- Macbeth
- Staatstheater Nürnberg
- Oper von Giuseppe Verdi - Saison 2024/25
- S. 23-31
Kein überflüssiges Wort!
Text: Wiebke Hetmanek
In: Macbeth, Oper von Giuseppe Verdi - Saison 2024/25, Staatstheater Nürnberg, S. 23-31 [Programmheft]
„Ohne Konventionen, knapp und kurz“ sollte die neue Oper nach Verdis Meinung werden, so wie das Drama, das er als Stoffgrundlage gewählt hatte: „The Tragedy of Macbeth“ von William Shakespeare. Es kostete nicht nur den Komponisten viele Nerven, seine Vorstellungen durchzusetzen, sondern auch die Librettisten und nicht zuletzt die Sänger*innen, die in schier endlosen Proben versuchten, Verdis neuen Ideen gerecht zu werden. Mit seiner zehnten Oper hat Verdi das Musiktheater zwar nicht revolutioniert, aber er hat sich auf den Weg Richtung Musikdrama gemacht, auf dem er sich im Laufe seines Lebens immer mehr von musikalischen Konventionen lösen wird.
„The Tragedy of Macbeth“
„The Tragedy of Macbeth“ ist eines der bekanntesten und beliebtesten Werke Shakespeares. In kaum einem anderen Stück hat er den Plot dermaßen verdichtet und ist mit relativ wenigen Figuren und einem einzigen Handlungsstrang ausgekommen. „Macbeth“ ist somit eines der kürzesten Stücke Shakespeares, was neben der leicht nachvollziehbaren Handlung sicherlich auch zum Erfolg des Werks beiträgt. Ausreichend Kampf- und Hofszenen bedienen zudem die Schau-Lust des Publikums, und die „witches“, drei mysteriöse Frauen, garantieren den Gruselfaktor. Eine gelungene Mischung also, die sich schon bei der Londoner Uraufführung um 1610 bewährt hatte.
Die Wahl seines Stoffs traf Shakespeare nicht von ungefähr. Nach dem Tod von Königin Elisabeth I. musste er sich der Gunst des neuen Königs versichern: Der Schotte Jakob VI. war ab 1603 nicht mehr nur König seines Heimatlandes, sondern als Jakob I. auch König von England und Irland. Ein Stoff aus der schottischen Geschichte schien also angebracht. Zudem war hinlänglich bekannt, dass Jakob I. ein Faible für „Hexen“ hatte, überhaupt interessierte sich der König leidenschaftlich für alles „Übernatürliche“ und hatte selbst ein Traktat über Dämonologie verfasst. Die „witches“ waren also auch in diesem Sinne ein geschickter Einfall.
Shakespeares Quellen waren nicht sonderlich korrekt. Dass sein Drama von den historischen Tatsachen abweicht, hängt allerdings mehr damit zusammen, dass Jakob I. sowohl Malcolm als auch Banquo zu seinen Vorfahren zählte und deswegen von vornherein feststand, wie Gut und Böse in diesem Stück verteilt werden mussten. Der historische Macbeth hatte König Duncan nicht heimtückisch ermordet, sondern ihn 1040 in einem Zweikampf während der Schlacht von Elgin besiegt. Danach herrschte er über 15 Jahre als schottischer König. Seine Regierungszeit gilt als eine Zeit der Regeneration sowie des inneren und äußeren Friedens. 1057 fiel Macbeth im Kampf gegen Macduff, der für Duncans Sohn Malcolm in die Schlacht gezogen war. Malcolm bestieg ein Jahr später den schottischen Thron.
„Ich bin vom Grauen restlos satt“
Der historische Hintergrund dient Shakespeare lediglich als Aufhänger für eine Geschichte um Schuld und Gewissen, um Macht, Machtgier, um Loyalität und Korruption: Die Aussicht auf die Königskrone, die Macbeth in der ersten Szene von den „Schicksalsschwestern“ geflüstert bekommt, verwandelt den eigentlich loyalen General des Königs Duncan in einen von Machtgier und Ehrgeiz zerfressenen Königsmörder. Die Krone kann er jedoch nicht genießen, denn seine Schuld holt ihn ebenso ein wie die Angst, die Macht wieder verlieren zu können. Dabei verliert Macbeth noch sehr viel mehr: Freundschaft, Ehe, seinen moralischen Kompass und den Glauben an jedweden Sinn seines Tuns. Das Streben nach Macht führt schließlich zur interesselosen Weltverachtung: „Ich bin vom Grauen restlos satt, mein Schlächterdenken ist nicht mehr erschreckt von dem, was mich entsetzen soll.“
Dass es auch anders geht, zeigt Shakespeare nicht nur am Beispiel Banquos, der im Gegensatz zu Macbeth nicht korrumpierbar ist, sondern auch in den zahlreichen Monologen seines Titelhelden: Macbeth ist kein kaltblütiger Soziopath, der sich skrupellos an die Macht mordet. Shakespeare zeigt ihn im Gegenteil als einen reflektierten Menschen, der ständig und immer wieder sein Handeln infrage stellt. Dadurch kommt uns diese Figur erschreckend nahe, und man ist zuweilen versucht, im Täter auch das Opfer zu sehen.
