• Der Operndirektor
  • Nationaltheater Mannheim
  • Domenico Cimarosa, Saison 2024/25
  • S. 9-12

Von den Sitten und Unsitten des Theaters

Barocker Exzess und Meta-Oper

Text: Daniel Joshua Busche

In: Der Operndirektor, Domenico Cimarosa, Saison 2024/25, Nationaltheater Mannheim, S. 9-12 [Programmheft]

Autoreflexitivät

Gehen wir einmal zurück zu den Anfängen der Oper: Egal ob Jacopo Peris »La Dafne« (1598), »L’Euridice« (1600) oder Monteverdis »L’Orfeo« (1607) – es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Orpheus und Apoll die mythologischen Helden der frühen Oper darstellen. Der Kunstform Oper wohnt bereits seit ihren Anfängen ein autoreflexives Element inne: die Fähigkeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und daraus ein sinnstiftendes und produktives Moment zu ziehen.

Wenn schon im Prolog des »Orfeo« die »Musica« auftritt und von ihrer Macht singt, wenn Gesang zentrales Thema eines gesungenen Kunstwerks wird, sehen wir die Oper sich nach sich selbst fragen und diese Auseinandersetzung künstlerisch darstellen.

Schon bald aber sind es nicht mehr nur mythologische Stoffe, aus denen die Kunstform Oper ihren Sinn ableitet. Sie löst sich im 17. Jahrhundert allmählich aus ihrem höfischen Rahmen, mit dem Teatro San Cassiano eröffnet in Venedig 1637 das erste öffentliche Opernhaus seine Pforten. Das Mythologisch-Bukolische wird gegenüber historischen Stoffen zurückgedrängt, feste musikalische Formen kristallisieren sich heraus und die Kunstform Oper gewinnt im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert einen immer ausgeprägteren betrieblichen Aspekt: Neue Theater sprießen nur so aus dem Boden; Sänger, die sich im Spiel auf mittlerweile feste Rollentypen spezialisieren; Mäzene und Gönner, die einander im Schmuck mit der Kunst überbieten; schließlich die Impresarii, die zwischen Primadonnen, Publikum und ökonomischen Zwängen ersticken. Die vielzitierten Anfänge der Oper liegen noch nicht weit zurück, doch gibt es bereits eine Menge zu verhandeln…


Im Barock-Taumel

Als Benedetto Marcello 1720 seine Satireschrift »Il teatro alla moda« veröffentlicht, ist der barocke Opernbetrieb womöglich auf der Höhe seiner Strahlkraft – aber in seiner vorherrschenden Form der ›Opera seria‹ auch stereotyp, durchschaubar und artifiziell. Gerade in seiner Heimatstadt Venedig ist die Unterhaltung derart opulent, die vorherrschenden Eigeninteressen und sinnlosen Routinen derart offensichtlich wie in sonst kaum einer Stadt. Marcellos Venedig war zwar schon lange nicht mehr die mächtige und reiche Handelsmetropole einstiger Zeit, doch in der Ausgelassenheit der Unterhaltung machte man keine Abstriche. Zynisch formuliert Marcello in seinem Traktat Anweisungen an verschiedenste Protagonisten des Opernbetriebs – vom Impresario, über den Dichter und die Primadonna bis zum Schneider. Die nachlassende künstlerische Qualität, das genusssüchtige und frenetische Publikum sind ihm Antrieb beim Verfassen der Schrift. Der Impresario dürfe keine Ahnung vom Theater haben, der Dichter keine Klassiker gelesen haben, der Komponist keine Kompositionsregeln beherrschen: das alles, um den absurden Geschmack eines schon lange verdorbenen Publikums zu bedienen. Marcello sollte zu Lebzeiten nie in der Oper fest Fuß fassen und lässt kein gutes Haar am dekadenten und verkommenen Betrieb.

