinem Tod, wieder einmal der Weltbürger Oscar Straus im Fokus stehen – ein Komponist, dessen vielseitiges Schaffen zu Unrecht in Vergessenheit geriet.

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