Vom Drama zur Oper
Dass sich Verdi 1846 für ein Sujet von William Shakespeare entschieden hat, ist nicht so selbstverständlich wie es heute scheint. Denn damals war der elisabethanische Dichter in Italien noch so etwas wie ein Geheimtipp. Verdi wurde durch seinen Dichterfreund und Übersetzer Andrea Maffei auf Shakes peare aufmerksam gemacht, und als er einen Opernauftrag aus dem Florentiner Teatro della Pergola bekam, wählte er den „Macbeth“ für seine erste Shakespeare-Vertonung.
Dieser Entschluss war noch in anderer Hinsicht gewagt; denn der Handlung fehlt eine Liebesgeschichte, die eigentlich obligatorisch für die Oper war, und überhaupt mangelt es dem Stoff an lichten und unbeschwerten Momenten. In nachtschwarzer Atmosphäre werden stattdessen die Abgründe der menschlichen Seele seziert. Doch genau diese Atmosphäre, diese „tinta“, machte für Verdi den Reiz aus. Immer wieder wies er darauf hin, dass es ihm nicht darum ging, Shakespeare möglichst wortgetreu wiederzugeben, sondern die düstere Stimmung des Stücks mit seiner Musik einzufangen, wenn nötig, auch mit neuen Mitteln: „Dies ist ein Drama, das nichts mit den anderen gemein hat, und wir dürfen alle keine Anstrengung scheuen, dem Original so gerecht wie möglich zu werden. Außerdem glaube ich, dass es nun an der Zeit ist, die gewohn ten Formeln und die gewohnten Modelle aufzugeben, und ich glaube, dass man daraus einen größten Nutzen ziehen kann.“
Verdi selbst entwarf das Szenario und lenkte dabei den Fokus mehr noch als Shakespeare auf Macbeth und seine innere Befindlichkeit. Das sowieso schon übersichtliche Personal reduzierte er noch weiter, Malcolm und Macduff werden zu Nebenrollen, König Duncan und Fleance zu Statisten. Einzig Banquo hat neben Macbeth und seiner Lady als Figur noch Bestand. Letztere, die übrigens kein historisches Vorbild hat und von Shakespeare erfunden wurde, bekommt bei Verdi größeres Gewicht. Sie hat einen aktiven Part bei der Planung der Morde, scheint sogar die Härtere von beiden zu sein, fällt dafür aber umso schneller dem Wahnsinn zum Opfer.
Ein Werk des Übergangs
Zum Leidwesen seiner Librettisten wusste Verdi sehr genau, was er wollte: Er ermahnte Francesco Maria Piave immer wieder, der literarischen Vorlage entsprechend kurze und präzise Verse zu schreiben, „kein überflüssiges Wort“. Schließlich zog er noch Andrea Maffei hinzu, der selbst ein fanatischer Shakespeare-Verehrer war. Das Ergebnis hält sich erstaunlich eng an die literarische Vorlage, manche Szene, wie die berühmte Schlafwandelszene der Lady, folgt Shakespeare fast wörtlich. Die Gleichberechtigung von Musik und Drama ist Verdis erklärtes Ziel, und das war an sich schon ein Novum in der Oper seiner Zeit, in der die Gesangsartistik des Belcanto noch dubiose Blüten trieb.
Verdi komponiert nah am Text, lotet verschiedenste Formen der Deklamation aus, reagiert mit seiner Musik auf Stimmungswechsel der Figuren unmittelbar und kleinteilig und variiert die Orchestration äußerst facettenreich. Das Rezitativ vor der Ermordung Duncans etwa folgt den Gedanken Macbeths geradezu seismografisch. Das Orchester hat nicht mehr nur Begleitfunktion, sondern unterstützt Stimmung und Aussage. In der schon erwähnten Schlafwandelszene sind die Phrasen der Gesangsstimme und die nuancierten Kommentare im Orchester gleichermaßen verantwortlich für die eindrückliche Charakterisierung der Lady als gebrochene Figur. Obwohl Verdi die starre Trennung von Rezitativ und Arie zuweilen aufzulösen oder zu verschleiern vermag, stehen neben feingliederigen Abschnitten aber auch sehr viel traditionellere. Die Arien von Malcolm oder Macduff gehören ebenso dazu wie der Auftritt Duncans im ersten Akt, der heute fast ungewollt komisch wirkt. Trotz aller Neuerungen bleibt „Macbeth“ ein Werk des Übergangs, in dem innovative und konventionelle Nummern nebeneinanderstehen.
