- Magazin Klassik
- Radio Klassik Stephansdom
- # 36 / Frühling 2025
- S. 18-21
Antonio Salieri
1750-1825. Die Persönlichkeit eines nicht gewöhnlichen Komponisten
Text: Otto Biba
In: Magazin Klassik, # 36 / Frühling 2025, Radio Klassik Stephansdom, S. 18-21 [Hörermagazin]
Musikerlegenden, biographische Irrtümer, falsche Behauptungen usw., all das kennt man ja, und vieles davon ist nur mühsam auszurotten. Aber kein Komponist leidet unter einer so falsch gezeichneten Darstellung im allgemeinen Bewusstsein wie Antonio Salieri. Dabei hatte er es mit seiner Biographie anfangs besser als die meisten Komponisten aus Barock und Klassik. Sein Freund Ignaz Mosel, einer der Ahnen der modernen Musikwissenschaft, veröffentlichte kurz nach Salieris Tod eine Biographie, akribisch erarbeitet, soweit es damals nur möglich war, und unter Verwendung von Lebenserinnerungen und anderen Aufzeichnungen Salieris, die es nachweislich gegeben hat, die auch von anderen benützt wurden und die heute verloren sind. Dennoch überwucherten bald die Legenden die Fakten, Gerüchte das Wissen und Missgunst die Wertschätzung. Letzteres hing mit der im frühen 19. Jahrhundert auftretenden sogenannten Selbstbehauptung der deutschen Musik gegenüber der italienischen zusammen, also mit den Neid wie Angst hervorrufenden Triumphen Rossinis.
Aber war Salieri überhaupt ein italienischer Komponist? Aus seiner oberitalienischen Heimat kam er 1766 im Alter von sechzehn Jahren nach Wien, wo er eine höhere musikalische Ausbildung erhielt, seine Karriere machte und bis zu seinem Tod lebte. Als Komponist kehrte er nur dreimal nach Italien zurück – erstmals 1778 im Auftrag der Kaiserin und Landesfürstin Maria Theresia, die die Eröffnungsoper für die von ihr errichtete Mailänder „Scala“ bei ihm bestellt hatte, zum letzten Mal 1780. Als Halbwüchsiger und junger Mann hat Salieri in Wien in der Familie seines Entdeckers und Lehrers Florian Leopold Gassmann gelebt, der für guten Deutsch- und Französisch-Unterricht sorgte, er hat 1775 in die wohlhabende Wiener Familie Helferstorfer eingeheiratet und in deren Haus eine Wohnung mit elf Räumen bezogen, in der er bis zu seinem Tod verblieb; seine acht Kinder, von denen fünf die Kindheitsjahre überlebten, wurde deutschsprechend aufgezogen. In Musikerkreisen sprach er, wie damals üblich, meist Italienisch, ansonsten Deutsch. Es gibt keinerlei Hinweise, dass er sich in der italienischen Gemeinde in Wien (in der Wiener Bevölkerung gab es 5–10 %, die italienisch als Muttersprache hatten) exponiert hätte. In einem fast zwanzig Jahre vor seinem Tod geführten Interview fiel der bemerkenswerte Satz Salieris: „Der Herr wird sich wundern, daß ich bin erst über vierzig Jahre in Wien, und kann schon so schlecht deutsch sprechen.“ Er sprach also nicht schlecht, sondern mit dem üblichen Akzent. Salieris fünfzigjährige Anwesenheit in Wien wurde 1816 von Kollegen und Schülern gefeiert; Franz Schubert stellte sich mit einer Festkantate ein.
Wie weit Salieris Musik „italienisch“ ist, darüber mag man trefflich diskutieren, nachdem man das allenfalls Italienische bei Salieri erst einmal definiert hat. Denn in seiner Heimat hat er zwar eine Ausbildung zum Musiker erhalten, Komponist ist er erst nach der Ausbildung bei Florian Leopold Gassmann in Wien geworden. Also: Ein italienischer Komponist oder ein in Italien geborener Wiener Komponist, wie die vielen in den habsburgischen Kronländern geborenen und in Wien groß gewordenen Komponisten? Und die Bühnenwerke? Die meisten haben ein italienisches Libretto, daneben gibt es aber auch deutschsprachige Opern. Alles wie bei Mozart.
