• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 6 | März-Juni 2018
  • S. 6-9

Premiere

Der fliegende Holländer

Interview: Lorina Strange

In: PROspekt, # 6 | März-Juni 2018, Theater Erfurt, S. 6-9 [Publikumszeitschrift]

Eine Gespenster-Oper! Der „fliegende Holländer“ treibt als verfluchter Seefahrer rastlos über die Weltmeere, verdammt dazu, nur alle sieben Jahre das Land betreten zu dürfen und nur durch die Treue einer Frau Ruhe und Tod zu finden. Diese sagenumwobene Gestalt erweckt Richard Wagner in seiner Oper zum Leben und stellt ihr mit Senta eine ebenso von Sehnsucht getriebene Frau gegenüber. Generalintendant Guy Montavon bringt das Meisterwerk in Erfurt auf die Bühne.

Herr Montavon, die Oper heißt Der fliegende Holländer, aber wer ist für Sie die Hauptfigur? Der Holländer oder Senta?

Normalerweise schon der Holländer und sein Leiden, aber natürlich ruft dieser Stoff nach einer starken Psychologisierung, und in meiner Inszenierung werde ich tatsächlich Senta mehr in den Fokus rücken. Ihre Vorstellung von dem Holländer, ihre Sehnsucht nach ihm ist so stark und plastisch beschrieben, dass sie für das Publikum das Bild des Holländers sehr prägt.

Der Holländer als Wanderer der Weltmeere ist ein Symbol für den Ruhelosen, Heimatlosen, Getriebenen. Welches Verlangen treibt ihn eigentlich?

Er sehnt sich nach Erlösung von seiner Sünde in einem katholischen Sinn. Eigentlich sehnt er sich nur nach einem ruhigen Tod, aber der ist ihm verwehrt. Er ist verdammt in alle Ewigkeit, weil er die Hilfe des Teufels angenommen hat, um sein Ideal zu erreichen – nämlich das Kap Horn zu umsegeln – was ich total verstehen kann, weil ich einmal dort an Ort und Stelle war. Wenn man ganz unten am Kap steht, auf den letzten Metern des Kontinents, sieht man von rechts und links die Wellen auf einen zu prallen mit solch einer gigantischen Wucht ... Das sollte man sich wirklich mal anschauen!

Auch Senta wird von starker Sehnsucht getrieben …

Ja, sie will kein bürgerliches Leben führen. Sie ist fasziniert von dem Unbekannten, nicht Fassbaren, von den nicht von den Menschen lenkbaren Kräften. Das hat für sie einen Reiz wie Ekstase. Sie kennt diese sagenhaften Geschichten über den Holländer in- und auswendig. Obwohl sie nur ein Bild von diesem Menschen gesehen hat, sieht sie es als ihre Berufung, sich für ihn zu opfern, das Leiden der Menschheit auf sich zu nehmen, alle sündigen Seefahrer zu erlösen. Sie träumt von Größe und Bedeutung.

Es gibt eine realistische Welt, eine Hafenstadt, in die diese gigantische, surreale Sagenfigur einbricht. Wie sehen Sie das Verhältnis von Alltag und Mythos, von Realität und Fantasie?

Unsere Inszenierung ist, wie Schopenhauer sagt, „Welt als Wille und Vorstellung“. Senta ist krank, sie lebt total an der Realität vorbei und alles, was sie erlebt, sind ihre eigenen Projektionen. Wie ein todkrankes Kind, dessen einziger Wunsch es ist, einmal Superman zu treffen, so halluziniert sie den Holländer. Alle wissen, dass sie krank ist, aber nur Erik will helfen und hat sie noch nicht aufgegeben. Und dann wird ihr Unterbewusstsein plötzlich fassbar, wenn der Holländer tatsächlich auftritt. Das ist der Höhepunkt ihres Wunsches und ihrer Krankheit – und ein magischer Moment. Als alles vorbei ist und alles nicht real war, bringt sie sich um. Der Einzige, der daran verzweifelt, ist Erik.

Das klingt nach einer psychologischen Innensicht. Ist Ihnen trotzdem das Meer als Bild, das ja auch symbolisch sehr aufgeladen ist, wichtig?

Ja, natürlich. Das Element Wasser ist sehr wichtig. Es ist der Ursprung von allen lebendigen Wesen. Einerseits beweist es die Kraft der Naturelemente, die Richard Wagner auf der Flucht während einer turbulenten Schiffsfahrt am eigenen Leib erlebt hat, andererseits spiegeln in dieser Oper die auskomponierten Naturstimmungen auch immer Seelenbewegungen der Charaktere wider. Auch in der Inszenierung spielt das Meer eine wichtige Rolle. Sie wird mit Wasser beginnen und mit Wasser enden.

Richard Wagner als Komponist wird häufig mit großer Ehrfurcht behandelt, fast als Halbgott des Musiktheaters. Muss man seinen Werken mit besonderem Respekt begegnen, oder ist das eine unnötige Hemmschwelle?