Auch für die Hexen hat Verdi kein einheitliches Klangbild geschrieben. Ihre Musik klingt mal bedrohlich, mal pathetisch, zuweilen grotesk banal. Verdi hat es nicht bei drei „Schicksalsschwestern“ belassen, sondern ihren Part dem gesamten Damenchor übergeben und ihnen erklärtermaßen die dritte Hauptrolle in diesem Drama zugesprochen: „Die Hexen beherrschen das Drama, alles geht von ihnen aus; grob und geschwätzig im ersten Akt, erhaben und prophetisch im dritten. Sie bilden eine Persönlichkeit, und zwar eine von allerhöchster Bedeutung.“ Sie sind weniger wie bei Shakespeare die Inkarnation des Bösen, sondern viel mehr eng mit Macbeth und seinen Gedanken verbunden: Sie spiegeln sein Inneres, seine Wünsche, seine Ängste, seine Abgründe.
Von der Oper zum Musikdrama
Verdis neue Idee eines Musikdramas bleibt nicht auf Text und Komposition beschränkt. Zum ersten Mal übernimmt der Komponist bei einer Uraufführung auch Bühnenbild, Kostüme und führt Regie. Seinen Darsteller*innen macht er in Briefen und in den ausgiebigen musikalischen und szenischen Proben deutlich, worum es ihm geht: So wie seine Musik im Dienst des Ausdrucks geschrieben wurde, so sollten sich auch die Sänger*innen in den Dienst des Dramas stellen. Nicht der Schöngesang stehe im Vordergrund, im Gegenteil: Verdi lehnte sogar die ein oder andere Sängerbesetzung ab, weil die Stimme zu „schön“ und zu wenig charakteristisch war. „Ich möchte, dass die Sänger mehr dem Dichter als dem Komponisten dienen“, schrieb er an die Lady Macbeth der Uraufführung.
Das Publikum feierte Verdi für den eingeschlagenen Weg: Die Uraufführung am 14. März 1847 in Florenz war ein großer Erfolg. Knapp 20 Jahre später wird sich Verdi die Partitur noch einmal vornehmen: Anlässlich der Pariser Erstaufführung wird er vom Intendanten gebeten, die für Paris obligatorische Balletteinlage und ein imposanteres Chorfinale zu komponieren. Doch Verdi komponiert noch sehr viel mehr. Mit seiner nunmehr langjährigen Erfahrung als Opernkomponist – u. a. mit seiner „trilogia popolare“: „La traviata“, „Rigoletto“ und „Il trovatore“ – überarbeitet er seinen „Macbeth“, um den damals eingeschlagenen Weg noch konsequenter weiterzuverfolgen. Knapp ein Drittel der Komposition tauscht er aus, darunter die Arie der Lady im 2. Akt, wo die konventionelle Bravourarie der der düsteren Stimmung entsprechenden Arie „La luce langue“ weichen muss. Insgesamt verzahnt Verdi das Orchester noch stärker und kleinteiliger mit Gestus und Ausdruck des Gesangs. Auftragsgemäß schreibt er die Balletteinlage und für den Schluss des 4. Akts einen Jubelchor über die Befreiung der Heimat aus dem Griff des mörderischen Macbeth. Darüber hinaus aber lässt er die Dramaturgie und den Wortlaut der ersten Fassung weitgehend unangetastet. Mit der so genannten Pariser Fassung kommt er seinem Ideal, das er 1847 bereits einforderte, ein weites Stück näher.
Heutzutage hat diese revidierte Fassung die Urfassung nahezu von der Bühne verdrängt. Allerdings verzichten die meisten Aufführungen auf die Pariser Balletteinlagen. Und auch der Jubelchor am Ende hat sich nicht ganz durchgesetzt: Shakespeare und mehr noch Verdi stellen den Titelhelden in den Mittel punkt und konsequenterweise gebührt ihm auch das Schlusswort. Oder wie es Regisseurin Kateryna Sokolova formuliert: „Es war mir ein Bedürfnis, die Geschichte mit Macbeth zu beginnen und mit ihm allein auf beinahe leerer Bühne zu enden, keinen Ausblick in eine andere Zukunft zu geben, sondern ganz bei ihm zu bleiben.“ Am Staatstheater Nürnberg wird die Pariser Fassung (ohne Ballett) mit dem Finale der Florentiner Fassung gespielt.
- Quelle:
- Macbeth
- Staatstheater Nürnberg
- Oper von Giuseppe Verdi - Saison 2024/25
- S. 23-31
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