Spielzeit 17.18
Auf gut Deutsch?
Über den Abend hinaus denken
Interview: Lorina Strange
In: PROspekt, # 4 | August-November 2017, Theater Erfurt, S. 5 [Publikumszeitschrift]
Einen
Spielplan zu entwickeln, unter einem passenden Motto zu verknüpfen und dann
auch noch optisch ansprechend zu präsentieren, gehört zu den spannendsten
Aufgaben der Theaterleitung, der Dramaturgie und des Marketings. Das Motto der
neuen Spielzeit „Auf gut Deutsch?“ hat schon im Vorhinein intern für viel Gesprächsstoff
gesorgt. Insbesondere die dazugehörige Bildmotivik, die das Programm das ganze
Jahr über begleiten wird, wurde leidenschaftlich diskutiert. Chefdramaturg Dr.
Arne Langer erklärt die Hintergründe.
Wenn man nur die Premierentitel liest, fragt sich vielleicht der eine oder andere, was diese Stücke mit diesem Motto zu tun haben. Klären Sie uns auf!
In diesem
Jahr hat es sich ergeben, dass die Werke des Spielplans überwiegend in
deutscher Sprache verfasst sind – das war eine Klammer, die sich aufdrängte.
Beim genaueren Hinschauen zeigt die Auswahl der Werke aber auch, dass die
prägenden Akteure, Themen und Gattungen der deutschen Operngeschichte sehr
vielfältige Hintergründe und Herkunftsgeschichten aufweisen [s. S. 6/7]. Damit
wollen wir uns kritisch auseinandersetzen und zum überden- Abend-hinaus-Denken
anregen.
Inwieweit
wird „das Deutsche“ denn in der Handlung oder in der Inszenierung der einzelnen
Stücke thematisiert?
Das ist sehr
unterschiedlich. In Agnes von Hohenstaufen ist die deutsche Geschichte und
Identität zentraler Inhalt, sogar ein Anlass zur Entstehung dieser Oper. Beim Musical
Grimm! geht es generell um das Eigene und das Fremde. Aber es ist nicht das
Ziel, diese Frage in jeder Inszenierung in den Mittelpunkt zu stellen. Da ist
die eigentliche Idee, im Zusammenhang des ganzen Spielplans über die einzelnen Stücke
hinaus einen Blick auf dieses Thema zu werfen.
Ist es
nicht sehr theoretisch gedacht, zu erwarten, dass das Publikum die
biografischen Hintergründe der Komponisten hinter den Werken kennt und daraus
eine Klammer bildet?
Ich würde es
als ein Angebot sehen. Wer sich mehr mit Theater befassen will, als einfach
„nur“ einen schönen Abend zu haben – was auch legitim ist –, hat die
Möglichkeit sich zu informieren, z.B. in zusätzlichen Veranstaltungen oder in
unseren Publikationen. Es kann zu einem vertieften Verständnis der Werke
beitragen, wenn man deren Entstehungshintergrund mitdenkt.
Man
könnte auch unterstellen, das Theater würde der Forderung der AfD nach mehr
deutschen Werken und „identitätsstiftender Kulturpflege“ nachkommen.
Wir führen
diese Forderung geradezu ad absurdum. Was macht denn eine deutsche Oper aus?
Ist das der Ort der Handlung? Ist das der Geburtsort des Textdichters? Oder der
des Komponisten? Oder der Uraufführungsort? Genau diese Fragen wollen wir
stellen, und ich bin überzeugt, dass dafür Missverständnisse kein Zentimeter Platz
bleibt. Man stellt nämlich sehr schnell fest, was für ein kosmopolitisches Medium
die Oper ist und von jeher war, dass sich fast nichts auf eine Nation
zurückführen lässt. Selbst die als Nationaloper geplante Agnes von
Hohenstaufen ist sehr europäisch. Oper ist nie eindimensional. Bis hin zu
dem Fakt, dass die Opernensembles – die Träger dieser deutschen Hochkultur –
sehr international sind. Unser Ensemble stammt aus über 40 unterschiedlichen Ländern,
und es ist auch eine interessante Frage, wie diese Menschen aus ihren
Perspektiven mit deutscher Kultur oder der Bedeutung von Musik für die deutsche
Kultur umgehen.
Die Ensemblemitglieder sind in der Bildschiene des Spielzeithefts hinter einer aufgerissenen Deutschlandkarte zu sehen. Diese Motivik ist schon drastisch. Was ist damit gemeint?
Der Fingerabdruck – als individuelles, menschliches Erkennungszeichen – in Form der Deutschlandkarte symbolisiert die Idee einer abstrakten deutschen Identität, was auch immer das genau sein mag. Das Durchdringen oder Aufreißen dieser Vorstellung öffnet ein Fenster zu der Vielfalt an Menschen, zu den konkreten Persönlichkeiten, die sich hinter dem abstrakten Begriff verbergen. Das Motiv ist aber sehr assoziativ und bestimmt vielseitig interpretierbar.
- Quelle:
- PROspekt
- Theater Erfurt
- # 4 | August-November 2017
- S. 5
PDF-Download
Artikelliste dieser Ausgabe