À propos Opern: Welche Funktionen hatte denn Salieri in Wien? Erst galt für ihn learning by doing, indem er Gassmann bei allen seinen Funktionen begleitete, manchmal auch vertrat. Nach dessen Tod im Jahr 1774 folgte er ihm als k.k. Kammerkomponist und Kapellmeister der italienischen Oper nach. 1788 wurde er zum k.k. Hofkapellmeister bestellt. Warum nicht Mozart, ist eine oft gestellte Frage. Zum Glück für Mozart, muss man antworten. Denn der Hofkapellmeister hatte überwiegend administrative Funktionen, er war der oberste Musik-Beamte am Kaiserhof. Seine primäre künstlerische Aufgabe war die Leitung der Hofmusikkapelle bei ihren kirchenmusikalischen Funktionen und bei fallweise stattfindenden Hofkonzerten. Für die Kirchenmusik musste er auch komponieren, während Salieri seine Opern über eigens erhaltene Kompositionsaufträge geschrieben hat. Mozart als leitender Verwaltungsbeamter: unvorstellbar. Und Kompositionsaufträge für Opern hat er wie Salieri erhalten. À propos: Nach 1780 schrieb Salieri gar nichts mehr für Italien, aber wohl hatte er neben seinen Opernaufträgen für Wien Auftragsopern für München und Paris zu schreiben.
Salieri war zeitlebens am Kaiserhof tätig, seit 1774 in gut besoldeten Positionen, als Hofkapellmeister bis zu seinem Tod im Jahr 1825. Er war ein treuer Diener seiner kaiserlichen und landesfürstlichen Herren Maria Theresia, Joseph II., Leopold II. und Franz II. (I.). Was dort nicht zu seinen Aufgaben zählte und wofür er keinen Auftrag seiner Dienstgeber hatte, komponierte er nicht. (Verschwindend wenige ausgeführte Kompositionsaufträge für den Hochadel sind nicht mehr als eine Bestätigung dieser Regel und bei seinen Marschmusiken mag man überlegen, ob sie für den Hof oder den Adel bestimmt waren.) Er schrieb nichts für Verleger, nichts für die vielen Aufführungsmöglichkeiten im damals aufblühenden bürgerlichen Musikleben und publizierte nur ganz wenig aus eigenem Antrieb. Kein Wunder, dass es an Kammermusik wenig bis nichts von ihm gibt; in den Jugendjahren geschriebene Streichquartette hat er vernichtet. Wenige Instrumentalkonzerte sind Jugendwerke und für das weite Feld der Orchesterwerke stehen nur eine Symphonie und ein Variationenwerk. Privat, im Freundeskreis, hat er gerne gesungen, dafür schrieb er viele kleine mehrstimmige Vokalmusikstücke, wie Lieder, Kanons, Terzette und Quartette.
Eine ernüchternde Feststellung: Das, was die Musikszene heute brauchen würde, schrieb Salieri nicht oder nur in ganz geringem Maße. Er war Bühnenkomponist (Opern, Ballett- und Schauspielmusiken) und – nach der Zahl der Werke sogar primär – Kirchenmusik-Komponist.
