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  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 39 | Winter 2025
  • S. 12-13

Richard Heubergers „Der Opernball“

Ein Operettenschwindel?

Text: Monika Jaroš

In: Magazin Klassik, # 39 | Winter 2025, Radio Klassik Stephansdom, S. 12-13 [Hörermagazin]

Um kaum eine andere Operette ranken sich so viele Gerüchte wie um Richard Heubergers „Der Opernball“ (1898). Eines handelt von der Entstehung des Hauptschlagers „Geh’n wir ins Chambre séparée“, seit der 1. Verfilmung von 1939 besser bekannt als „Komm mit mir ins Chambre séparée“. Geigenvirtuose Fritz Kreisler zufolge sei Heuberger eines Tages „ziemlich erregt“ mit einer neuen Partitur im Café Griensteidl aufgetaucht und habe den dort ansässigen Künstlerstammtisch – im Volksmund auch als „Café Größenwahn“ bekannt um Hilfe angefleht:

Ein Prosadialog sei in Walzerform zu bringen. Hugo Wolf habe aus eigenem Unvermögen abgelehnt, aber stattdessen ihn, Kreisler, als geeigneten Kandidaten einer solchen Transformation vorgeschlagen. Während der ebenfalls anwesende Hugo Hofmannsthal den Text entsprechend adaptiert habe, hätte Kreisler „schnell einige Takte des Liedes“ hingeworfen. Mit den Worten „Gar nicht schlecht!“ sei der überglückliche Heuberger schließlich von dannen geeilt. Die Geburt eines Welthits – zumindest, wenn es nach Fritz Kreisler geht.

Doch nicht nur die berühmteste Nummer aus dem „Opernball“ soll jemand anderer komponiert haben – Nämliches wird auch von der Ouvertüre behauptet. Also ausgerechnet jene beiden Stücke, die bis heute ein erfolgreiches Nachleben führen, werden Richard Heuberger abgesprochen. Wie kommt das?


Der Operettenprofessor

Richard Heuberger – 1850 in Graz geboren, 1876 aufgrund beruflicher Neuorientierung von Ingenieur auf Musiker nach Wien übersiedelt, daselbst Chorleiter, Komponist, Musikkritiker, Pädagoge und Musikschriftsteller (Stichwort: Schubert-Biographie). Lesen sich diese Berufsfelder in dieser Abfolge recht unauffällig, bargen sie zu Heubergers Lebzeiten jede Menge Zündstoff.

So wurde dessen Freund Robert Fuchs bereits scheel angesehen, weil der arrivierte Konservatoriumsprofessor auch als Komponist ernsthafte Ambitionen hegte – zwei Seelen, die nach Meinung der Zeitgenossen nicht in einer Brust zu wohnen hatten. Heuberger war nun nicht nur Pädagoge, sondern noch dazu Rezensent – also jemand, der über Musik anderer zu richten pflegte. Und so einer wolle plötzlich selbst zu den schöpferischen Geistern gehören? Spätestens mit seinem Aufstieg zu Eduard Hanslicks Stellvertreter bei der „Neuen Freien Presse“ wurde Heuberger in eine Kritiker-Machtsphäre katapultiert, die seiner Komponistenkarriere enormen Schaden zufügte. 

Dem „Operettenprofessor“ traute man eben eher nüchterne, abgewogene Urteile, wissenschaftlich korrekte Zitate oder das Verfassen pädagogisch wirksamer Lehrwerke zu als das Schreiben eingängiger Melodien. Hanslick behauptete unverblümt: „Heuberger schreibt geistreich und witzig (als Kritiker) und dabei natürlich. Er komponiert geistreich, witzig und am liebsten unnatürlich.“ Für Jugendfreund Wilhelm Kienzl war klar: „Ja, es sieht sich eine solche Doppelposition, wie Du sie einnimmst, schöner an, als sie ist, denn sie muß stark bezahlt werden …“ Und Heuberger bezahlte. Auf der einen Seite beneideten Rezensenten ihren Kollegen um dessen musikalische Einfälle. Auf der anderen fühlten sich Komponisten von dem Kritiker entweder ungerecht beurteilt oder neideten ihm dessen Einfluss über Wohl und Wehe ihrer eigenen Werke. An Feinden mangelte es Heuberger demnach wahrlich nicht. Ein prominentes Beispiel dafür ist Johann Strauss Sohn.

