- Magazin Klassik
- Radio Klassik Stephansdom
- # 37 / Sommer 2025
- S. 54-55
Musikhistorische Sensation im Wiener Schottenstift
In einem Biedermeierschrank im Museum im Schottenstift befindet sich ein automatisches Flötenwerk, das aus dem Jahr 1820 stammt
Text: Christoph Wellner , Katharina Krusche-Just
In: Magazin Klassik, # 37 / Sommer 2025, Radio Klassik Stephansdom, S. 54-55 [Hörermagazin]
In den letzten Jahren wurde dieses außergewöhnliche Instrument restauriert und konnte wieder zum Spielen gebracht werden. Im Jänner 2025 wurden die nun zur Gänze restaurierten Walzen von radio klassik Stephansdom ins digitale Zeitalter geführt und die Musik auf einer CD dokumentiert.
Bei diesen Tonaufnahmen gab es eine kleine Sensation: Auf einer unbeschrifteten und davor nicht spielbaren Walze ertönten Strauss-Melodien aus „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauss (Sohn). Damit ist dieser Tonträger, der zeitlich nahe an der Uraufführung dieser Strauss-Operette entstanden ist, von großer musikhistorischer Bedeutung: Der Flötenautomat des Schottenstifts erlaubt einen einzigartigen Einblick in die Interpretation von Wiener Musik am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Walze mit Strauss-Melodien ist einer der ältesten Tonträger mit Melodien des Walzerkönigs.
43 Flöten, ein Register, Tonumfang von C bis g2: Das Flötenwerk des Schottenstifts, das 1832 im Speisezimmer der Prälatur erstmals inventarisiert wurde, war großteils gut erhalten. Alle Flöten sind original, ebenso der Blasbalg (mit Signatur: „Jos. Hain in Wien 1820“), die Montage, etc. Am meisten gelitten hatte der Antrieb, der im Lauf der Zeit einige grobe Reparaturen über sich ergehen lassen musste.
Und dennoch hatte dieser Automat vermutlich schon einige Jahrzehnte lang keinen Ton mehr von sich gegeben, bevor im Herbst 2017 seine Wiederherstellung in Angriff genommen wurde. In einem ersten Schritt wurde das Instrument, dann die insgesamt 28 Walzen restauriert – wobei glücklicherweise alle 28 Walzen spielbar gemacht werden konnten, was aufgrund des Alters des Instruments vorab nicht als gesichert galt. Die Restaurierung der Walzen war dank der Unterstützung von Sponsoren aus dem Absolventenverein des Schottengymnasiums, den Altschotten, möglich.
Von den insgesamt 28 Walzen sind sechs einheitlich beschriftet und mit „I“ bis „VI“ nummeriert. Diese sechs Walzen dürften die Erstausstattung gewesen sei. Danach wurde die Sammlung über drei Jahrzehnte hinweg sukzessive erweitert, denn die jüngsten Musikstücke datieren aus den späten 1840er-Jahren. Dabei gibt es jedoch einen Ausreißer: Eine Walze unterscheidet sich schon rein formal von den anderen Walzen – sie ist als einzige nicht beschriftet und der verwendete Draht ist etwas stärker.
Als Mitte Jänner 2025 in Zusammenarbeit mit radio klassik Stephansdom die Tonaufnahmen für eine (Doppel-)CD mit den Musikstücken des Flötenautomaten erfolgten, sorgte genau diese Walze für eine kleine Sensation. Denn auf der seit Jahrzehnten nicht gespielten Walze ertönten Strauss-Melodien: „Her die Hand, es muss ja sein“ sowie der „Schatz-Walzer“ aus der Operette „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauss (Sohn). Die Walze spielt außerdem das „Fiakerlied“ von Gustav Pick (wie auch „Der Zigeunerbaron“ im Jahr 1885 komponiert) sowie ein bisher noch nicht genau identifiziertes Musikstück, das allerdings auch Anspielungen auf Teile des Zigeunerbarons aufweist.
„Was für ein spannender Fund ausgerechnet im Johann-Strauss-Jahr 2025: Die Musikstücke dieser Walze ermöglichen uns einen einzigartigen Einblick in die Interpretation von Wiener Musik am Ende des 19. Jahrhunderts. Diese Art von Automaten sind gleichsam akustische Zeitkapseln, authentische Interpreten aus längst vergangener Zeit“, sagt Abt Nikolaus Poch OSB. Und weiter: „Wir freuen uns sehr, dass das Schottenstift damit einen der ältesten Tonträger von Strauss-Melodien beheimatet.“ Bei der Präsentation der CD Anfang März waren nicht nur die Sponsoren im Museum im Schottenstift zu Gast, sondern auch Prof. Eduard „Edi“ Strauss, der wie Johann Strauss Sohn ebenfalls im Schottengymnasium in die Schule gegangen ist.
Auf den 28 Walzen des Flötenwerks des Schottenstifts sind – abgesehen von den Strauss-Melodien – neben vielen anderen Musikstücken z. B. Melodien aus den Opern „Tancredi“ und „Othello“ von Gioachino Rossini zu hören. Erstere wurde 1813 in Venedig, zweitere 1816 in Neapel uraufgeführt. Die Wiener Erstaufführungen erfolgten 1817 und 1819. Ein Jahr später wurde der neue Flötenautomat zusammen mit Walzen dieser Opern in die Prälatur des Schottenstifts geliefert. Auch im Schottenstift war man damit am musikalischen Puls der Zeit. Interessant und bezeichnend ist, dass sich die Äbte lieber mit aktueller Opernmusik umgaben als mit geistlicher Musik – wie es in deutschen Pastorenhäusern durchaus üblich war. Norddeutschland war damals ebenfalls Zentrum für Flötenuhren und Flötenautomaten. In der Sammlung im Schottenstift sind auch Werke von Mozart, Schubert und Weber enthalten.
CD-Tipp
Die produzierte CD mit dem Titel „Der Flötenautomat des Abtes Andreas“ ist nicht nur Hörgenuss und musikalische Zeitreise zugleich, sondern auch eine wissenschaftlich wertvolle Dokumentation. Erhältlich ist die CD exklusiv im Klosterladen des Schottenstifts (Freyung 6, 1010 Wien) sowie im Online-Klosterladen (www.klosterladen.at).
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- Radio Klassik Stephansdom
- # 37 / Sommer 2025
- S. 54-55
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