- PROspekt
- Theater Erfurt
- # 2 | Dezember 2016 - Februar 2017
- S. 14-15
Premiere
„Da kann man nicht Nein sagen!“
Enrico Lübbe über seine Inszenierung von Alban Bergs Wozzek
Interview: Lorina Strange
In: PROspekt, # 2 | Dezember 2016 - Februar 2017, Theater Erfurt, S. 14-15 [Publikumszeitschrift]
Was
verbindet Sie mit Erfurt?
Ich habe bisher noch nicht hier gearbeitet, aber ich bin
sehr neugierig auf Erfurt – und habe sehr positive erste Eindrücke bekommen. Die
werde ich dann hoffentlich in der Probenzeit vertiefen können.
Wie kommt
es dann jetzt zu der Zusammenarbeit?
Guy Montavon hat mich gezielt für Wozzeck angefragt,
und da konnte ich nicht Nein sagen: das Libretto, die Musik ... Und darüber,
dass Joana Mallwitz am Pult steht, habe ich mich auch sehr gefreut.
Bisher
haben Sie sich auf das Schauspiel konzentriert. Warum jetzt Oper?
Eigentlich komme ich viel eher von der Musik. Ich habe eine
langjährige klassische Musikausbildung, hätte Musik studieren können. Während
meines Studiums der Theaterwissenschaft bin ich ans Schauspiel Leipzig
engagiert worden, durfte schnell an großen Bühnen arbeiten und dort Fuß fassen.
Das Musiktheater reizte mich aber auch schon immer sehr, einige Opern habe ich
auch bereits inszeniert. Ich finde es herausfordernd, in das „Korsett“ aus
Libretto und Partitur hinein zu inszenieren. Im Schauspiel kann man sehr frei
mit Zeit und Rhythmus umgehen, in der Oper ist die Dauer der Szenen und
Vorgänge durch die Musik vorgegeben. Ich genieße diese starke Grundstruktur.
Sie haben
Büchners Woyzeck schon als Schauspiel inszeniert. Was reizt Sie an dem Stoff?
Die Figur des gehetzten, von seiner Umwelt in die Not
getriebenen Menschen interessiert mich persönlich schon immer. Ich finde, dass dieses
Thema hier in der Musik und der Textfassung, die Berg aus Büchners Fragment
herausgearbeitet hat, sehr zugespitzt ist.
Die Musik
von Berg ist sehr komplex und kann bis ins kleinste Detail analysiert werden. Was
war für Sie der erste Höreindruck? Kann man die Musik auch nur emotional wahrnehmen,
oder muss man strukturiert hören?
Im ersten Moment habe ich tatsächlich „nur“ emotional gehört
– diese sehr atmosphärische, expressionistische Musik. Das strukturierte Hören
kam im Laufe der Beschäftigung.
Wie sind
Sie an die Oper herangegangen?
Ich musste meine Schauspielinszenierung aus dem Kopf
herauskriegen, um hier frisch ranzugehen. Bergs Oper und Büchners Fragment, so
wie ich es im Schauspiel inszeniert habe, sind etwas anderes. Bei einer
Schauspielinszenierung ist es bereits ein wesentlicher konzeptioneller Schritt,
aus dem Fragment eine eigene Spielfassung zu erstellen. Alban Bergs Oper ist
bereits eine abgeschlossene Fassung, die sehr klare Vorgaben macht. Berg hat
alles extrem genau notiert, und je länger ich mich damit beschäftigte, desto
deutlicher wurde mir, wie präzise und kunstfertig diese Oper komponiert ist.
Was ist
ein konkreter Unterschied zum Schauspiel?
Beim ersten Hören fiel mir sofort der Schluss auf: Bergs
Epilog auf Wozzeck, dreieinhalb Minuten großartige Instrumentalmusik, ein echtes
Highlight! Gefolgt von der Ringelreihen- Szene der Kinder, die Berg aus
Büchners Fragment entwickelt hat und die vielleicht zum Gespenstischsten und
Brutalsten gehört, was ich aus der Opernliteratur kenne. Und auffällig bei Berg
ist, dass man allein mit Realismus und Psychologie seiner Oper nicht nahekommen
kann. Es sind zum Teil sehr zeichenhafte, entrückte Figuren. Diese Form der Distanz
gibt der Geschichte eine große, überzeitliche Dimension. Und dieser Sicht stehe
ich sehr nahe.
Ja, die
gesamte „Menschheitstragödie“, wie es häufig heißt.
Mit einem eindimensional heutigen, ausschließlich ökonomiekritischen
Ansatz kommt man bei beidem, Text und Oper, glaube ich, nur begrenzt weit.
Aber ist
die Thematik denn nicht sehr zeitgemäß?
