• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 3 | März-Juni 2017
  • S. 5

Premiere

Romeo und Julia im Doppelpack

Text: Arne Langer

In: PROspekt, # 3 | März-Juni 2017, Theater Erfurt, S. 5 [Publikumszeitschrift]

„Shakespeare ist das universalste kreative Genie dieser Welt, in der Geschichte und der Literatur der letzten zweitausend Jahre. Shakespeare ist eine eigene Liga.“
Sir Peter Jonas

In dieser Shakespeare-Liga gibt es zwei unangefochtene Spitzenreiter: Hamlet sowie Romeo und Julia. Während das Theater Erfurt in dieser Spielzeit den Hamlet als Schauspiel aus dem Deutschen Nationaltheater Weimar präsentiert, bildet Romeo und Julia den großen thematischen Schwerpunkt der Saison. Unter dem Motto „Nur mit dir“ fügen sich diese Werke in einen Spielplan-Kontext ein, der Liebesfreud und -leid in unterschiedlichsten Aspekten vorführt. Zumeist geht es dabei – exemplarisch in Mozarts Cosi fan tutte und in Smetanas Verkaufter Braut – um eine Treueprobe. Um die geht es bei Romeo und Julia zwar irgendwie auch, doch steht da die gegenseitige Liebe nie wirklich infrage, es sind die äußeren Umstände, die die Liebenden – und eben nicht deren Liebe – gefährden.

Viel stärker etwa als Hamlet, der sich in seiner ursprünglichen Textur als Schauspiel seit jeher größter Beliebtheit erfreut, ist die Rezeption von Romeo und Julia durch Adaptionen anderer Kunstformen – Oper, Konzert, Tanz, Film – geprägt. Die lange Liste der Musiktheater-Versionen beginnt mit Georg Anton Bendas deutschem Singspiel Romeo und Julie (Gotha 1776) und führt über italienische Opern wie Nicolo Zingarellis Giulietta e Romeo (Mailand 1796) – gerade in Salzburg und Schwetzingen wiederaufgeführt – und Vincenzo Bellinis I Capuleti e i Montecchi (Venedig 1830) bis hin zu Leonard Bernsteins West Side Story (New York 1957).

Die beiden meistgespielten sinfonischen Romeo-Kompositionen, Tschaikowskys „Fantasie-Ouvertüre“ und die „dramatischen Sinfonie“ von Hector Berlioz standen bereits in den Sinfoniekonzerten der aktuellen Saison auf dem Programm.

Die sicherlich bekannteste Version, Bernsteins West Side Story, hat diese Spielzeit am Theater Erfurt eröffnet, abschließen werden sie zwei Romeo-Opern, die in Erfurt noch nie zu hören waren: eine spätromantische Vertonung durch den Italiener Riccardo Zandonai (Rom 1922) und eine französische Variante von Charles Gounod (Paris 1867), der sich mit seiner auch heute noch viel gespielten Faust-Oper kurz zuvor als höchst erfolgreicher Experte für die „Veroperung“ eines großen Bühnenwerks hervorgetan hatte.

Schon der Vergleich der jeweiligen Werke ist sehr reizvoll, doch dazu bietet sich noch die Möglichkeit, sehr unterschiedliche Inszenierungen desselben Stoffes zu betrachten. Das zeigt sich zum Beispiel an der so genannten Balkon-Szene, einem Bild, das man sofort vor Augen hat, wenn man an Romeo und Julia denkt – vor allem, wenn man einmal in Verona den angeblichen Originalschauplatz gesehen hat. Das räumliche Oben und Unten in dieser Szene steht sinnbildlich für die Distanz zwischen den beiden Liebenden, die Romeo kühn zu überwinden vermag. Um dies auszudrücken braucht man nicht zwingend im Bühnenbild eine Hausfassade mit Balkon und eine Strickleiter, die sich ein Sänger hinaufbemüht. In Pascale Chevrotons West Side Story-Inszenierung ist eine bewegliche Schräge das zentrale Element, das in dieser Szene die gewünschte Funktion erfüllt. In Guy Montavons Inszenierung der Zandonai- Oper Giulietta e Romeo wird es eine ebenfalls multifunktionale Treppe mit Jugendstil-Dekor sein, auf der Romeo zu seiner Julia gelangt, während in Federico Grazzinis heutiger Sicht auf Romeo et Juliette ein Eisentor zu überwinden sein wird. Die Liebe kennt eben (manchmal) keine Hindernisse.