Ad notam
Text: Thomas Höft
In: Das verwunschene Glück, 2025, Styriarte, S. 9-13 [Programmheft]
Die wichtigste Aufgabe eines Monarchen neben seinen Pflichten, sein Reich zu führen, ist es, die eigene Dynastie zu erhalten. Als deshalb Margarita, die geliebte Ehefrau des Kaisers Leopold I., hochschwanger vom Pferd stürzt und kurz darauf stirbt, muss unbedingt rasch eine Nachfolgerin gefunden werden, die den dringend erwarteten Thronfolger garantiert. Leopold und Margarita hatten sich wirklich geliebt – eine Seltenheit in Zeiten dynastisch erzwungener Verbindungen, die auf die persönlichen Gefühle aller Beteiligten auch nicht im geringsten Maße Rücksicht nahm – aber einen Sohn hatten sie nicht bekommen.
Leopold I. kommt 1658 auf den Kaiserthron. Zwei gefährliche Feinde bedrohen seine Herrschaft: die Osmanischen Heere im Osten und der ehrgeizige französische König Ludwig XIV. Die größte Gefahr ist jedoch das drohende Aussterben der Familie Habsburg, deren Herrschaft in Spanien zu Ende geht. Nur ein Sohn kann Habsburgs Vormachtstellung in Europa retten.
Deshalb laufen sofort die Mechanismen an, schnell eine neue Gemahlin zu finden. Zwei Kandidatinnen sind die aussichtsreichsten: Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg und Erzherzogin Claudia Felicitas von Tirol, eine Cousine zweiten Grades des Kaisers. Letztere sollte eigentlich James von York, den späteren König von England, ehelichen, doch waren die Verhandlungen darüber im Sande verlaufen.
Die nun einsetzenden Intrigen um die neue Braut des Kaisers bilden die Grundlage für vieles, was wir heute in der Oper „Das verwunschene Glück“ erleben können. Obersthofmeister von Lobkowicz, der entscheidende Strippenzieher am Wiener Hof, hatte sich nämlich vorgenommen, Claudia Felicitas zu verhindern. Er versucht, dem Kaiser einzureden, diese Kandidatin sei ausgesprochen hässlich und für eine Ehe einfach nicht geeignet. Denn die Berichte, die es über die junge Frau gibt, sind für den Wiener Hof nicht gerade verlockend. Claudia Felicitas sei überaus selbstbewusst, eine sehr sportliche, gute Reiterin und zudem der Musik sehr zugetan. Allerdings auch abhängig von ihrer überaus dominanten Mutter, die schon seit Jahren versucht, ihre Tochter an ein europäisches gekröntes Haupt zu vermitteln – auch, um dadurch selbst an Ansehen und Einfluss zu gewinnen. Zudem hat Fürst Lobkowicz durchaus ein Eigeninteresse an einer Verbindung zu Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg, sind seine familiären Bande doch eng mit ihr verknüpft. Aber in Ferdinand von Dietrichstein muss Lobkowicz einen starken Gegenspieler erkennen. Der Obersthofmeister der verstorbenen Kaiserin hat eine eigene Favoritin: Claudia Felicitas. Und nach vielen Intrigen setzt Dietrichstein sich schließlich durch und wird damit beauftragt, die kaiserliche Eheschließung mit Claudia Felicitas zu organisieren.
Die steht jedoch in Wien formal vor großen Problemen. Dort gilt ein strenges Protokoll: Ein Jahr muss nach dem Tode einer Monarchin die „Klag“, also die Staatstrauer, gehalten werden. Unmöglich kann man diese für ein Freudenfest wie eine Hochzeit vorzeitig beenden. In Graz allerdings ginge das formal durchaus. Und so wird die Hochzeit in die Steiermark verlegt. Einen Tag vor der Trauung im Dom wird die Staatstrauer aufgehoben, und über Nacht verwandelt sich die Hofgesellschaft, die bis dahin Schwarz trug, in eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft.
