- Foyer5
- Landestheater Linz
- # 17 | September/Oktober 2020
- S. 42-45
Premierenfieber
Coming Out auf der Operettenbühne
Franz Schubert und Franz von Schober, die sich als Paar "Schobert" nannten, verband wohl mehr als nur Freundschaft
Text: Christoph Blitt
In: Foyer5, # 17 | September/Oktober 2020, Landestheater Linz, S. 42-45 [Publikumszeitschrift]
WAS GESCHAH (MÖGLICHERWEISE) WIRKLICH IM DREIMÄDERLHAUS?
Was haben – abgesehen von ihrem musikalischen Wirken – Komponisten wie Jean-Baptiste Lully, Arcangelo Corelli, Georg Friedrich Händel, Franz Schubert, Camille Saint-Saëns, Peter I. Tschaikowsky, Karol Szymanowski, Francis Poulenc, Aaron Copland, Samuel Barber, John Cage, Benjamin Britten oder Hans Werner Henze gemeinsam? Nun, besagte Herren waren auf erotischem Felde dem eigenen Geschlecht mehr zugetan als der holden Weiblichkeit. Korrekterweise muss bei dieser Aufzählung angemerkt werden, dass es vor allem bei den in früheren Jahrhunderten geborenen Tonsetzern zum Teil kaum noch möglich ist, ihre Homosexualität durch gesicherte Dokumente zu belegen. Dennoch stützen in allen Fällen zahlreiche Indizien diese Annahmen. Zu fragen bleibt aber sicherlich, ob die sexuelle Orientierung überhaupt einer Erwähnung bedarf. Denn sollte es nicht egal sein, wem ein Mensch seine Liebe schenkt?
Gleichwohl war es in früheren Zeiten, und ist es heute leider zum Teil auch immer noch so, dass man als Schwuler entweder mit Diskriminierung und Repressalien konfrontiert ist, oder zumindest seine Beziehung zu einem Mann nicht mit der gleichen Offenheit und Selbstverständlichkeit ausleben kann, wie das bei heterosexuellen Partnerschaften der Fall ist. Mit anderen Worten: Das eigene Schwulsein erfasst und berührt immer auch weiter reichende Bereiche eines Lebens, als lediglich die Frage, zu welchem Geschlecht ich mich hingezogen fühle. So gesehen wundert es nicht, wenn etwa schwule Komponisten diesen Aspekt ihrer Existenz und ihres Charakters auch mit und in ihrer Kunst reflektieren.
Man denke hier etwa an Tschaikowsky, dessen Tagebücher ein eindrückliches Zeugnis davon ablegen, wie sehr der Komponist unter der gesellschaftlichen Ächtung seiner Homosexualität litt. Wie weit diese Ausgrenzung gehen konnte, dokumentiert die These, dass Tschaikowsky von einem geheimen Feme-Gericht wegen seiner Beziehung zu einem Adligen zum Selbstmord verurteilt worden sein soll. Somit spricht einiges dafür, dass der Komponist in seiner tragisch-düsteren sechsten Sinfonie, die den bezeichnenden Beinamen Pathétique trägt, genau diese Auswirkungen einer derartigen Stigmatisierung auf die eigene Psyche mit Hilfe der Musik zu verarbeiten sucht. So sprach jedenfalls Tschaikowsky selbst davon, dass diese Sinfonie ein Programm habe, das für alle ein Rätsel bleiben solle.
Bei Franz Schubert ist es zweifelsohne so, dass es – wie bereits angedeutet – keine gesicherten Beweise für seine Homosexualität gibt. Gleichwohl stößt man hier auf zahlreiche Indizien, die eine eindeutige Sprache sprechen. Und nicht zuletzt kündet – als emotional überzeugendstes Argument – sein Werk von einem Begehren abseits eines heteronormativen Mainstreams. So gibt es in seinem Liedschaffen zahlreiche textliche Anspielungen und Chiffrierungen homosexuellen Begehrens und Liebens. Und auch seine Opern, die bezeichnenderweise bis heute im Schatten seines übrigen Schaffens stehen, entwerfen oftmals erfrischend ungewöhnliche Perspektiven für Formen des zwischenmenschlichen Zusammenseins. Denn nicht nur erzählt Schubert etwa in Adrast, Die Bürgschaft oder Fierrabras von intensiven Männerfreundschaften, sondern er plädiert auch in manch anderer Oper für nachgerade verstörend unkonventionelle Lebensentwürfe. Sind diese zwar, der damaligen Konvention folgend, heterosexuell ausgerichtet, so legen sie doch von Schuberts freigeistiger Haltung, die viel mit seinem Schwulsein zu tun haben könnte, ein beredtes Zeugnis ab. Erinnert sei hier nur an sein letztes, unvollendetes Opernprojekt Der Graf von Gleichen, in dem die drei Hauptfiguren (zwei Frauen, ein Mann) übereinkommen, sich zu dritt ein Bett zu teilen. Kein Wunder, dass die Zensurbehörde hier einschritt.
