• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Januar / Februar 2025
  • S. 6-7

Der große Einzelgänger der französischen Musik

Text: Mareike Wink

In: Magazin, Januar / Februar 2025, Oper Frankfurt, S. 6-7 [Publikumszeitschrift]

Albéric Magnards Oper Guercœur, vor rund einhundert Jahren entstanden, erscheint gegenwärtig als ein Stück der Stunde. In einer betörend-schönen musikalischen Sprache erzählt es von menschlichen Idealen und Unzulänglichkeiten – im individuellen Leben wie im großen gesellschaftspolitischen Zusammenhang.

Von Schicksalsschlägen, Enttäuschungen und Bitterkeit war auch Magnards eigenes Leben geprägt. Geboren wurde er 1865 in wohlhabende Pariser Verhältnisse, als Sohn des Herausgebers der Zeitung Le Figaro. Im Alter von vier Jahren muss er den Verlust seiner Mutter verschmerzen, die sich das Leben nimmt. Als junger Mann absolviert Magnard den französischen Militärdienst, schreibt sich später für Jura ein und geht dann an das Pariser Konservatorium, um sich ganz seiner Leidenschaft, der Musik, zu widmen.

Die finanziellen Mittel seines Elternhauses ermöglichen ihm einen großzügigen Lebensstil sowie die Befreiung von dem Zwang, mit seiner Kunst Geld verdienen oder Mäzene finden zu müssen. Auch die Finanzierung und Organisation einzelner Aufführungen sowie der hauseigene Druck seiner Werke sind so möglich. Der selbstzweiflerische Komponist kann es sich erlauben, ohne zeitlichen Druck zu arbeiten; er komponiert langsam und lässt angefangene Werke mitunter in seiner Schreibtischschublade verschwinden, ohne sie jemals wieder anzusehen.


Engagiert, eigen, verkannt

Doch Magnard kann künstlerisch nie wirklich Fuß fassen und erfährt kaum Anerkennung für seine Werke. Sein Schaffen wie auch sein Leben durchziehen große Ambivalenzen. Politisch unerschrocken, engagiert er sich einerseits als Feminist und Dreyfus-Unterstützer, wird andererseits aber von Zeitgenossen als Misanthrop beschrieben. Später wird sich sein Gehör kontinuierlich verschlechtern. Die genannten Lebens- und Arbeitsumstände tragen zu Magnards innerer Verbitterung und seiner zunehmenden äußeren Vereinsamung bei. Verschiedene Stimmen der Musikwissenschaft nennen ihn »den großen Einzelgänger der französischen Musik um 1900«.

Zu Lebzeiten verkannt, zählt Magnard heute zu jenen großen Künstlern, die es zu entdecken gilt! Das überlieferte Schaffen umfasst nur etwa 20 Kompositionen – darunter drei Opern (zwei davon abendfüllend), vier Sinfonien, mehrere Orchesterwerke, Kammer- und Klaviermusik sowie Lieder. Viele seiner Werke sind jenem Anschlag zum Opfer gefallen, der den Komponisten selbst das Leben kostete. Am 3. September 1914 wird Albéric Magnard in seinem eigenen Wohnhaus bei dem Versuch, den Angriff deutscher Soldaten abzuwehren, getötet. Der Komponist wird nur 49 Jahre alt.


Eine Oper wie ein Vermächtnis

Auch das Manuskript seiner Oper Guercœur, die zwischen 1897 und 1901 entstanden war, wird in den Trümmern des Hauses begraben. Die Rekonstruktion des Werkes ist dem persönlichen Engagement von Magnards Komponistenfreund Guy Ropartz zu verdanken, der 1908 bereits den ersten Akt der Oper aufgeführt hatte. 1931 kann Guercœur sogar an der Opéra Garnier in Paris uraufgeführt werden. Die tragischen Todesumstände lassen das zwischen Oper, Oratorium und Mysterienspiel changierende Werk erst recht als Magnards großes Vermächtnis erscheinen.

Libretto und Musik spiegeln seine Verehrung für Richard Wagner, zu dessen Festspielen er zwischen 1886 und 1896 viermal gepilgert war. Wie der Bayreuther Meister ist der Pariser Künstler sein eigener Librettist. Auch hinsichtlich der verhandelten Mystik, der symmetrischen Anlage sowie der Arbeit mit Leitmotiven und Höhen- bzw. Fernchören scheint Magnard bei Wagner Inspiration gefunden zu haben – vor allem in Parsifal.

Trotz manch klanglicher Anleihen findet Albéric Magnard mit Guercœur zu einer ganz eigenen spätromantischen Sprache: Seine symbolistische Reflexion von Kernfragen nach der menschlichen Endlichkeit und den Idealen von Freiheit und Demokratie schillert im transparenten Licht des französischen Fin de Siècle.

 

GUERCŒUR
Albéric Magnard 1865–1914

Tragédie en musique in drei Akten / Text vom Komponisten / Uraufführung 1931, Opéra Garnier, Paris / In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

FRANKFURTER ERSTAUFFÜHRUNG
Sonntag, 2. Februar

VORSTELLUNGEN
8., 13., 16., 21., 23. Februar / 1., 8. März

MUSIKALISCHE LEITUNG Marie Jacquot / Takeshi Moriuchi INSZENIERUNG David Hermann BÜHNENBILD, VIDEO Jo Schramm KOSTÜME Sibylle Wallum LICHT Joachim Klein CHOR Virginie Déjos DRAMATURGIE Mareike Wink

GUERCŒUR Domen Križaj GISELLE Claudia Mahnke HEURTAL AJ Glueckert VÉRITÉ Anna Gabler BONTÉ Bianca Andrew BEAUTÉ Bianca Tognocchi SOUFFRANCE Judita Nagyová SCHATTEN EINES JUNGEN MÄDCHENS Julia Stuart° SCHATTEN EINER FRAU Cláudia Ribas° SCHATTEN EINES DICHTERS Istvan Balota

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