Und all das ist nicht etwa generalstabsmäßig geplant, sondern rundweg improvisiert. Die Braut wird ins eilig fertiggestellte Schloss Eggenberg einquartiert. Dort hatte sich gerade ein ernster Erbschaftskrieg entschieden. Die Brüder Johann Christian und Johann Seyfried von Eggenberg hatten sich nach dem viel zu frühen Tod ihres Vaters Johann Anton von Eggenberg einen jahrelangen Streit um das väterliche Erbe geleistet. Ein Testament, das eine Erbteilung verhindert hätte, war unter rätselhaften Umständen verschwunden und so wurde 1672 beschlossen, die Besitztümer aufzuteilen. Der jüngere Bruder, Johann Seyfried, bekam den Eggenberger Teil und somit auch das Schloss zugesprochen. Dass Maria Elisabeth, die ältere Schwester der beiden streitenden Brüder Eggenberg, mit Fürst Dietrichstein verheiratet ist, spielt nun die zentrale Rolle für die Verlegung der Hochzeit nach Graz. Denn beide können Johann Seyfried schnell davon überzeugen, das Schloss für die Kaiserin bereitzustellen.
Johann Seyfried ist dabei verständlicherweise hoch nervös, wie die wunderbaren Dokumente in der parallel zu unserer Opernaufführung in Schloss Eggenberg gezeigten Ausstellung „Ambition & Illusion“ belegen. Johann Seyfried schreibt seinem Schwager Fürst Dietrichstein: „Hochgeborner Fürst, inbesonders hochgeehrter Herr Schwager, Euer Liebden vergeben mirs, dass ich mich unterstehe, dieselben anzusprechen um die Erinnerung, wieviel Personen eigentlich Ihro Majestät mitbringen und wer aller in dem G’schloss solle einlogiert werden? Wann ich aber die Gnad haben kunnte, dass Euer Liebden die Kurier etwas ehender abschickerten, wär mir sehr lieb, damit wann etwas zu ändern war, man noch adjustieren könnte.“
Und der ruhige, souveräne Dietrichstein antwortet: „Hochgeborner Fürst, insonders hochgeehrter, freundlich vielgeliebter Herr Schwager. Ich hab Euer Liebden schon einmal meine Meinung überschrieben, bei welcher ich nochmalen bleibe, dass Euer Liebden Ihro Majestät die Kaiserin keineswegs kostenfrei halten sollen. In dero Kuchel aber könnten Sie etwas von Wildprät, frischen G’flügelwerch, Fischen und Früchten geben lassen, wie viel von jeder Sorten wird meine Gemahlin erinnern können … Schießen können Sie lassen, so viel Sie wollen, doch wann man nahe zu Eggenberg kommt, so muss man ein wenig innehalten, auf dass die Esel und Roß in denen Sänften nicht scheuch werden, hernach aber kann geschehen, wie Sie es angeordnet werden haben. Dass nur auf denen Stiegen genug Lichter sein, wie auch auf denen Gallerien.“
Und so geschieht es. Mehr als 90 Kutschen mit illustren Hochzeitsgästen, Garderegimenter und Musik begleiten die Braut unter Kanonendonner und Glockengeläut von Eggenberg in die Stadt. Auch auf den Bühnen feiert man das hohe Brautpaar. Die Jesuiten bieten mit dem Drama „Cyrus“ eine Festaufführung, die sich zu Nutze macht, dass Felicitas, der Name der Kaiserin, übersetzt „Glück“ heißt. In dem Stück vertreibt das Glück die dunkle Nacht.