Doch Schubert litt nicht nur als Komponist wie auch als wahrscheinlich homosexuell Liebender zu seinen Lebzeiten unter den strengen Repressalien der restriktiven Ära des Fürsten Metternich. Auch die Nachwelt ging erschreckend unsensibel mit seinem Denken und Begehren um, wenn eben die zweifelsohne vorhandenen und erkennbaren Indizien für sein Schwulsein nicht nur ignoriert wurden (und zum Teil bis in die heutige Zeit immer noch ignoriert werden), sondern darüber hinaus zahlreiche Versuche gestartet wurden, Schuberts Biografie in eine heterosexuelle Richtung zu verbiegen. Vor allem die Trivialliteratur ließ nicht davon ab, dem Komponisten unterschiedliche Liebhaberinnen im wahrsten Sinne des Wortes „anzudichten“. Einen Höhepunkt auf diesem Felde stellt zweifelsohne Rudolf Hans Bartschts 1912 erschienener Roman Schwammerl dar, dessen ungeheure Popularität den Komponisten Heinrich Berté 1916 inspirierte, dieses Buch unter dem Titel Das Dreimäderlhaus für die Operettenbühne zu adaptieren. Auch dieses Unterfangen erfreute sich alsbald größter Beliebtheit beim Publikum, die sich auch in manchen Verfilmungen niederschlug. Doch mittlerweile sollte es an der Zeit sein, dieses zwanghafte Beharren auf einer, historisch in keinster Weise verbürgten, Heterosexualität Schuberts aufzubrechen. Und so freut sich das Landestheater, in Angelika Messner eine Librettistin gefunden zu haben, die mit leichtem Herzen, einschmeichelndem Wiener Charme, frischem Humor und vor allem mit der nötigen Unverkrampftheit dem Dreimäderlhaus eine textliche Neufassung hat angedeihen lassen. Nun ist es nicht mehr das verschmitzte Hannerl, sondern sein Freund Schober, der dem Komponisten in dem titelgebenden Dreimäderlhaus den Kopf verdreht. Und Ola Rudner hat dazu in seiner musikalischen Neufassung Bertés Arbeitsweise, in dieser Operette auf Originalkompositionen Schuberts zurückzugreifen, noch ausgeweitet. So kann man mit einem zwinkernden Auge den Theaterbesucher*innen zurufen: Soviel Schubert war noch nie im Dreimäderlhaus wie jetzt in Linz!
DAS DREIMÄDERLHAUS
OPERETTE IN DREI AKTEN
MUSIK NACH FRANZ SCHUBERT FÜR DIE BÜHNE BEARBEITET VON HEINRICH BERTÉ
TEXT VON ALFRED MARIA WILLNER UND HEINZ REICHERT NACH DEM ROMAN „SCHWAMMERL“ VON RUDOLF HANS BARTSCH
NEUFASSUNG VON OLA RUDNER (MUSIK) UND ANGELIKA MESSNER (TEXT)
Produktion des Oberösterreichischen Opernstudios
Premiere 4. Oktober 2020
BlackBox Musiktheater
Inszenierung Gregor Horres
Bühne Elisabeth Pedross
Kostüme Renate Schuler
Dramaturgie Christoph Blitt
Mit Tina Jäger (Haiderl), Jana Markovic (Hederl), Hedwig Ritter (Hannerl), Michael Daub (Johann Michael Vogl), Peter Fabig (Christian Tschöll), Etelka Sellei (Lucia Grisi) u. a.
Statisterie des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz
Der verwitwete Hofglasermeister Tschöll hat es schon nicht leicht: Denn gleich auf drei Töchter, die gerade flügge werden und es dabei faustdick hinter den Ohren haben, aufzupassen, kann zu einer schweißtreibenden Angelegenheit werden. Leicht hat es auch der hoffnungsvolle Komponist Franz Schubert nicht, der mit seinem Freund Franz Schober bei Tschöll zur Untermiete wohnt. Denn der lebenslustige Schober nimmt es mit der Treue zu seinem Schubert nicht immer so genau. Als dann noch der Hofopernsänger Vogl mit Hilfe seiner resoluten Kollegin Grisi meint, dem Lotterleben bei den beiden Franzls ein Ende bereiten zu müssen, und als Tschölls jüngste Tochter Hannerl zwischen die erotischen Fronten gerät und zusätzlich noch der Frühling mit seinem Fliederduft die Hormone in Wallung bringt, ist ein emotionales und libidinöses Chaos im Dreimäderlhaus vorprogrammiert.
Weitere Vorstellungen
9., 14., 16., 24., 26., 29. Oktober 2020, weitere Termine auf landestheater-linz.at
72. Sonntagsfoyer
Einführungsmatinee | 11. Oktober 2020, 11.00
HauptFoyer Musiktheater
- Quelle:
- Foyer5
- Landestheater Linz
- # 17 | September/Oktober 2020
- S. 42-45
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