• Magazin
  • Styriarte
  • Dezember 2020
  • S. 8-9

Von Clowns und Asketen

Kann Kunst die Welt verbessern?

Text: Thomas Höft

In: Magazin, Dezember 2020, Styriarte, S. 8-9 [Publikumszeitschrift]

Vor ein paar Tagen – der heraufziehende Klimawandel zauberte einen blauen Spätsommerhimmel in den Kölner November – lief ich beschwingt aus der Stadt zu Fuß nach Hause. Und weil ich seit einiger Zeit immer mutiger werde, meiner Freude an extravaganter Mode auch im alltäglichen Leben Ausdruck zu verleihen, hatte ich ein paar besondere Sachen an: eine weiße Sommerhose, auf die in leuchtenden orange-blauen Linien ein Wellenmuster gedruckt ist, dazu blaue Sneakers mit großen Luftpolstern, die sich nicht nur so anfühlen, sondern auch aussehen, als würde man auf Wolken laufen, eine gellend orangerote Windjacke, und als Höhepunkt eine schreiend gelbe Basecap, auf der rote Stofffinger das Victory-Zeichen in die Luft recken. 

In einer ruhigen, baumüberwölbten Allee nahe meiner Wohnung rollte mir ein kleines Mädchen auf seinem Dreirad entgegen. Als sie mich sah, leuchteten ihre Augen. Und obwohl ihre Mutter noch versuchte, sie festzuhalten, fuhr sie mir direkt in den Weg, schaute zu mir hoch und rief, mit einer Stimme zwischen Ungläubigkeit und Überwältigung: „Bist Du etwa … ein CLOWN?“ Und während die Mutter erbleichte, antwortete ich der über das ganze Gesicht lachenden Kleinen: „Natürlich. Aber ich bin außer Dienst, ich habe meine rote Nase zu Hause vergessen!“

Der Künstler als Clown 
Das Zweite war natürlich geschwindelt. Aber ansonsten fand ich mich ziemlich gut getroffen und keineswegs beleidigt. Was sicher auch daran liegt, dass ich die Rolle des Clowns anders betrachte als viele Leute. Viele Künstlerkolleginnen von mir fühlen sich regelrecht herabgesetzt, wenn ich behaupte, als Künstler eine Art Clown zu sein. Nehmen mir übel, dass ich anscheinend freiwillig den hehren oder übergroßen Auftrag der Kunst verspotte. Aber das scheint mir ein Irrtum zu sein. Und ich mag gerne erzählen, warum.

Humor und Lachen entstehen aus Distanz. Ein Clown, ein Hofnarr oder eine Künstlerin haben das Glück (und vielleicht auch den Schmerz), nicht wirklich dazuzugehören. Irgendwie hat sie das Leben, haben sie andere oder sie sich selbst ein wenig außenvor gelassen. Und von der Seitenlinie des Seins haben sie es leichter, zu erkennen, was vor sich geht und können davon erzählen. Und trotzdem Menschen zum Lachen bringen.

Auf der Seitenlinie der Gesellschaft? Manche Kolleginnen finden diese Ortszuweisung empörend. Haben sie nicht alles getan, um „systemrelevant“ zu sein? Ich hingegen fände es sehr unfrei, systemrelevant arbeiten zu müssen. Machen eine medizinisch-technische Assistentin oder ein Busfahrer einen Fehler, sind Gesundheit und Wohlergehen von anderen bedroht. Machen eine Geigerin oder ein Schauspieler Fehler, passiert: gar nichts. Das kann man beim besten Willen nicht systemrelevant nennen, zum Glück. Und zum Trost: Die meisten anderen Berufe sind es auch nicht.

Kunst ist käuflich
Allerdings verfügen wir über ein mächtiges Werkzeug. Das ist die Kunst ohne Zweifel. Die Macht der Rede, der Bilder, der Musik – das sind keine Phrasen, sie haben oft genug die Weltgeschichte verändert. Nur sind sie, wie jede Waffe, völlig wertneutral. Sie funktionieren im Guten wie im Bösen.

Was folgt daraus? Dass wir die Macht der Kunst verantwortungsvoll nutzen sollten. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Vor allem, wenn die Kunst – wie beinahe alles – käuflich ist. Und so haben Künstler*innen über Jahrtausende und bis heute alles und jeden verschönt und gepriesen, von skrupellosen Päpsten über gnadenlose Könige bis hin zu psychopathischen Diktatoren. Sie haben furchtbaren Ideologien die nötige Überzeugungskraft verliehen und immer wieder den Blick auf Wahrheiten durch bezaubernde Lügen verblendet. 

O ja, es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten. Und eine davon hat mich schon lange so beeindruckt, dass ich davon erzählen möchte. Der deutsche Bildhauer und Maler Erich Reischke ist als junger Mensch in die Fänge der Nazis geraten und wollte als Flieger in den Krieg ziehen. Zum Glück hat die Kapitulation ihn davor gerettet, und so konnte er auf Einladung von Karl Prantl bei den ersten Bildhauersymposien in St. Margarethen dabei sein. Er wurde berühmt. Furchtbarerweise aber stürzte seine Frau bei einem Besuch im Steinbruch von St. Margarethen einen Abhang hinunter und kam dabei um. Und der Künstler empfand – so erzählte er es mir später – dass er sich zum zweiten Mal im Leben geirrt und sein Herz an die falschen Dinge gehängt habe. 

Als ich ihn kennenlernte, lebte er als Ökobauer ganz asketisch ohne Strom und Heizung. Vor dem Eingang seines windschiefen Hauses stand eine Steinstele, auf der zu lesen war: „Wir sind noch keine Menschen im humanistischen Sinne“. Ja, er malte und meißelte noch immer, aber man konnte nichts von ihm kaufen. Wenn man Glück hatte, dann tauschte er ein Kunstwerk ein, gegen einen Kuchen oder eine neue Säge. Meist aber verschenkte er die Sachen einfach. „Ich selbst bin mein Kunstwerk“, sagte er, und war sich sicher, dass man einzig sich selbst verändern müsse, um die Welt zu verändern.

Als Mathis Huber mich fragte, ob ich darüber schreiben wolle, wieso ich glaube, dass Kunst die Welt verbessern könne, habe ich zuallererst an Erich gedacht. Ich glaube, ernster kann man seinen Auftrag als Künstler kaum nehmen. Es sei denn, man ist ein Narr. Und das ist doch wirklich eine schöne Wahl, die man als Künstlerin hat: Asket zu sein oder Clown.


THOMAS HÖFT arbeitet in sehr unterschiedlichen Bereichen der Kunst, er kuratiert Themenausstellungen, schreibt Sachbücher und wurde mit Theaterstücken, Opernlibretti und Musiktheaterregie bekannt. Seit 1994 ist er einer der Dramaturgen im Hause styriarte.