• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 6 | März-Juni 2018
  • S. 5

Essay

Was ist eigentlich „Nationaloper“?

Text: Arne Langer

In: PROspekt, # 6 | März-Juni 2018, Theater Erfurt, S. 5 [Publikumszeitschrift]

„Eine ‚Nationaloper‘ schlechthin gibt es weder bei uns noch anderswo, sie ist und bleibt künstlerisch ein Abstraktum und kunstpolitisch eine bloße Idee. Das deutsche Wort ‚Nationaloper‘ ist – als in seiner Bedeutung flach und missverständlich – ohne besonderen Wert und verbleibt im journalistischen Bereich.“ (Horst Seeger)

Dennoch ist unsere heutige Wahrnehmung der Oper seit dem 19. Jahrhundert stark von nationalen Aspekten durchdrungen. In dieser Zeit erkannten in vielen Teilen Europas gerade auch kleinere Länder oder Sprachräume das Potential der Oper, zur Emanzipation einer nationalsprachlichen Kultur beizutragen. Vor allem das deutschsprachige Opernschaffen des 19. Jahrhunderts entfaltete dabei u.a. durch die Werke Carl Maria von Webers und Richard Wagners eine Wirkungsmächtigkeit, die dazu führte, dass am Ende des Jahrhunderts die deutsche Oper der italienischen und französischen an Prestige gleichkam.

Der Musikforscher Carl Dahlhaus stellte fest: „Ohne das Pathos der Freiheitskriege gäbe es keinen deutschen Nationalstil im emphatischen Sinne, sondern nichts als einen dünnen Faden spezifisch deutscher Traditionen in dem geschichtlich veränderlichen Konglomerat von Stilen, in denen in Deutschland komponiert worden ist.“ Erst durch die Rezeption in einem speziellen gesellschaftlich-politischen Kontext wurden Kunstwerke und damit auch Opern als national bzw. spezifisch deutsch beschrieben und wahrgenommen.

In der Erfurter Oper sind nun am Ende der Saison mit Gaspare Spontini und Richard Wagner zwei der herausragenden Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts im direkten Vergleich zu erleben. Dabei kann man es nur als kurios bezeichnen, dass ausgerechnet Spontini, der Hofkomponist Napoleons – übrigens mit der für ihn „erfundenen“ Amtsbezeichnung „General-Musikdirektor“ – an die Berliner Hofoper engagiert wurde, um in der Aufbruchstimmung des Siegs über Frankreich die deutsche Oper zu modernisieren. Was die hohe Kunst der Repräsentation anging, war wohl trotz aller Feindseligkeit Frankreich bzw. Paris auch für die Preußischen Könige das Maß aller Dinge.

Spontini gilt als der berühmteste und meistgespielte Opernkomponist des frühen 19. Jahrhunderts. Als Italiener, der in Frankreich zu Ruhm gelangte, hatte er gewissermaßen beide großen Operntraditionen vereint und die Form der Grand opéra, der großen repräsentativen Historienoper, geschaffen. Er war überzeugt, die Möglichkeiten der Gattung Oper so weit ausgereizt zu haben, dass eine Weiterentwicklung unmöglich sei. In diesem Sinne riet er auch Richard Wagner anlässlich eines Zusammentreffens in Dresden von einer Karriere als Opernkomponist ab.

Damit gab sich Wagner aber keineswegs zufrieden: „[…] dennoch frug ich [Wagner] ihn, ob er nicht glaube, daß, wenn ihm ein dramatisches Gedicht von neuer, ihm noch unbekannt gebliebener poetischer Tendenz vorgelegt würde, er aus dieser auch Anregung zu neuer musikalischer Erfindung gewinnen würde. Mitleidig lächelnd erklärte er [Spontini], daß meine Frage eben einen Irrthum enthalte: worin sollte dieses Neue bestehen? »In der Vestale habe ich ein römisches Sujet vertont, in Fernand Cortez ein spanisch-mexikanisches, in Olympie ein griechisch-mazedonisches, und schließlich in Agnes de Hohenstaufen ein deutsches Sujet: Alles andere taugt nichts.« Er [Spontini] hoffe doch nicht, daß ich [Wagner] etwa das sogenannte romantische Genre »à la Freischütz« im Sinne habe? Mit solchen Kindereien gebe sich kein ernster Mann ab; denn die Kunst sei etwas Ernstes, und allen Ernst habe er erschöpft. Aus welcher Nation endlich sollte auch der Komponist kommen, der ihn überbieten könnte?“ (aus: Richard Wagner, Erinnerungen an Spontini)


Für Richard Wagner war das keine Frage. Während seine erste große Oper Rienzi noch ganz dem Typus der Grand opéra verpflichtet war, knüpfte er im Fliegenden Holländer durchaus an das „romantische Genre à la Freischütz“ an. Zugleich spürt man in dieser „Romantischen Oper“ schon die revolutionäre Kraft, die die Musik von Tristan und Isolde sowie des Ring des Nibelungen auszeichnet und durch die Wagner nichts weniger gelang als die Entwicklung einer völlig neuen Opernform, dem Musikdrama.

Dabei sind die Stoffe bei Wagner keineswegs „national“ aufgeladen, anders als z.B. die Mittelalter-Oper aus der Feder des Italieners Spontini. Agnes von Hohenstaufen und Der fliegende Holländer verbindet die deutsche Sprache des Operntextes und die europäische Verwurzelung beider Komponisten. Allerdings markiert Spontinis Oper den Endpunkt einer Entwicklung, während Wagners Holländer durch die Loslösung vom Formideal der „Großen Oper“ einen epochalen Neuanfang in der europäischen Oper markiert.