Klar, das Getriebene und Gehetzte, das Zerriebenwerden von
Arbeit, Zeit, Geld, menschlichen Abgründen ist natürlich sehr heutig! Aber das
ist nur ein Teilaspekt. Wichtig ist auch: Es ist nicht etwa Wozzeck der
Verrückte unter lauter Normalen. Alle Figuren, nicht nur Wozzeck, haben tiefe
Angst und sehnen sich nach Anerkennung und Liebe. Wozzeck ist in dieser
Gesellschaft meist der Schwächste. Und der Schwächste wird in solchen
Gesellschaften aus Angst gerne zum Opfer gestempelt bzw. zum Schuldigen. Auch
das findet man heute sehr häufig. Aber in der Inszenierung sehr konkret eine
heutige Gesellschaft auf die Bühne zu stellen, fände ich zu eindimensional. Wenn
man sich für nur eine Richtung entscheidet, schließt man gleichzeitig viele
andere Interpretationen und Denkräume aus. Im Idealfall erschaffen wir eine
Welt, aus der sich der kluge Zuschauer das herausnimmt, was ihn persönlich
trifft, ohne dass er es eins zu eins von mir vorgesetzt bekommt.
Wie lässt
sich das in der Inszenierung realisieren?
Wir werden versuchen eine Zeitlosigkeit zu erarbeiten, eine
stilisierte, zeichenhafte Form, ohne dass es zu künstlich wird. Alban Berg hat
beispielsweise ganz exakt die Vorhangfahrten zwischen den Szenen einkomponiert.
Diese Schnitttechnik, die er damit anbietet, fokussiert die einzelnen Szenen
wie Schlaglichter. Das Getriebene, Retardierende, immer Gleiche greift das
Bühnenbild auf: ein immer gleicher Raum, der nur mit neuen Nuancen wiederkehrt
– und sich dann, im Bewusstwerden der Katastrophe, schließlich auflöst.
Es wird
auch eine Kooperation mit der Bauhaus Uni Weimar geben. Wie sieht die aus?
Zu den großen Herausforderungen der Oper gehört die
Wirtshaus-Szene, in der sich die Ebenen von Realität und (Alb-)Traum zu
verschieben scheinen. Genau bei dieser Szene wollen wir probieren, visuell mit
der Vielschichtigkeit zwischen Realität, Wahnsinn, Animation und Albtraum zu
spielen. Ich freue mich sehr, dass einige Studierende der Visuellen Kommunikation
aus Weimar diese Aufgabe übernehmen und so in die Produktion einbezogen werden
können.
Es kann
schon schmerzhaft sein, sich diesem Stoff auszusetzen. Warum sollte man es trotzdem
tun?
Es ist eine sehr berührende Geschichte, mit beeindruckender Musik, vielen tollen Aufgaben für die Sänger, eine bedrückende Reise in die Welt menschlicher Abgründe und inzwischen zu Recht ein Meilenstein der Operngeschichte. Wie gesagt: Wozzeck. Alban Berg. Da kann man einfach nicht Nein sagen.
Enrico Lübbe ist seit der Spielzeit 2013/14 Intendant am Schauspiel Leipzig. Zuvor war er von 2008 bis 2013 Schauspieldirektor an den Theatern Chemnitz.
1975 in Schwerin geboren, studierte er von 1993 bis 1999 Kommunikations-, Medien- und Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig. Von 2000 bis 2004 war Lübbe fester Hausregisseur am Schauspiel Leipzig, von 2005 bis 2007 fester Hausregisseur am Neuen Theater Halle. Als freier Regisseur arbeitete er u.a. am Schauspiel Stuttgart, am Schauspiel Köln, dem Bayerischen Staatsschauspiel München, am Schauspiel Frankfurt, an der Staatsoper Hannover und am Berliner Ensemble. Unter der Intendanz von Enrico Lübbe erhielt das Schauspiel Leipzig Einladungen zu den bedeutendsten deutschsprachigen Festivals für zeitgenössische Dramatik und Nachwuchsförderung.
Wozzeck
Alban Berg
Oper in drei Akten (fünfzehn Szenen)
Libretto vom Komponisten nach Georg Büchner
UA 1925
Berlin
In deutscher Sprache
Musikalische Leitung
Joana
Mallwitz
Inszenierung
Enrico Lübbe
Bühnenbild
Etienne
Pluss
Kostüme
Bianca
Deigner
Besetzung
Wozzeck:
Máté Sólyom-Nagy
Marie:
Stéphanie Müther
Tambourmajor: Thomas Paul
Andres: Ks. Jörg Rathmann
Hauptmann:
Erik Biegel
Doktor:
Vazgen Gazaryan
Margret:
Katja Bildt
u.a.
Opernchor des Theaters Erfurt
Mitglieder des Philharmonischen
Kinder und Jugendchores
Philharmonisches Orchester Erfurt
Premiere
Sa, 25. Februar 2017, 19.30 Uhr
Großes Haus
Weitere Vorstellungen
So, 05.03.
| Fr, 31.03. | Fr, 21.04. | So, 30.04. | Sa, 06.05.2017
Matinee
Regieteam und Ensemble stellen sich vor
So, 19. Februar 2017, 11 Uhr
Großes Haus, Eintritt frei
Rang frei!
Der öffentliche Probenbesuch
Di, 21. Februar 2017, 18.30 Uhr
99 Zählkarten ab 17.30 Uhr am Studioeingang, Eintritt frei
- Quelle:
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