• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 7 | Winter 2017/18
  • S. 36

Komponistenporträt

George Frederick Bristow

„Westwärts ho!“ mit Amerikas frühem „Klassiker“

Text: Monika Jaroš

In: Magazin Klassik, # 7 | Winter 2017/18, Radio Klassik Stephansdom, S. 36 [Hörermagazin]

Priester, die hymnensingend durch die Lande ziehen, Sklaven, die auf Plantagen melodisch ihr Leid klagen und mitten drinnen Beethoven, Mendelssohn & Co. Überspitzt formuliert dürfte die Klangwelt Nordamerikas bis ins 19. Jahrhundert in etwa so ausgesehen haben. Erst 1854 stellten zwei Komponisten ein System öffentlich in Frage, in dem Musik aus Europa der eigenen vorgezogen wurde. William Henry Fry und George Frederick Bristow brachten im Zuge einer legendären Zeitungsfehde die damalige Bastion deutschösterreichischer Programmgestaltung, die New Yorker Philharmoniker, dazu, Werke Einheimischer zu berücksichtigen. Dass Bristow seinen Posten als Konzertmeister kündigte und damit drohte ein Konkurrenzorchester zu gründen, dürfte nicht unwesentlich zu dieser Entscheidung beigetragen haben, war er doch in New York ein bekanntes Gesicht. Seit seinem elften Lebensjahr ausübender Musiker, war er überall zu finden, wo es Musik gab. Ob als Pianist, Organist, Chorleiter („New York Harmonic Society“, „Mendelssohn Society“) oder gefragter Violinist – Bristow spielte im wahrsten Sinne des Wortes im Konzertleben seiner Zeit die „erste Geige“.

Zudem kannte in New York buchstäblich jedes Kind den Mann mit dem Abraham Lincoln-Bart. Bis zu seinem Tod 1898 lehrte der unermüdliche Tausendsassa an Grundschulen Generationen von Schülern wie man musiziert und was gute Musik überhaupt ist – seine eigene eingeschlossen. Bristow war sowohl Vorreiter in puncto geregelter Musikunterricht (anfangs wurden nur 10 Minuten pro Tag zugestanden, und das bei rund 100, oft verschiedensprachigen Zöglingen!) wie vehementer Verfechter amerikanischer Musik. Im Gegensatz zu den „Boston Six“ wollte er eine national gefärbte Tonsprache finden. Er ließ Columbus in einer Ouvertüre die „Neue Welt“ entdecken, den Niagarafall symphonisch eindrucksvoll vor sich hinrauschen, Pioniere frohgemut gen Westen aufbrechen, den sie nach einem nicht allzu blutrünstig verlaufenden Kampf mit Indianern im Kantaten-Happyend auch erreichen, verarbeitete in der Ode „The Great Republic“ die patriotischen Lieder „Hail Columbia“ und „The StarSpangled Banner“ und bediente sich als Erster eines amerikanischen Opernsujets („Rip van Winkle“). Nomen est omen? Der nach Händel benannte Künstler vermochte es trotz aller Mühen nie, sich von seinen europäischen Vorbildern zu lösen und so war Bristows größter Verdienst weniger musikalischer denn ideeller Natur. Sein unbeirrbarer Glaube daran, dass es eines Tages eine genuin amerikanische Kunstmusik geben würde, verlieh anderen den nötigen Pioniergeist – ganz nach dem Motto: „Westwärts ho!“


Radiotipps

Blick über den Großen Teich
04. bis 10. Dezember 2017 in radio klassik am Nachmittag

Wer war & wie klingt?
9. Dezember, 09.05 Uhr
DaCapo 11. Dezember, 20.00 Uhr