Dietrichstein und sein Umfeld, das sich gegen Lobkowicz durchgesetzt hat, ist wahrscheinlich auch verantwortlich für die Wahl der Hochzeitsoper, die Antonio Draghi auf ein Libretto von Hofdichter Nicolò Minato komponiert. „Gl’Incantesimi disciolti“ heißt das Stück, das es in sich hat. Dort buhlen nämlich die Personifikationen der „Zuneigung“ und der „Selbstsucht“ um die Allegorie des „Glückes“, also die Kaiserin selbst. Und niederträchtige Hofschranzen wie „Der Neid“ und „Die Lüge“ versuchen, die Hochzeit der Guten zu verhindern. Mit hässlichen Zaubersprüchen verhexen sie das Glück, und erst die Weisheit (Vernunft) kann die Nebel der Verwirrung zerstreuen und das richtige Paar zusammenführen.
Kaiser Leopold war diese Oper so wichtig, dass er eine Kopie davon in seiner berühmten „Schlafkammer-Bibliothek“ aufbewahrte. Allerdings enthält diese Handschrift nicht die gesamte Oper, sondern nur die Gesangsstimmen und den Bass sowie einige Stichnoten zu den Ritornellen. Die Instrumentalstimmen fehlen völlig, und auch die Ballettmusiken, die Johann Heinrich Schmelzer für die Uraufführung im Park des Grazer Lustschlosses Karlau komponierte, sind nicht erhalten. Für unsere Aufführung hat Michael Hell die Instrumentalstimmen rekonstruiert und um Mittelstimmen und Orchestersatz ergänzt. Und die Ballette sind aus anderen erhaltenen Partituren von Johann Heinrich Schmelzer zusammengestellt sowie um einige herausragende Instrumentalsätze von Komponisten aus dem Eggenberger Umfeld ergänzt: Giovanni Valentinis hypnotische Sonata enharmonica, Heinrich Ignaz Franz Bibers triumphale Sonata I a otto und Philipp Jakob Rittlers herrliche Ciaccona für zwei Trompeten und Streicher. Rittler war zur Zeit der Kaiserhochzeit Kapellmeister am Eggenberger Hof und es ist durchaus wahrscheinlich, dass er einen musikalischen Beitrag zu den Hochzeitsfeierlichkeiten leistete.
Ganz besonders berührend ist, dass der hochmusikalische Kaiser Leopold I. selbst eine Arie zu seiner Hochzeitsoper beisteuerte. Die Arie „Chi non vede mal si fida“ für die Rolle des Glückes steht an einer entscheidenden Stelle der Oper. Das Glück ist blind geworden und klagt die Lüge an, sie verzaubert zu haben. Dazu gesellt sich eine Solo-Violine als Echo zur Sopranstimme und umspielt die Gesangslinien ausgesprochen elegant.
Es fällt nicht schwer, hinter den Figuren der Oper Karikaturen der echten Hofgesellschaft zu vermuten. „Neid“ und „Lüge“ spielen sicherlich auf Obersthofmeister von Lobkowicz und seine Intrigen gegen Claudia Felicitas an. Und das bricht dem einst so mächtigen Mann letztlich auch das Genick. Nur wenig später wird er vom Hofe entfernt.
Von all den Gerüchten und Intrigen wissen wir vor allem aus den Berichten, die Giovanni Chiaromanni, der Wiener Resident des Florentiner Hofes, nach Hause übermittelte. Tatsächlich war die Ehe zwischen Leopold und Claudia Felicitas sogleich ausgesprochen glücklich. Denn die junge Erzherzogin liebte die Musik so wie der Kaiser selbst. Sie bestand darauf, zu den Feierlichkeiten ihrer Hochzeit selbst zu singen und sich dabei auch noch selbst auf dem Cembalo zu begleiten, was den Kaiser besonders bezaubert, wohl aber nicht Teile der Wiener Hofgesellschaft, die die ganze Angelegenheit außerordentlich degoutant finden. Eine Kaiserin, die singt – das geht gar nicht. Claudia Felicitas aber lässt sich die Musik nicht verbieten. Leider wird auch ihre Ehe mit dem Kaiser nicht lange Bestand haben, nur drei Jahre nach der Grazer Hochzeit stirbt auch sie gerade einmal knapp 23 Jahre alt.