• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 4 | August-November 2017
  • S. 8-10

Premiere

Von der Kunst es (nicht) allen recht zu machen

Regisseurin Sandra Leupold über Mozarts bekannteste Oper

Interview: Arne Langer

In: PROspekt, # 4 | August-November 2017, Theater Erfurt, S. 8-10 [Publikumszeitschrift]

Bei einer so bekannten und beliebten Oper kann man als Regisseurin doch eigentlich nichts falsch machen?

(lacht) Nichts falsch zu machen ist leider unmöglich – im Leben und in der Kunst sowieso. Aber ausgerechnet Die Zauberflöte zu inszenieren heißt, es eigentlich nur falsch machen zu können. Der Berg von ganz verschieden gelagerten Erwartungen, der auf diesem Stück liegt, ist so gewaltig wie bei keiner anderen Oper, und dann passt auch noch keine dieser Erwartungen zur anderen. Dem einen soll es tiefgründiges Humanitätsdrama sein, dem anderen die perfekte Kinderoper, einer sucht in Mozarts opus summum das große Welttheater, ein anderer Geheimkult und Mysterium in der Weisheitslehre, der nächste eine möglichst opulente Ausstattung und der übernächste im Volksstück die Hanswurstiade. Es jedem recht zu machen, ist gerade hier nicht ganz einfach. Und ich muss gestehen, dass auch ich in Aufführungen der Zauberflöte auf der Bühne meistens nicht das fand, was ich erhofft hatte.

Was wäre denn das?

Eben eine aberwitzige, faszinierend verwirrende Mischung aus allem: ein naives, böses, wunderliches, tragisches, heiteres, politisches, lächerliches und gleichzeitig ganz ernsthaftes, tief empfundenes Spiel. Also ein Geschehen, das in sich leicht genug gefügt ist, um jederzeit mit einem Fingerschnipp von einer Welt in die andere zu kommen. Was nicht funktionieren kann, wenn der Nimbus des „letzten Werks“ jeder Figur wie ein Mühlstein um den Hals hängt und die Bedeutung, die wir dieser Oper heute beimessen, zu Spielweisen – musikalischen wie szenischen – führt, wie sie erst das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Es passiert schnell, dass man zu schwere Steine auf das Stück legt. Die selbstverständliche Leichtigkeit, mit der Herr Schikaneder als Papageno einst mit seinem Publikum kommunizieren konnte, weil es sich noch im gleichen Raum befand wie er, ist aber dahin, seit wir in der Nachfolge Richard Wagners grundsätzlich das Licht im Zuschauerraum ausmachen. Von der Bühne aus eine witzige Bemerkung in einen schwarzen Raum hinein zu machen, erfordert massive Anstrengungen; schließlich muss der arme Mann heutzutage eine „vierte Wand“ durchbrechen.

Muss man eigentlich die Handlung verstehen, die als doch ziemlich verworren gilt?

Naja, ich denke, man hat dann mehr von dem Abend. (lacht) Sonst bleibt nur ein bunter Reigen schöner Melodien, die man tatsächlich alle kennt – unterbrochen von Dialogen, die stören. Aber Schikaneders und Mozarts Zauberflöte verdient doch, als das ambitionierte, neuartige Musiktheaterstück anerkannt zu werden, das die beiden „Große Oper“ tauften. Niemand kann sagen, was sie mit dieser unmöglichen Gattungsbezeichnung gemeint haben, aber ihnen war wohl klar, dass ihr Werk, obwohl der Wiener Singspieltradition entsprungen, in kein bisher bekanntes Schema passte – und verdiente, „groß“ genannt zu werden. Ein gehöriges Maß an Verworrenheit gehört aber auch dazu, das kann man nicht leugnen. Und wenn die Frage darauf abzielt, ob man die Handlung verstehen kann – das ist in unserer Inszenierung, glaube ich, kein Problem.

Lässt sich die Handlung nicht einfach zusammenfassen auf: Gut gegen Böse, und Gut gewinnt?

