• Macbeth
  • Staatstheater Nürnberg
  • Oper von Giuseppe Verdi - Saison 2024/25
  • S. 16-17

Es geht um Schuld und nicht um Schicksal

Text: Kateryna Sokolova

In: Macbeth, Oper von Giuseppe Verdi - Saison 2024/25, Staatstheater Nürnberg, S. 16-17 [Programmheft]

Macbeth hat keine Ideologie. Er kommt nicht an die Macht, weil er Duncan für unfähig hält und ein anderes politisches System durchsetzen möchte. Die Situation ist viel infantiler, solipsistisch und daher viel gefährlicher. Sie ist nicht einmal vordergründig politisch, sondern ausschließlich persönlich. Seine Wünsche, seine Ängste, seine Tendenz zum Zu-Viel-Denken, Zweifeln und Überreagieren – diese ständige Tortur an mannigfaltigen Gedanken ist der Fokus des Stückes.

Macbeth ist kein Mensch, der sich freiwillig an Normen hält, moralisch unantastbar ist und sich dann auf einmal durch die Prophezeiungen verändert. Er ist meines Erachtens schon zu einem ziemlich großen Ausmaß korrumpiert. Nur so kann die Vorhersage der Hexen ihn dazu bringen, einen Mord zu begehen und in der Folge weitere. Banquo dagegen ist weder korrumpiert noch korrumpierbar. Bei ihm lösen die Prophezeiungen keine Mordfantasien aus wie bei Macbeth. Im Stück hat diese Figur die Funktion zu zeigen, dass nicht nur die Vorhersage, sondern auch deren Deutung durch das Individuum eine Rolle spielt. Macbeth hat sich also schon vorher selbst verführt, nur dadurch ist die äußere Verführung in der Lage, einen solch starken Impuls zu geben. Es geht um Schuld und nicht um Schicksal.

Die Hexen sehe ich als Alter Egos von Macbeth, sie repräsentieren seine eigenen Gedanken. Er schaut in den Spiegel und sieht dort eine Reihe von Hexen, in denen er sich selbst erkennt. Sie sind seine Spiegelbilder. Aus diesem Ursprungsgedanken hat sich eine Perspektive auf das Stück entwickelt, die Macbeth’ gesteigerte Egozentrik in den Fokus nimmt, in der nur sein eigenes Ich und sein eigenes Bewusstsein existiert. Für Macbeth geht es nur um das, was er selbst denkt und fühlt. Sowohl bei Shakespeare als auch bei Verdi folgt ein Monolog dem anderen. Er ist im konstanten Gespräch mit sich selbst. Auf die Bühne übersetzt heißt das, dass wir in unserer Erzählung der Oper gewissermaßen in Macbeths Kopf dringen. Der Raum zeigt die Begrenztheit seines Denkens und Handelns und ist dabei gleichzeitig eine Herausforderung, auch ganz praktisch: Treppen führen ins Nichts, man steht plötzlich vor einem Abgrund, der Raum endet überraschend, oder er teilt sich, wodurch die andere Seite unerreichbar wird.

Durch das Florentiner Finale, für das wir uns entschieden haben, bleiben wir bis zum Schluss bei Macbeth, in seinem Herzen und in seinem Kopf. Wir verabschieden uns von dem Stück, während wir uns gleichzeitig von ihm verabschieden. Das Finale der Pariser Fassung macht dagegen den Raum noch einmal riesig auf, und der Chor singt vom Sieg. Ich wüsste nicht, wer am Ende dieses Stücks etwas gewonnen haben sollte. Der ursprüngliche Florentiner Schluss ist auch musikalisch genial, weil durch die Anordnung der Akkorde zwischen dem Gesang Macbeth’ der Eindruck entsteht, dass die Person, der wir die ganze Zeit zugehört haben, zerfällt. Es war mir ein Bedürfnis, die Geschichte mit Macbeth zu beginnen und mit ihm allein auf beinahe leerer Bühne zu enden, keinen Ausblick in eine andere Zukunft zu geben, sondern ganz bei ihm zu bleiben.

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