Styriarte 2020
Hurra, wir leben
Wie die styriarte-Familie durch die Corona-Zeit gekommen ist
Text: Matthias Wagner
In: Magazin, Kleine Zeitung / Juni 2020, Styriarte, S. 4-5 [Publikumszeitschrift]
“ihr lieben, im moment braucht man uns wirklich nicht.
bleibt gesund. mh“
Das sind die Worte, die im Hause styriarte den tiefsten Punkt des Corona-Tals
markieren. Sie stehen in einer E-Mail des Intendanten, ausgeschickt am Sonntag,
dem 15. März.
Am 16. März hätte Alfredo Bernardini mit recreationBAROCK die „Wassermusik“
spielen wollen, doch daran war nicht zu denken. So wie überhaupt an gar nichts
zu denken war, während die Bilder aus Italien immer entsetzlicher wurden. Wann
die Kunst wieder aufsperren würde, wusste zu diesem Zeitpunkt niemand. Ob es
die styriarte dann noch geben würde, auch nicht.
Drei Tage nichts
„Die ganze
Welt bleibt zuhause. Vielleicht können wir etwas daraus lernen“, hat Maestro
Bernardini damals gesagt. Heute können wir ziemlich genau formulieren, was wir
aus dieser Zeit gelernt haben. Nämlich Folgendes: Die Kunst fragt nicht nach
ihren Bedingungen, wenn sie wirklich etwas zu sagen hat. Sie muss.
Ungefähr drei Tage währte die Stille im Haus. Dann
beschlossen wir, die seltsamen Bedingungen anzunehmen – und die Kunst nicht
verstummen zu lassen. Wozu gibt es denn neue Medien, wenn nicht genau für
diesen Moment?
Das Quarantäne-Musikalbum
„Lasst euch nicht entmutigen!“, lautete die zentrale
Botschaft der ersten Beiträge, die wir via Internet an unser Publikum
weiterleiten durften. Sie kamen von jenen styriarte-Familienmitgliedern, die
von der Corona-Krise am existenziellsten getroffen wurden und werden – den Musiker*innen. „recreation
IN QUARANTÄNE“
hieß unsere Serie, die immerhin auf
stattliche 21 Folgen gekommen ist. Von Mozart solo bis Piazzolla im Quartett
reichte das Repertoire, immer hübsch
pixelig mit Handykameras gefilmt und irgendwie zu kleinen Filmchen
zusammengeschnipselt. Die Kunst fragt nicht nach ihren Bedingungen. Schon gar
nicht, wenn es ums nackte Überleben geht.
Es lebe Italien – und unser Publikum
Am unmittelbarsten spürten wir das, als uns Ivan Calestani
auf dem Fagott sein todtrauriges „Va, pensiero“ spielte – den Gefangenenchor
aus „Nabucco“, als Gruß aus dem Wiener Studierzimmer an die verlorene Heimat
Italien. Was er als erstes tun werde, wenn dieser Spuk vorbei ist? „Ich fahre
heim und sage: Mamma, ich bin da. Arme (sic!) mich!“ Wir waren hin und weg.
Übrigens: An diesem Tag Ende März lief unser Hilfsfonds für jene Musiker*innen,
die durch den Ausfall der Konzerte zum Teil ohne jedes Einkommen dastanden (und
zum Teil immer noch stehen), bereits auf Hochtouren. Deutlich über 100.000 Euro
hat unser Publikum bis zum heutigen Tag gespendet. Es ist ein Akt der
Solidarität, der unseren Glauben an die Menschlichkeit erneuert hat. Und das
ist keine Übertreibung.
Lämmchen Corona und die heilige Greta
Letztlich ist es genau dieser Glaube, der uns alle umtreibt:
Musizierende, Veranstaltende, Publikum. Außerdem glauben wir an eine Zukunft,
in der unser Planet noch bewohnbar ist. Deshalb wollten wir unser
PSALM-Osterfestival, gewidmet der großen Heiligen unserer Tage, Greta Thunberg,
auch nicht ersatzlos streichen. Viel zu wichtig seien die Inhalte dieser sieben
Konzerte, als dass man sie einfach ungesagt lassen könnte, befanden wir. Und
improvisierten im Heimbüro ein PSALM-Kurz°lmfestival, natürlich mit
Handyvideos. Das Motto, angelehnt an Gretas Weltrettungs-Bewegung: „For Future.
Please hold the line …“ Unsere Lieblingsszenen: Miriam Anderséns musikalischer
Spaziergang im schwedischen Elfenwald; Eddie Luis’ wundersame Verzehnfachung
zur Wohnzimmer-Big Band. Und natürlich das Lämmchen „Corona“, das mit
Seelenruhe auf des Intendanten Schoß saß, während dieser unseren Online-PSALM
eröffnete.
Die Sternstunde
Seelenruhe. So lautete auch das Stichwort für unser letztes
– und größtes – Abenteuer während der Krise. Gerd Kühr, Komponist und Mensch
von Weltformat, hatte in der häuslichen Quarantäne eine „Corona Meditation“ für
Klavier geschrieben. Der fantastische Clou daran: Das Stück im wahnsinnig
langsamen Tempo (Viertel = 37) ist so konzipiert, dass es von beliebig vielen
Klavieren via Internet-Liveschaltung gemeinsam gespielt werden kann. Am 30.
April, dem letzten Tag der Ausgangsbeschränkungen, haben unsere Techniker*innen
den Zauber realisiert – zusammen mit 58(!!!) Pianist*innen aus aller Welt. Wir
behaupten nicht, sondern wir wissen: Diese Uraufführung
war eine Sternstunde der Gegenwartsmusik, geboren aus der Nulllinie des
kulturellen Lebens.
Worauf
warten?
Per aspera
ad astra. Ohne Scheintod keine Sternstunde, oder so ähnlich. Wir sind
deshalb dankbar für alles. Aber noch dankbarer sind wir dafür, dass unseres
Lebens Pulse wieder anfangen durften zu schlagen. Live. Von Angesicht zu
Angesicht mit Ihnen, liebes Publikum. Wir wissen es nicht ganz sicher, aber wir
behaupten: Wir waren zwischen Wien und Bregenz die Allerersten, die das
Konzertleben wieder aufgesperrt haben. Am 29. Mai, mit einem dreifachen Apéro
zur styriarte 2020, die am 1. Juli beginnen wird. Wird sie tatsächlich! Hurra,
wir leben.
- Quelle:
- Magazin
- Styriarte
- Kleine Zeitung / Juni 2020
- S. 4-5
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