• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 8 | Frühjahr 2018
  • S. 14-16

Wer war Hans Swarowsky?

Interview: Christoph Wellner

In: Magazin Klassik, # 8 | Frühjahr 2018, Radio Klassik Stephansdom, S. 14-16 [Hörermagazin]

Der Dirigent, Pianist und Gründer der Haydn Sinfonietta Wien, Manfred Huss, legt heuer die komplett überarbeitete und erweiterte Neuauflage des Buches „Wahrung der Gestalt“ vor, in dem er den schriftlichen Nachlass von Hans Swarowsky publiziert hatte.

CW: Wer war Hans Swarowsky?

MH: Swarowsky war in gewissem Sinne ein verspäteter Renaissance-Mensch, der sich in so vielen Gebieten nicht nur interessiert und betätigt hat, sondern auch kompetent war. Gemeinhin kennt man ihn heute als den großen Dirigier-Lehrer. Aber in Wahrheit war das nur eine Nebenbeschäftigung für ihn – das ist nicht in abwertendem Sinne gemeint, sondern in puncto Zeitaufwand. Er hat so unglaublich viel dirigiert, mehr als 3000 Abende in nicht einmal 50 Jahren!

CW: Wie kommt es, dass Swarowsky von so vielen Menschen hauptsächlich als „Lehrer“ und nicht als „Dirigent“ wahrgenommen wird?

MH: Diese vor allem in Wien traditionelle Sichtweise auf Swarowsky ist nicht zutreffend. Künstler – Menschen ganz allgemein – werden aber nach ihrem Tod oft anders als zu Lebzeiten wahrgenommen: Wird die Sichtweise auf das Wesentliche konzentriert – in diesem Fall die musikalische Leistung des Dirigenten, ungetrübt von optischen oder persönlichen Einflüssen – so hört sich so manches anders an. Vielleicht können wir mit diesem Buch und den im Zusammenhang damit geplanten Aktivitäten die Sichtweise wieder etwas zurechtrücken.

CW: Es gibt auch bei vielen Klassikfans die weit verbreitete – aber völlig falsche! – Meinung, dass es von Swarowsky keine Aufnahmen gibt.

MH: Er hat gleich nach dem Krieg sehr viel aufgenommen (seine ersten Schallplatten entstanden mit dem Berliner Staatsopernorchester 1935, also einige Jahre vor Karajan). Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass er offenbar die falschen Labels ausgewählt hat, die nicht überlebt haben. Dadurch sind viele Aufnahmen von Hans Swarowsky heutzutage schwer zugänglich und am CD-Markt nicht erhältlich.

CW: Wenn man eine LP oder CD mit Hans Swarowsky entdeckt, muss man aber aufpassen...

MH: Es gab leider einen kriminellen Schallplattenproduzenten, der nach dem Tod Swarowskys (teils selbst dirigierte) Aufnahmen unter dem Namen Hans Swarowsky versehen hatte. Zu erkennen sind sie an den „fantasievollen“ Orchesternamen – und natürlich an der weniger guten, langweiligen und teils schlampigen Interpretation!

CW: Swarowsky hat auch über Musik geschrieben?

MH: Er hat sehr gerne geschrieben, hatte einen eigenen pointierten Stil – und er hat wahnsinnig viel geschrieben, allein dieser Teil seines künstlerischen Nachlasses wäre eines „echten“ Schriftstellers würdig. Meistens schrieb er über Musik: Fragen der Interpretation, Fragen des Dirigierens, stilistische und kulturhistorische Betrachtungen, Portraits von Komponisten, eigene Erinnerungen an bedeutende Persönlichkeiten u.a. Richard Strauss oder Schönberg. In Form von Aufsätzen, Essays oder Vorträgen – das meiste auf wahrhaft literarischem Niveau, ganz im pointiert-polemischen und kritischen Stil Schönbergs oder Adornos.

CW: Swarowsky war auch Übersetzer...

MH: Diese Facette seiner Person ist eher unbekannt. Swarowsky war einer der wichtigsten Übersetzer italienischer Opernlibretti ins Deutsche. Alle bekannten deutschen Fassungen der großen Verdi- und Puccini-Opern sind von ihm. Er war auch sehr an Kunstgeschichte interessiert – er hat das ja auch (genauso wie Psychologie) studiert. Viele seiner Studenten erinnern sich an sein Bonmot, dass er „mehr von Kunstgeschichte verstünde, als von Musik“ und Vorlesungen der Dirigentenklasse ins Wiener Kunsthistorische verlegte.

CW: Heuer wird die Neuauflage Ihres Buches „Wahrung der Gestalt“ erscheinen. Das war in dieser Form eigentlich so gar nicht geplant?

MH: Wir haben an einer englischen Übersetzung gearbeitet. Beim Sichten des bereits publizierten, aber auch des unpublizierten Materials bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das vorhandene Buch erst „zukunftsfit“ gemacht werden muss.

CW: Was bedeutet das?

MH: Die Erstauflage erschien vor knapp 40 Jahren. Man schreibt Bücher heute anders, man druckt sie anders. Wir hatten damals zu wenige Notenbeispiele im Buch. Niemand kann so viel Repertoire im Kopf haben. Ich habe auch einiges an Erklärungen in Form von Fußnoten hinzugefügt und Manuskripte aufgenommen, die 1979 nicht publiziert wurden – u.a. zu Richard Strauss oder Mozart beispielsweise. So erscheint nun bei der Universal Edition die revidierte Ausgabe auf Deutsch, dann wird die englische Übersetzung folgen, zu Jahresbeginn 2019 kommt dann noch eine italienische Fassung – auf Wunsch und mit Unterstützung der Fondazione Claudio Abbado. Im übrigen wird seit vielen Jahren an der Wr. Musikuniversität durch Prof. Reinhard Kapp die Biografie Hans Swarowskys wissenschaftlich erforscht, die durchaus überraschenden und ungewöhnlichen Ergebnisse werden ebenfalls bis 2019 (beim Böhlau Verlag) publiziert.