Mit »Il teatro alla moda« trifft er ins Schwarze: Die Schrift verbreitet sich wie ein Lauffeuer und wird vielfach rezipiert. Von Marcellos Schrift und der autoreflexiven Ausrichtung der Kunstform verleitet, lässt es sich bald auch das komische Operngenre der ›Buffa‹ nicht mehr nehmen, sich zu einigen Spitzen gegen die ›Seria‹ anstacheln zu lassen.

So nimmt eine ironische Umkehrung Gestalt an, in der die Oper die eigenen Konventionen und Auswüchse hinterfragt und parodistisch behandelt – in Gestalt einer Oper. Der autoreflexive Akt bezieht sich nun mehr vor allem auf den betrieblichen Aspekt, Persönlichkeiten auf und hinter der Bühne, auf den Rückgang der Kunst angesichts verhärteter Konventionen.


Meta-Oper

Der erste satirische Fausthieb folgt sogleich: »L’impresario delle canarie« von 1724 stützt sich auf »Il teatro alla moda«. Nicht ganz unumstritten, wird das Libretto häufig dem großen Autor ernster Stoffe Pietro Metastasio zugeschrieben. Domenico Sarros gewitzte Vertonung gerät im Teatro San Bartolomeo (dem heutigen San Carlo) in Neapel zu einem großen Erfolg. Die Oper hat einen berüchtigten Vorgang zum Thema: Das Vorsingen und Engagieren einer Primadonna. Diese stellt bei Metastasio immer aberwitzigere Forderungen an den Impresario, bis dieser schließlich nachgibt und einen Blanko-Vertrag unterschreibt. »L’impresario del le canarie« zeigt das satirisch musiktheatralische Potenzial von Marcellos Vorlage und das Libretto wird von vielen weiteren Komponisten vertont. Überhaupt konnte sich Neapel im frühen 18. Jahrhundert zunehmend als Zentrum der komischen Oper behaupten. Mit dem Teatro dei Fiorentini bestand seit 1706 gar erstmals eine große Bühne, die sich ausschließlich der Aufführung komischer Stoffe für ein bürgerliches Publikum widmete. Im Jahre 1772 sollte auf dem Spielplan dieses Teatro dei Fiorentini erstmals der Name Domenico Cimarosa auftauchen. Mit »Le stravaganze del conte« sticht der junge Italiener aus Aversa erstmals in die rauen Gewässer des italienischen Opernbetriebs vor und beginnt sich schon bald einen Namen zu machen als Komponist von humorvollen Opern und reißerischen Farcen. Mit seinem unverkennbaren Gespür für Bühnenstoffe und Komik wendet sich Domenico Cimarosa auch bald Benedetto Marcellos Pamphlet zu. Natürlich musste es Neapel sein: Mit einem Libretto von Giuseppe Maria Diodati, dem Hausdichter des Teatro Nuovo in Neapel, kommt im Jahre 1786 Cimarosas »L’impresario in angustie« auf die Bühne. Der Erfolg ist gewaltig und die zeitgenössische Rezeption drängt vergleichbare Werke wie Mozarts »Schauspieldirektor« oder Salieris »Prima la musica e poi le parole« (alle Werke wurden 1786 uraufgeführt) in den Schatten. Neben den üblichen Intrigen und Verballhornungen bleibt bei Cimarosas »L’impresario« vor allem der unmittelbar satirische Aspekt von Marcellos Schrift erhalten: Hier in Gestalt der geplanten Uraufführung von »Pyrrhus und Andromaché«. Der erhabene historische Stoff, bekanntermaßen vom großen Dramatiker Racine für die Bühne adaptiert, steht hier stellvertretend für alle Absurditäten und Auswüchse der ›Opera seria‹.

Schon bald laufen in ganz Europa verschiedenste »Impresarii« über die Bühne – mal zu einer zweiaktigen ›Opera buffa‹ ergänzt, mal in die Landessprache übersetzt (wie auch in der Mannheimer Aufführung), mal mit neuen Texten und Handlungsänderungen. Der bissige Stoff und Cimarosas lebendige Musik verlangen dem Interpreten in ihrer Unmittelbarkeit und Direktheit geradezu ab, immer wieder neu gedacht zu werden.