• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 7 | Winter 2017/18
  • S. 12-13

Er war Erster, kein Letzter!

Interview: Christoph Wellner

In: Magazin Klassik, # 7 | Winter 2017/18, Radio Klassik Stephansdom, S. 12-13 [Hörermagazin]

Zum 100. Geburtstag von Gottfried von Einem am 24. Jänner 2018 hat Christoph Wellner mit Otto Biba, dem Vorlass- und Nachlassverwalter von Einems gesprochen. Von ihm wurden auch die Zitate des „Componisten“ aufgezeichnet, die den Fragen vorangestellt werden. 


Warum ich Musik schreibe? Weil ich keine andere Begabung habe, als durch Töne und Klänge das zur Wirklichkeit zu machen, was ich ausdrücken will. 
Gottfried von Einem

CW: Als Archivdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien hatten Sie den Vorlass Gottfried von Einems übernommen und sind nun seit Jahren der Nachlassverwalter. Sie sind auch Vorstandsmitglied der Gottfried von Einem Musik-Privatstiftung. Wie würden Sie von Einem als Komponisten charakterisieren?

OB: Der ganz junge von Einem hat in einem Artikel bereits eine sehr interessante und für ihn bis zuletzt gültige Aussage formuliert: Komponisten brauchen Auftragswerke, weil sie wissen müssen, für wen sie komponieren. Das betrifft den Auftraggeber und das betrifft die Interpreten. Das ist keine Form der Anbiederung, das ist jene Art der Kommunikation, die für von Einem essentiell war. 

Ich möchte mit meiner Musik nicht schockieren.
Gottfried von Einem

CW: Wie würden Sie Gottfried von Einem historisch einordnen?

OB: Für viele war er „der Letzte“ – der letzte tonal komponierende große Komponist, der mit all den neuen Strömungen – Stichwort Donaueschingen oder Darmstadt – nichts zu tun haben wollte. Aber er war eigentlich – auch weil er so ein toleranter Lehrer war – „der Erste“. Er war der erste Komponist, der gesagt hat, dass man mit der „alten Technik“ des Komponierens durchaus weiter machen kann. Somit hat er die Epoche der Postmoderne sicher mitverantwortlich eingeläutet.

Ich komponiere tonal, weil ich Musik liebe und nicht Misuk.
Gottfried von Einem

CW: Warum konnte Gottfried von Einem so wenig mit der für ihn zeitgenössischen Moderne anfangen?

OB: Gerne hat er sich wider den Stachel gelöckt. Er hat sich sehr viel Gedanken über die Ordnung – auch beim Komponieren – gemacht. Aber die Ordnung, die er gesucht hat, war die Natur. Er hat sich schon mit der Zwölftontechnik beschäftigt und probiert – konnte aber nichts damit anfangen. Gottfried von Einem hat sich jede neue Entwicklung seiner Zeit angesehen… Um dann kräftig darüber zu schimpfen! 

Ich schreibe für das Publikum! Mein Partner ist das Publikum. Rücksichtnahme kenne ich nicht. Ich schreibe, was ich schreiben muss.
Gottfried von Einem

CW: Gottfried von Einem hat mit seinen Opern „Dantons Tod“, „Der Prozess“ und „Der Besuch der alten Dame“ nicht nur hervorragenden Geschmack bei der Auswahl der literarischen Vorlagen bewiesen, sondern auch einen Tonfall in der Musik gefunden, der beim Publikum sofort gewirkt hat. Was hat sich beim Publikum oder am Geschmack verändert, dass diese Werke heute nicht öfter auf den Spielplänen stehen?

OB: Es ist oft so, dass ein Komponist nach seinem Tod in ein Wellental des Vergessens gerät. Der 100. Geburtstag von Gottfried von Einem ist vielleicht eine Gelegenheit, Ihre Frage laut zu stellen und mit dem Programm von Staatsoper, Theater an der Wien und den Salzburger Festspielen im Jahr 2018 neu zu beantworten: Die drei erwähnten Opern sind alle im Jubiläumsjahr zu sehen und zu hören. Vielleicht halten sie sich? 

Komponieren löst wunderbare Gefühle aus.
Gottfried von Einem

CW: Welche Stücke würden Sie Gottfried von Einem-Neulingen empfehlen?

OB: Ich würde mit „Dantons Tod“, dem „Stundenlied“ – wahrscheinlich eines der genialsten Chorstücke überhaupt – und dem „1. Streichquartett“ beginnen.