Zwischen Gut und Böse zu werten, ist nicht im Sinne Mozarts. In seinen Opern hegt er Sympathien noch für die finstersten Gestalten, wenn sie denn Liebende und Leidende sind und verweigert sich musikalisch den allzu (Selbst-)Gerechten. Das ist im Finale des Don Giovanni nicht anders als in dem der Zauberflöte, deren Schlusschor seltsam papieren daherkommt – und in dem Tamino und Pamina kein Wort mehr singen, weil sie schon seit einer Viertelstunde verstummt sind. Ein überzeugendes Jubelfinale klingt anders, und Zweifel sind erlaubt, ob Tamino und Pamina an diesem Ort bleiben werden. Natürlich vertreten die beiden als „das ideale Paar“ das Gute und haben in gewisser Weise auch gewonnen. Mindestens einander. Aber das System Sarastros ist wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen, und ganz sicher ist er nicht der Gewinner. Sarastros Funktion in diesem Stück bestand ja ohnehin darin, am Ende abzutreten und Platz zu machen für seinen Nachfolger Tamino. Dass sich mit Pamina nun aber ausgerechnet eine Frau in die letzte Prüfung hineindrängen kann, die für Tamino allein vorgesehen war, dass dieser die Prüfung (nur?) unter ihrer Führung besteht und auch das nur mit Hilfe der Zauberflöte, wirft ein Licht auf die Krise seiner von zu vielen inneren Widersprüchen schon ganz ausgehöhlten Staatsordnung. Sarastros Vernichtungsschlag gegen die Königin ist nur ein Pyrrhussieg und ändert nichts daran, dass weder sie noch er das Stück gewinnen. Seine und ihre Extremposition werden gleichermaßen überwunden durch etwas Drittes – die Synthese, vertreten durch das ideale Paar. „Mann und Weib und Weib und Mann“ ist das Credo der Zauberflöte.

Sind eigentlich die ganzen Anspielungen auf Freimaurerei heute noch vermittelbar, oder kann man darüber hinweggehen?

Ich denke, sie sind im Grunde nicht mehr vermittelbar – und dass man trotzdem nicht über sie hinweggehen kann. Mozart stand als Freimaurer, wie Schikaneder auch, mit seinem Werk mitten in der Welt der Aufklärung, die sich einsetzte für die Gleichberechtigung aller Menschen, entsprungen dem geistigen und moralischen Rang jedes einzelnen. Vernunft und Bildung, nicht mehr Geburt und Herkunft sollten den Wert des Menschen bestimmen. In diesem Sinne zielt das Stück geradlinig auf die Erziehung des Menschen nach freimaurerischen Gesichtspunkten ab, Tamino hat einen „Rite de passage“, einen verwandelnden Prüfungsweg zu durchlaufen. Auf den zweiten Blick aber sieht man, dass nicht nur er, sondern eben auch Pamina eingeweiht wird – und dass sie es sogar ist, die dabei explizit die Führung übernimmt: „Ich selbsten führe dich“, singt sie, während sie „ihn bey der Hand nimmt“. Es ist ja wenig bekannt, dass es zu Mozarts Zeiten gemischte „Adoptionslogen“ der Freimaurer gab, in denen Brüder und Schwestern tatsächlich gemeinsam ihrer Arbeit an sich selbst nachgingen. Mozart muss von Wiener Frauenlogen gewusst haben, die sich im selben Logenhaus trafen wie er, und seine mehrmalige Anwesenheit in der Prager Adoptionsloge – zuletzt wenige Wochen vor der Fertigstellung der Zauberflöte – ist verbürgt. Die auch unter Freimaurern durchaus kontrovers diskutierte Frage nach der Inklusion von Frauen beantwortet Paminas Einweihung ganz selbstverständlich, indem sie über Bühne und Freimaurerlogen hinaus auf die gesellschaftliche Realität des ausgehenden Ancien Régime weist. Ich denke, die Zukunftsutopie von 1791: „Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an“ ist es wert, danach befragt zu werden, wo wir denn diesbezüglich heute stehen.


