• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 3 | März-Juni 2017
  • S. 17

Theaterpädagogik

Wozzek: Perspektivwechsel

Ein Bericht über das Responseprojekt zur Oper von Alban Berg

Text: Anastassia Tkachenko

In: PROspekt, # 3 | März-Juni 2017, Theater Erfurt, S. 17 [Publikumszeitschrift]

DAS PROJEKT
Als künstlerische Annäherung an Wozzeck begaben sich drei Jugendgruppen im Januar und Februar 2017 auf die Suche nach einer eigenen Antwort auf Büchner und Berg.

Unterschiedlicher konnten die Gruppen nicht sein – eine Klasse 9 der Freien Waldorfschule Erfurt, ein Musikkurs der Jahrgangsstufe 12 des Evangelischen Ratsgymnasiums und Jugendliche von 14 bis 16 Jahren aus dem Cool-Projekt Erfurt, einem Ort für Schulverweigerer. Die Ergebnisse, die die Jugendlichen zusammen mit der Bibliothekspädagogin Christina Klauke und der Musiktheaterpädagogin Anastassia Tkachenko erarbeitet haben, sind seit dem 25. Februar 2017 im Foyer des Theaters Erfurt zu sehen und zu hören.

HERAUSFORDERUNG
Wie lernt man das Komponieren? Ist es ein nur dem Genius innewohnender Geistesblitz, unerreichbar für die „graue Masse“? Ist es ein kontrollierter Ausdruck tiefer Empfindungen? Oder ist es ein Handwerk, das darauf wartet, angewendet zu werden? Ein junger Mann, Ben, steht wahrscheinlich zum ersten Mal vor Kontrabass, Röhrenglocken und Flügel.

DIE BAUSTEINE
Das Projekt startet in der Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt. Ein Eifersuchtsmord eines vom Leben abgehängten Mannes ist die Geschichte, die die Jugendlichen erwartet. Sie begeben sich auf die Suche nach eigenen Ideen und Kommentaren zum Werk: stöbern durch Bücher, diskutieren die Figuren, erfahren Hintergründe, lesen sich gegenseitig vor und erzählen die Geschichte so, als wäre es in der eigenen Stadt passiert – greifbar, realistisch, fesselnd. Fasziniert probieren er und die anderen Jugendlichen Klänge, Griffe und Sounds aus – ganz unbefangen und experimentierfreudig und immer mit dem Hintergedanken: Wie kann man Wozzecks Geschichte in Klänge fassen und die Atmosphäre des Stücks einfangen?

Mit diesem tiefen Wissen von der Person Wozzecks und seiner Umgebung geht es dann weiter im Theater Erfurt. Bergs Kompositionsstil ist den Gruppen zunächst fremd. Doch nach und nach wird klar, wie gut der eigentümliche Sprechgesang und die atmosphärische Musik mit dem Text zusammenpassen. Ganz nebenbei entsteht so ein Gefühl für die Komposition.

DIE KUNST
Die große Leistung, die beobachtete Technik in eigene Werke zu übersetzen, entsteht durch Experimentieren. Mit dem Aufnahmegerät auf der Suche nach Klängen in der Stadt oder auf Instrumenten und im Entdecken von Songs, in denen Wozzecks Wesen und Konflikt unbewusst besungen und gerappt werden, geraten Text und Musik immer näher zueinander. 

Die Ergebnisse liegen irgendwo zwischen Collagenarbeit und Zitiertechnik, zwischen eigenen kreativen Notationsformen und Klanglandschaften. Geräusche beschreiben Wozzecks Gefühlswelt, zeitgenössischer Rap begegnet dem gesungenen Wozzeck, der plötzliche ganz real ins Jetzt versetzt daherkommt.

Neben den eigenen Kompositionen aus Text und Musik ist am Ende für Ben und die anderen die inhaltliche Erkenntnis am spannendsten: Das hat etwas mit mir, mit uns zu tun.