• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 5 | Dezember 2017 - Februar 2018
  • S. 5

Essay

Muss Oper immer ernst und Operette immer lustig sein?

Text: Arne Langer

In: PROspekt, # 5 | Dezember 2017 - Februar 2018, Theater Erfurt, S. 5 [Publikumszeitschrift]

Ein Theaterbesuch hat immer auch mit Erwartungen zu tun, mal werden sie enttäuscht, mal übertroffen. Und es ist ein recht komplexes Verhältnis, das Theatermacher und Publikum verbindet. Einfach nur Erwartungen zu bedienen, wäre aus Sicht des Theaters unkünstlerisch gedacht, und seien wir mal ehrlich: Es bleiben doch gerade die Abende in Erinnerung, in die man mit eher gedämpfter Vorfreude gegangen ist, und die dann einen unerwarteten Kunstgenuss boten. Während auf der anderen Seite oft eine besondere Vorfreude dazu führt, dass man – wenn nicht sogar richtig enttäuscht – dann zumindest nur lau begeistert nach Hause geht.

Zu den Mitteln, Erwartungen zu kanalisieren, gehört die Kategorisierung. Im Fall des Theaters und der Musik sind das z.B. historische Stilkategorien wie Barock, Romantik oder Moderne, an denen man sich gern orientiert. Dazu kommen im musikalischen Theater die unterschiedlichen Genres Oper, Operette und Musical. Doch diese Einteilung ist erst eine der letzten Jahrzehnte, die Geschichte des Musiktheaters ist viel reicher an Formen und Zwischenformen.

Der Kontrast zwischen ernst und heiter war eines der Merkmale der frühesten Opern aus dem Venedig des 17. Jahrhunderts. Francesco Cavallis La Calisto ist ein schönes Beispiel für den Wechsel zwischen ernsten und heiteren Szenen, das Nebeneinander von seriösen und komischen Figuren. Doch der Geschmack wandelte sich, und irgendwann war in der Oper dieser Mix nicht mehr gefragt. Es entstand in Italien die Trennung von ernster Oper (opera seria) und heiterer Oper (opera buffa), ähnlich verlief die Entwicklung auch in Frankreich (Tragédie lyrique und Opéra-comique). In der ernsten Oper verhandelten Personen höheren Standes große Themen wie Treue, Pflicht und Verantwortung, bei den Figuren der komischen Oper dagegen konnte man dem Volk aufs Maul schauen und sich an amourösen Verwicklungen erfreuen.

Dieser Formengegensatz hat das Musiktheater bis ins 20. Jahrhundert hinein geprägt und liegt auch dem Gegensatzpaar Oper – Operette zugrunde.

Die Operette ist so etwas wie die kleine Schwester der Oper: Sie ist ziemlich vorlaut und frech, man weiß, woran man bei ihr ist, sie nennt die Dinge beim Namen. Meist ist sie aufgekratzt und fröhlich, doch wenn sie Pech in der Liebe hat, kann auch sie ganz schön traurig werden. Aber auf jeden Fall sieht sie besser aus als ihre große Schwester.

Das Musical spielt da eine Sonderrolle als eine Art amerikanische Operette mit viel Tanz. Die leichte Verständlichkeit durch gesprochene Dialoge – in der Tradition der Opéra-comique – verbindet das Musical mit der Operette.

Die Oper also als E-Musik und die Operette als U-Musik des 18./19. Jahrhunderts? Ganz so einfach ist es nun auch wieder nicht. Das beste Beispiel dafür ist Die Zauberflöte: Mit den gesprochen Dialogen ist das eindeutig eine Opéra-comique, ein Singspiel. Und dann aber diese Koloraturarien der Königin der Nacht und die großen Finali – genauso eindeutig: opera seria. Das Publikum der Zauberflöte erwartete eine Komödie mit atemberaubenden Effekten und die bekam es auch. Doch erst durch die große Oper darin, die das Publikum sicher dort nicht erwartete, wurde die Zauberflöte zu dem Ausnahmewerk, das seitdem unangefochten auf der Beliebtheitsskala ganz oben steht. Da ist sie wieder, diese Mischung von ernst und heiter, die die Anfänge der Kunstform Oper bestimmte.

Sicher, es gibt viele erfolgreiche Opern, die ziemlich spaßfrei daherkommen. Das gilt für die meisten Werke Verdis und Wagners, die zu einer Zeit entstanden, als das Heitere suspekt erschien und es schwierig war, in der Oper auf höchstem Niveau komisch zu sein. Und doch: Hat nicht auch Daland im Fliegenden Holländer etwas Komisches an sich, wenn er vom Geld geblendet jedes gesunde Misstrauen vermissen lässt?

Mit Falstaff und den Meistersingern von Nürnberg versuchten sich beide Titanen der Oper des 19. Jahrhunderts durchaus gekonnt und erfolgreich im leichteren Fach, aber ganz selbstverständlich weisen auch diese beiden Opern ernste, wenn nicht sogar tragische Züge auf. Und der aus der Barockoper bekannte Kontrast zwischen „hohem“ und „niederem“ Paar findet sich in jeder der klassischen Operetten vom Schlage der Lustigen Witwe.

Die anfangs gestellte Frage kann man deshalb meines Erachtens nur mit einem klaren Jein beantworten. Kategorien dienen der Orientierung, doch die Abweichung von der Norm, das freie Spiel mit den Regeln, ist es, was ein Kunstwerk von einem Industrieprodukt unterscheidet und dessen speziellen Reiz ausmacht.

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