Seit einer Besprechung Heubergers von dessen „Ritter Pásmán“, in der der bekennende Strauss-Verehrer Heuberger lediglich das „Mosaik der Partitur“ bekrittelt hatte, war der Walzerkönig nicht nur verstimmt, sondern spuckte sprichwörtlich Gift und Galle. Bis zu seinem Tod verstieg sich Strauss in seinem Hass zu missgünstigen und, wie selbst Strauss-Biographen zugeben mussten, verlogenen und ordinären Verbalinjurien auf Heuberger. Zu seinem Glück tat er dies ausschließlich in privatem Rahmen, wie gegenüber seinem Schwager Simon. In einer dieser schriftlichen Äußerungen bezichtigte Strauss Heuberger sogar (ungerechtfertigterweise) des Plagiats – justament bei dessen Erfolgsoperette „Der Opernball“. Wie steht es nun tatsächlich um die Autorschaft Heubergers an diesem Werk?


Schwindel-Reigen

Was die Kreisler-Geschichte über die Entstehung des „Chambre séparée“-Evergreens anbelangt, lässt sich diese relativ rasch als Humbug entlarven. Heuberger zählte weder zu den Griensteidl-Stammgästen, noch stand er mit den genannten Protagonisten in einem derart engen Freundschaftsverhältnis wie Kreisler es kolportierte – schon gar nicht mit Hugo Wolf.

Ein solches wäre aber zweifellos nötig gewesen, um einen renommierten Musikkritiker wie Heuberger dazu zu bewegen, sich in der Öffentlichkeit die Blöße zu geben, um Komponierhilfe dieser Art anzusuchen. Also ein harmloser Jux à la Kreisler, der es ja bekanntlich auch mit der Autorschaft bei einigen seiner eigenen Repertoirenummern nicht so genau genommen hat.

Im Fall der „Opernball“-Ouvertüre ist der Vorwurf, Heuberger sei nicht deren Urheber, jedoch weitaus weniger leicht zu entkräften. Schon rund um die Premiere des „Opernballs“ wurde es als offenes Geheimnis gehandelt, dass Alexander von Zemlinsky den in Zeitnot geratenen Freund und Förderer unterstützt habe. Als Entlohnung hätte eine Kiste Zigarren den Besitzer gewechselt. Und wirklich:

Die Ouvertüre strotzt nur so von der Notenfolge d-e-g, dem musikalischen Motto Zemlinskys, das er über Jahrzehnte in seinen Kompositionen verwendete, u. a. am Beginn seines 2. Streichquartetts (1913). Doch macht die Verwendung dieser Notenfolge die „Opernball“-Ouvertüre deshalb automatisch zu einem Werk Zemlinskys?


Die Wahrheit – und nichts als die Wahrheit?

In der Originalpartitur des „Opernballs finden sich tatsächlich mehrere Handschriften. Anders als bei Mozarts Requiem, wo Süßmayr in geradezu unheimlicher Manier seine Schreibweise an jene seines Lehrers anzupassen wusste, sind die Handschriften von Heuberger und Zemlinsky deutlich voneinander zu trennen. Eines der auffälligsten Merkmale ist Heubergers „verkehrte“ Art, den Bassschlüssel wie ein „C“ zu notieren.

Fazit: Ja, Zemlinsky hat Heuberger geholfen, und zwar nicht nur beim „Opernball“, sondern auch bei etlichen weiteren Bühnenwerken bis hin zu dessen 1902 entstandener Operette „Das Baby“. Dabei beschränkte sich seine Mitarbeit stets auf die Instrumentierung, also eine Form der Unterstützung, was damals zur gängigen Praxis zählte. Zemlinskys Hand lässt sich übrigens nur im 1. Akt des „Opernballs“ nachweisen; in der zur Diskussion stehenden Ouvertüre finde sich keinerlei Hinweis auf seine Beteiligung. Das bedeutet, auch wenn Heuberger seinen fulminanten Erfolg mit dem „Opernball“ nie zu wiederholen vermochte, so stammt dieses Werk doch gänzlich aus seiner Feder – der Feder eines „Operettenprofessors“.


Nachsatz

Bereits kurz nach der Premiere erschienen die gängigsten „Opernball“-Melodien in unzähligen Bearbeitungen. Eine davon trug den Titel „Mitternachtsglocken“ und avancierte zu einem Paradestück für Geiger. Sie stammt von Fritz Kreisler.

 

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Radiotipp

OPERNABEND

Richard Heuberger „Der Opernball“
12. Februar 2026, 20.00 Uhr