Ist denn Die Zauberflöte so etwas wie das Musical der Wiener Aufklärung?
(lacht) Ja, das Stück ist verrückt genug, dass es im selben Atemzug eben auch mit 15 (!) Bühnenbildern, Löwen und anderen wilden Tieren, fliegenden Knaben, einer sternflammenden Königin, einer sich in eine Vogelmenschin verwandelnden hässlichen Alten, einem schwarzen Sklaven, Zauberglöckchen, einer Zauberflöte – die die Titelfigur der Oper ist – und einer Menge anderer „Showelemente“ aufwartet. Es ist tatsächlich unerhört, was der Theaterdirektor Schikaneder so alles zusammenkannte und von weither zusammengoss. Alles, was gut und teuer, auch, was gut und nicht teuer war, brachte er in diesem Spektakel unter. Mozart traf hier auf das bunteste Libretto seines Lebens – und komponierte die bunteste Partitur seines Lebens. Und der Intendant tanzte, sang, spielte und extemporierte dazu. „Musical“ finde ich gut, um etwas über ein vorstädtisches Volkstheater zu sagen und ein Publikum, das sich amüsieren wollte. Aber natürlich geht Mozarts Musik – so weit es nur möglich ist – darüber hinaus.


Sandra Leupolds Arbeit steht für eine besonders eindrückliche und kompromisslos klare Regiesprache. Nach dem Studium der Theater- und Musikwissenschaft u.a. bei Carl Dahlhaus und der Opernregie bei Ruth Berghaus und Peter Konwitschny war sie persönliche Regiemitarbeiterin von Hans Neuenfels, George Tabori und Jürgen Rose.

Vom Fachmagazin „Opernwelt“ wurde sie als „Nachwuchskünstlerin“, „Regisseurin“, oder „Produktion des Jahres“ u.a. für Don Giovanni am Theater Heidelberg, Così fan tutte am Theater Lübeck, Pelléas et Mélisande, Parsifal und La Gerusalemme liberata am Staatstheater Mainz und 2016 Carmen am Staatstheater Darmstadt nominiert. Als erste Regisseurin überhaupt wurde sie 2014 für Don Carlo am Theater Lübeck mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST 2014 für die beste Regie im Musiktheater ausgezeichnet. Zu ihren jüngsten Arbeiten zählen außerdem u.a. Der Freischütz in Heidelberg, Lucia di Lammermoor an der Hamburgischen Staatsoper, Tannhäuser am Staatstheater Mainz, Ariane et Barbe-Bleue an der Oper Frankfurt, Pique Dame an der Oper Kiel und Erwartung an der Oper Leipzig.


Die Zauberflöte

Oper in zwei Akten

Text von Emanuel Schikaneder

Uraufführung Wien 1791

In deutscher Sprache mit Übertiteln

 

Musikalische Leitung

Joana Mallwitz

Inszenierung

Sandra Leupold

Ausstattung

Jessica Rockstroh

 

Besetzung

Sarastro: Bart Driessen / Kakhaber Shavidze

Tamino: Won Whi Choi / Julian Freibott

Königin der Nacht: Christina Rümann

Pamina: Margrethe Fredheim / Daniela Gerstenmeyer

Papageno: Ks. Máté Sólyom-Nagy

Papagena: Nicole Enßle / Sujin Bae

Monostatos: Ks. Jörg Rathmann / Alexander Voigt

u.a.

 

Premiere

Sa, 30. September 2017, 19.30 Uhr
Großes Haus

Weitere Vorstellungen

Sa, 07.10. | So, 15.10. | Sa, 21.10. | Fr, 27.10. | Fr, 03.11. | So, 19.11. | So, 26.11. | Fr, 08.12. | Di, 26.12.2017 | Sa, 03.03. | Mi, 21.03. | Sa, 31.03.2018

Matinee

Regieteam und Ensemble stellen sich vor
So, 17. September 2017, 11 Uhr
Großes Haus, Eintritt frei

Rang frei!

Der exklusive Probenbesuch
Di, 26. September 2017, 18.30 Uhr
99 Zählkarten ab 17.30 Uhr am Studioeingang, Eintritt frei