Ich bin absoluter Wagner-Liebhaber, weil er mit seinen Musikdramen eine neue Dimension von Oper erreicht. Eine Dimension des universellen Nachdenkens, die bis in die Innereien der abendländischen Kultur geht. Die Menschheit wird ständig in Frage gestellt, ganz besonders im Ring. Da kann man nicht passiv zuhören. Das macht Wagner besonders. Aber er ist ein ganz normaler Komponist, der eine Entwicklung durchgemacht hat. Der fliegende Holländer ist formal noch eine Nummernoper alten Stils und nah am Belcanto. Es gibt zwar schon Leitmotive, aber Wagners große Faszination für Komponisten wie Gaspare Spontini und Giacomo Meyerbeer hört man hier noch deutlich. Es ist der perfekte Einstieg in die Wagner-Welt.

Und das nicht nur für das Publikum! Wir werden das Wagner-Debüt des Dirigenten Xu Zhong erleben.

Ja! Als Xu Zhong, der ein vollkommener Musiker und ein toller Pianist ist, mich gefragt hat, ob er bei mir seinen ersten Wagner dirigieren kann, fand ich das sehr besonders. Die Sehnsucht der Chinesen nach unserer Kultur ist sehr groß. Und dass ein renommierter chinesischer Dirigent plötzlich nur noch einen Wunsch hat, nämlich Wagner zu dirigieren, finde ich bezeichnend. Auch Todd Thomas debütiert bei uns in der Rolle des Holländers. Wagner scheint ein Ziel zu sein. Wagner zu singen, ist das Höchste!


Der fliegende Holländer
Oper von Richard Wagner
Text vom Komponisten
Uraufführung Dresden 1843
In deutscher Sprache mit Übertiteln

Musikalische Leitung
Xu Zhong

Inszenierung
Guy Montavon

Ausstattung
Hank Irwin Kittel

Besetzung
Holländer: Todd Thomas
Senta: Kelly God
Daland: Kakhaber Shavidze
Erik: Eduard Martynyuk
Steuermann: Richard Carlucci
Mary: Katja Bildt

Premiere
Sa, 17. März 2018, 19.30 Uhr
Großes Haus


Zwei Publikumslieblinge kehren zurück!

Todd Thomas stellte sich dem Erfurter Publikum bei den DomStufenFestspielen 2017 als „Graf Luna“ in Il trovatore mit einer seiner Paraderollen vor: Der aus New York stammende Bariton gilt seit Jahren als Verdi-Experte und ist u.a. an der Metropolitan Opera New York engagiert. In der Spielzeit 2016/17 sang er zahlreiche Verdi-Partien an fast allen großen Opernhäusern Nordamerikas und gab sein Wagner-Debüt als „Alberich“ in Das Rheingold. Sein Studium absolvierte er am Oberlin Conservatory of Music, Ohio, und begann seine Karriere am Stadttheater Gießen. Als Gast trat er u.a. bereits in Basel, Heidelberg, Hong Kong, Pisa, Luzern und Utrecht auf.

Kelly God ist dem Theater Erfurt seit Jahren verbunden. Zuletzt war sie bei den DomStufen-Festspielen 2016 in der Titelpartie von Tosca zu erleben. Nach ihrem Studium in Maastricht trat die Niederländerin 2002 ihr erstes Festengagement hier an und überzeugte 2002 und 2004 in Hauptrollen in Friedenstag und I Pagliacci auf den Domstufen. Seit der Spielzeit 2006/07 ist Kelly God an der Staatsoper Hannover engagiert, wo sie sich neben vielen weiteren Rollen vor allem ein großes Wagner-Repertoire erarbeiten konnte, u.a. mit „Elisabeth“ (Tannhäuser), „Sieglinde“ (Walküre), „Senta“ (Der fliegende Holländer) und ab 2018 „Isolde“ (Tristan und Isolde).


Chinesischer Stardirigent zu Gast! 

Xu Zhong ist als einer der international renommiertesten chinesischen Pianisten und Dirigenten momentan Generalmusikdirektor des israelischen Haifa Sinfonieorchesters, Direktor der Fondazione Arena di Verona, Intendant des Opernhauses Shanghai und Chefdirigent des Suzhou Sinfonieorchesters. Von 2012 bis 2015 war er als erster asiatischer Künstler Generalmusikdirektor des Teatro Massimo Bellini. Sein Studium absolvierte er am Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris bei dem Pianisten Dominique Merlet. Xu Zhong dirigierte angesehene Orchester wie u.a. das Orchestre National de France, das MDR Sinfonieorchester, das Orchestra Sinfonica di Roma oder das Shanghai Symphony Orchestra. Seine Fähigkeiten als Operndirigent konnte er mit einem umfassenden Repertoire von Mozart über Verdi und Puccini bis zu Poulenc und Offenbach an führenden Häusern weltweit beweisen, wie u.a. dem Teatro alla Scala, Gran Teatre del Liceu Barcelona, der Opéra de Paris, Covent Garden London, der New Yorker Met oder dem San Francisco Opera House.