Schon dieses partielle und völlig einseitige Schaffen lässt erkennen: Er stand Mozart nicht im Weg und Mozart nicht ihm. Und in der Opernszene gab es auch keine wirkliche Konkurrenz-Situation. Lorenzo da Pontes Libretto „Così fan tutte“ hätte Salieri vertonen sollen; er legte die Arbeit zurück, und Mozart bekam das Libretto zur Vertonung. Einem Konkurrenten einen solchen Kompositionsauftrag überlassen: Ist das Eifersucht? Im Jahr 1785 vertonten beide eine kleine Kantate als Gemeinschaftsarbeit. Als Kollegen oder als Freunde? Constanze Mozart nannte ihren jüngsten Sohn Franz Xaver bald Wolfgang Amadeus d. J., weil sie ihn als Nachfolger des Vaters in der Öffentlichkeit positionieren wollte. Und von wem ließ sie ihn unterrichten, damit er dem Vater künstlerisch adäquat werde? Von Antonio Salieri. Ein eifersüchtiger Feind des Vaters sollte dafür sorgen, dass der Vater im Sohn fortlebe? Unvorstellbar. Ja, Leopold Mozart war auf Salieri tatsächlich eifersüchtig, wie auf alle, deren künstlerisches Niveau nach seinem Dafürhalten eine Konkurrenz für seinen Sohn hätte darstellen können; aber während er geiferte, hat Wolfgang noch in Salzburg Klaviervariationen über ein Thema von Salieri geschrieben, was immer als eine respektvolle Anerkennung für den Schöpfer des Themas verstanden wurde. Für die vielen 1790 zur Wahl und zum Regierungsantritt Leopold II. anfallenden Krönungs- und Erbhuldigungsgottesdienste hat Salieri drei Messen Mozarts in das Repertoire der Hofmusikkapelle aufgenommen. Eine der drei hat den Beinamen „Krönungsmesse“ erhalten, also dank Salieris Initiative.
In allen Zeugnissen der Zeitgenossen ist vom guten Einvernehmen der beiden, ihrer Kollegialität, ja ihrer Freundschaft die Rede. Als es darum ging, in Wien für Haydn und Mozart ein Denkmal zu errichten, war Salieris Votum dafür ausschlaggebend, dass das Projekt in eine definitive Planungsphase ging. (Nach Salieris Tod wurde es dann doch nicht realisiert.) Ohne Zahl sind die authentisch überlieferten anerkennenden und respektvollen Äußerungen Salieris über Mozart. Und dennoch wird man immer noch darauf angesprochen, ob Salieri wirklich der Feind oder gar der Mörder Mozarts gewesen sei. Ja, in Peter Shaffers (bzw. Milos Formans) „Amadeus“ ist Salieri Mozarts Gegenspieler. Aber in diesem Schauspiel (bzw. Film) geht es ja nicht um Mozarts Biographie, sondern um den Unterschied zwischen Könner und Genie, der eine heißt Salieri und der andere Mozart: Ein genialer Film, aber historisch aufgearbeitet wird von ihm nichts. Und in Japan gibt es aktuell eine Comic-Serie, in der der Bösewicht Salieri heißt. Ist das Grund genug, um zu fragen, ob Salieri böse war? Nein, er war einerseits sehr bieder und häuslich, andererseits fröhlich, mit Freude an kleinen Späßen. Salieri war auch ein begeisterter Lehrer, ohne Angst, dass er einst im Schatten seines Schülers stehen könnte. (Bei seinen Schülern Beethoven und Schubert wurde das tatsächlich so.) Und wer sich den Unterricht bei ihm nicht leisten konnte – wie Franz Schubert – den unterrichtete er kostenlos.
In Salieris letzten Lebensjahren plagten ihn fallweise auftretende Depressionen, aber keine Geisteskrankheit. Eine solche wurde als Gerücht ausgestreut, wie auch die Behauptung, er hätte gestanden, Mozart ermordet zu haben. Der oder die Urheber der Gerüchte waren und sind nicht zu eruieren. Es gibt niemanden, der bezeugt hätte, das selbst von ihm gehört zu haben, oder zu wissen, wer es von Salieri gehört habe. Es wurde darüber gesprochen, man höre, oder es heiße, Salieri habe … Das ist der Ursprung einer Thematik, die zu den bösartigsten Musiklegenden zählt.
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