• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 7 | Winter 2017/18
  • S. 28-30

Stockhausen

Interview: Christoph Wellner

In: Magazin Klassik, # 7 | Winter 2017/18, Radio Klassik Stephansdom, S. 28-30 [Hörermagazin]

Am 5. Dezember 2007 verstarb mit Karlheinz Stockhausen einer der bedeutendsten, aber auch kontroversesten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein Einfluss auf nachfolgende Generationen von Musikern ist legendär – und manifestiert sich u.a. durch seine Abbildung am Cover des Albums „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ der Beatles. Kathinka Pasveer war und ist eine der wichtigsten  Interpretinnen der Musik von Stockhausen, heute arbeitet sie auch für die Stockhausen- Stiftung in Kürten. Mit ihr hat Christoph Wellner ein Interview geführt, das um Zitate des Komponisten ergänzt wurde. 

CW: Zur Nachwirkung der Musik Stockhausens. Es gibt meiner Wahrnehmung nach keinen anderen Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der so oft als Einfluss genannt wird wie Stockhausen. Und das weit über den eigentlichen Kreis der Spezialisten der modernen Musik hinaus. Was macht(e) diesen Einfluss aus?

KP: Stockhausen war ein „Generator“, kein Imitator wie so viele andere Komponisten. Alles, was sich stilistisch leicht imitieren lässt, war ihm suspekt. Er hat versucht, eine Welt zu bauen, die so eigenartig und auch komplex wie nur möglich war, und nicht so simpel, dass sie irgendjemand einfach imitieren und verwaschen kann. Ich denke, dass diese Haltung viele andere kreative Musiker inspiriert hat.
 

Man sollte alles dafür tun, dass die Musik sich wirklich erneuert durch die Mittel, die die jeweils moderne Technologie zur Verfügung stellt, um differenziertere, originellere Klangwelten zu schaffen — koordiniertere, kohärentere, balanciertere, abenteuerlichere, geheimnisvollere, phantastischere: alles Begriffe, die angeben, wozu die Technik eigentlich dient. Schönheit, die fremd ist: Fremde Schönheit. 
Zitat Stockhausen
Aus: Elektroakustische Aufführungspraxis, 1991


CW: Wie war es mit Stockhausen zu arbeiten? Von ihm sagt man, dass er wie kaum ein anderer absolut  präzise Vorstellungen vom Klang, der Aufführung, der Wirkung seiner Werke gehabt hat. War er  ein guter Lehrer?

KP: Er war ein wunderbarer Lehrer, denn er wusste genau was er wollte. Er hatte immer eine ganz konkrete Vorstellung davon wie seine Musik klingen sollte und so konnte man wochenlang an neuen Werken proben – bis alles bis ins kleinste Detail stimmte. Er machte dauernd noch Änderungen bis dann nach vielen Proben und Aufführungen endlich eine Partitur gedruckt werden konnte. Er war ein Perfektionist, humorvoll und immer mehr als 100% bei der Sache. Das habe ich geliebt!
 

Der nächste Schritt wäre — wenn ich noch einmal wiedergeboren werden sollte (sagen wir mal lieber „wollte“) hier auf der Erde oder unter ähnlichen Bedingungen, mit der Erinnerung und mit dem Bewusstsein, das ich jetzt habe —, dass ich mit 21 Jahren anfangen würde, ein einziges Werk zu schaffen, bis ich sterbe.
Zitat Stockhausen
Aus: Astronische Epoche, 1988


CW: Betrachtet man die Ideen zu Zyklen wie beispielsweise LICHT (sieben Opern für die sieben Tage der Woche) oder KLANG (24 großformatige Werke für die 24 Stunden des Tages) aus nüchterner Distanz, stellt sich die Frage, ob Stockhausen nicht total größenwahnsinnig war?

KP: Würde man den Architekten des Kölner Doms größenwahnsinnig nennen, einen Architekten der einen Plan verfasst für ein großes Gebäude, dessen Fertigstellung er selbst zu Lebzeiten nicht erleben würde? Nein! Stockhausen hatte eine Vision einer großen Form, in der alles mit allem in Beziehung steht.

CW: Stichwort: Formelkomposition. Wie funktioniert diese Technik? Kann man das als erweiterte Form der Leitmotivik sehen?

KP: Die Formel ist mehr als leitmotivisches oder psychogrammhaftes Zeichen, mehr als fortzuspinnendes Thema oder generierende Reihe: die Formel ist Matrix und Plan von Mikro- und Makroform, zugleich aber psychische Gestalt und Schwingungsbild einer supramentalen Manifestation. Die Formel ermöglicht die Durchkomposition aller musikalischen und sogar bis dahin vermeintlich nicht-musikalischen Bereiche zum Zweck einer immer weiter ausgreifenden Musikalisierung. 


Multimedia-Tipp

www.radioklassik.at/ stockhausen/klingelton

Mit freundlicher Unterstützung der Stockhausen-Stiftung bietet radio klassik Stephansdom am 5. Dezember 2017, dem zehnten Todestag des Komponisten, exklusiv die ersten Töne seiner revolutionären elektronischen Komposition „GESANG DER JÜNGLINGE“ als kostenlosen Download an. Das ganze Stück ist auf CD 3 der Stockhausen-Gesamtedition und so wie alle CDs der Musik von Stockhausen online bei www.stockhausencds.com erhältlich.