• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 37 / Sommer 2025
  • S. 24-26

Joshua Guerrero

In dieser Saison hat der amerikanische Tenor mit mexikanischen Wurzeln bereits als Don Carlo an der Wiener Staatsoper geglänzt [...]

Interview: Christoph Wellner

In: Magazin Klassik, # 37 / Sommer 2025, Radio Klassik Stephansdom, S. 24-26 [Hörermagazin]

[...] Opernfans dürfen sich bei den Salzburger Festspielen auf seinen Macduff freuen. In der kommenden Saison wird ein neuer Fokus auf der Rolle des Gabriele Adorno liegen.

 

Sie sind in Las Vegas geboren. Wie sind Sie zum gefeierten Opernstar geworden?

Das war zunächst überhaupt nicht geplant. Ich bin ins Priesterseminar eingetreten und hatte ein Leben als Geistlicher geplant. In dieser Zeit ging es meinem Vater nicht gut und ich musste zurück nach Vegas, um der Familie auszuhelfen. Dafür verließ ich das Seminar und begann, im Venetian Resort Casino zu arbeiten – als singender Gondoliere!

Das hat für die Karriere gereicht?

(lacht) Nein! Natürlich nicht! In unserer Familie wurde immer viel Musik gehört. Und dazu gesungen. Wir dachten immer, das machen alle so. Aber man hat mir Talent nachgesagt. Ich bin relativ naiv an das ganze Entertainment Business herangegangen. Das war gut so, weil ich so mehr an Ratschlägen aufnehmen konnte.

Haben Sie jemals professionell Singen gelernt?

Ich war zuerst einige Zeit in China, danach in LA …

Sagten Sie jetzt China oder Chinatown?

Nein, wirklich China! In Macao. Die Venetian Resorts haben dort ausgebaut. Und sie brauchten singende Gondolieri. Und jemanden, der diese Gondolieri ausbilden konnte. In LA habe ich dann jemanden kennengelernt: eine Gesangsprofessorin, mit der ich einen Deal schließen konnte. Die Studiengebühren in Amerika sind – wie Sie sicherlich wissen – sehr hoch: Die UCLA hat einen Tenor gebraucht, ich habe Wissen und Ausbildung gebraucht … Das waren zwei fruchtbare Jahre. Und der Umstand, dass ich für diese Ausbildung nichts bezahlt habe, ist jetzt sicher verjährt, falls jemand von der UCLA diesen Artikel lesen sollte!

Wie ist es dann weitergegangen?

Ich habe dann ziemlich bald den wunderbaren Bariton Vladimir Chernov getroffen. Er hat mich motiviert, weiterzumachen und weiter zu lernen. Er war meine Brücke nach Europa – speziell nach Österreich. Mittlerweile versuche ich ja sogar, meinen Hauptwohnsitz nach Wien zu verlegen! Wir haben im Laufe von zwei Sommern intensiv gearbeitet – bei der International Vocal Artists Academy of Payerbach. Diese Reihe findet immer noch statt – heuer z. B. von 12. Juli bis 1. August. Stellen Sie sich den mexikanisch-amerikanischen Burschen vor, der zum ersten Mal nach Wien kommt! Es mag sehr kitschig – vielleicht typisch amerikanisch klingen – aber hier ist es mir klar geworden: „The dream was born!“ Ich habe mit Freunden eine Führung durch die Wiener Staatsoper gemacht und heimlich bei mir gedacht: „Vielleicht eines Tages … werde ich hier stehen und singen!“

Das Wien-Debüt hat dann Ende 2022 als Macduff in Macbeth stattgefunden, eine Rolle, die Sie heuer ebenfalls bei den Salzburger Festspielen mit Asmik Grigorian und Vladislav Sulimsky unter Philippe Jordan singen werden. Premiere ist am 9. August. Wie war es damals, im Winter 2022?

Ich bin gerade von Chicago aus nach Frankfurt gekommen, als mich ein Anruf aus Wien ereilt hat: „Schnell, du musst kommen! Wir brauchen einen Tenor!“ Ich habe diesen Macduff dann ohne Schlaf übernommen! Ich habe absolut keine Erinnerung mehr an diesen Abend. Es muss aber funktioniert haben, weil ich noch immer bzw. wieder da bin!

Im Frühjahr waren Sie als Don Carlo in Wien zu hören. Eine Rolle, die fantastisch zu Ihnen, zu Ihrer Stimme passt.

Danke vielmals! Verdi und Tenöre – das passt zusammen. Er ist ein Lehrer für Stimmen, er hält dich ehrlich und bringt dich dazu, besser, schöner und effizienter zu singen. Ich liebe die Rolle des Don Carlo, ich singe sie lieber auf italienisch als auf französisch. Die große Herausforderung ist es für mich, „meinen“ Don Carlo zu finden, da ich den Charakter nicht mag. Er ist mir zu schwach. Bei der Probenarbeit haben wir uns gemeinsam bemüht – sprichwörtlich – die Einsätze zu erhöhen, was die tragische Fallhöhe natürlich auch dementsprechend vergrößert hat.

Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs sind die Spielpläne für die kommende Saison noch unter Verschluss. Ganz unabhängig von konkreten Plänen – welche Verdi-Tenor-Charaktere würden Sie reizen?

Oh, da gäbe es schon einige. Ich warte auf den Radamés oder den Otello, wenn sie für meine Stimme passen. Aber momentan ist mein Liebling der Gabriele Adorno aus Simon Boccanegra. Ich darf noch nicht sagen, wo ich ihn kommende Saison singen werde. Aber ich kann sagen, dass ich ihn singen werde! Ich liebe die komplizierten Charaktere in den prekären Situationen! Nicht den Typus Carlo: Ich bin verliebt, jetzt muss ich dich Mama nennen! Sehr seltsam …

Sie waren im Priesterseminar und tragen hier beim Interview auch deutlich sichtbar ein Kreuz um den Hals. Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Ja, definitiv. Ich bin ein gläubiger Mensch, ein gläubiger Christ. Ich bin aber auch ein kritischer Denker und will – gerade in der heutigen Zeit – auch über die Grenzen denken, sodass wahre Liebe, wahre Toleranz der Leitfaden für die Gesellschaft, für alle Menschen sein können. Das ist nicht etwas, womit ich meine Umgebung missionieren will. Aber mein Glaube ist und war meine Stütze, um meine teilweise turbulente berufliche Entwicklung und Karriere meistern zu können.