Kolumne
Psst! Unter dem Bühnenbild
Text: Samuel Bächli
In: PROspekt, # 4 | August-November 2017, Theater Erfurt, S. 27 [Publikumszeitschrift]
Als ich zum ersten Mal am Erfurter Domplatz vorbeikam, waren gerade die DomStufen-Festspiele aufgebaut: Cavalleria rusticana. Ich guckte mir alles an, auch das Orchesterzelt und dachte: Das kann bei diesen Entfernungen ja überhaupt nicht klappen. Ich erfuhr dann, dass es seit vielen Jahren sehr gut klappte und war dann 2010 mit dem Messias zum ersten Mal selber dabei, eine Aufführung, an die ich mich besonders gerne erinnere. Seither hat es große tontechnische Verbesserungen gegeben, im vergangenen Jahr bei Tosca wurde auch das Innere des Orchesterzelts verändert, sodass der Klang (und das Wohlbefinden der Musiker) so gut war wie noch nie.
Dieses Jahr wird alles anders: Verdis Troubadour sprengt eigentlich den Rahmen jedes Opernhauses durch seine Ausbrüche, seine Farben und vor allem durch seine großen Kontraste. Jeder Dirigent träumt davon, die Szenen hintereinander wegzuspielen, so dass zum Beispiel nach dem Eifersuchtsterzett gleich der Zigeunerchor anschließen kann. Ich habe einmal eine Aufführung in der Arena von Verona gesehen (wo es auch keinen Schnürboden gibt): Die Umbauten dauerten bis zu 25 Minuten und ich habe nie im Leben so viel Eis gegessen.
Um das zu verhindern hatten Jürgen R. Weber und Hank Irwin Kittel eine so einfache wie geniale Idee: die Größe des Domplatzes voll auszunutzen und alle Bühnenbilder nebeneinander zu bauen, sodass statt einer Bühnenverwandlung ein Lichtwechsel genügt und auch manche szenische Gleichzeitigkeit möglich wird. So entsteht eine ganze Landschaft, eine eigene Welt, die man mit dem Wort „Bühnenbild“ gar nicht mehr beschreiben kann.
Es ist klar, dass dieser kolossale Eindruck
durch unser altbewährtes Orchesterzelt sehr
beeinträchtigt würde. So sind wir gespannt
auf unseren neuen Arbeitsplatz – in der Mitte,
aber unter der Bühne. Natürlich erinnert
uns das an eine andere, besonders eindrucksvolle Verdi-Oper auf dem Domplatz: die
Lombarden. Auch da waren wir nicht im
Zelt, sondern unter einer wunderschönen,
sehr großen Sanddüne vergraben. Bis zur
Premiere ging das eigentlich ganz gut, es
war nämlich sehr kalt: Die Sänger schlotterten, eine frierende Ministerpräsidentin wurde von ihrem Personal mit immer neuen
Decken getröstet. Wir waren in unserem
Kabuff die einzigen, die die Temperaturen
als ganz angenehm empfanden. Doch das
änderte sich: Es wurde furchtbar heiß. Gott
sei Dank waren wir nicht zu sehen, es gab
bald fast nichts mehr, was wir noch hätten
ausziehen können. Gegen Ende des Stücks
schwanden auch die Sauerstoffvorräte, so
dass wir sehr froh waren, dass weder Don
Carlos noch Parsifal auf dem Programm standen … Natürlich wird in diesem Jahr
alles völlig anders: Lüftung, Heizung, sogar
Sauerstoff ist vorgesehen, dazu akustische
Verbesserungen aller Art. Während ich jetzt
(im Juni) diese Zeilen schreibe, weiß ich
noch nicht, wie die Probenarbeit weitergeht.
Ich könnte vielerlei erfinden: Zwischenfälle
beim Kampfsport der Sänger und Statisten,
lebensgefährliche Wolkenbrüche, wilde
Streitereien, die nur durch das besonnene
Handeln des Orchestervorstandes entschärft
werden konnten, … So stellt man sich Theater vor. Tatsächlich ist der Theaterbetrieb
meistens viel ruhiger, auch die Akteure.
Wer Carmen gut singen und spielen kann,
braucht sie nicht auch noch in der Kantine
darzustellen. Das kann auf der Weihnachtsfeier einer Bank ganz anders sein.
Es war jetzt viel von technischen Problemen
die Rede, von Äußerlichkeiten, die allerdings gerade auf dem Domplatz manchmal
im Vordergrund stehen (Wetter, Aufstellung, Tontechnik). Man kann natürlich denken, das sei unwichtig: Solche Probleme sind
ja meist lösbar. Der entscheidende Punkt ist
aber, wie sehr und wie lange sie uns beschäftigen. Im besten Fall nur so, dass wir bald all
unsere Energie auf das bündeln können, worauf es wirklich ankommt: die Leidenschaften der Opernfiguren und Verdis Musik.
Samuel Bächli
1. Kapellmeister
und Stellvertretender
Generalmusikdirektor
- Quelle:
- PROspekt
- Theater Erfurt
- # 4 | August-November 2017
- S. 27
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