Carmen
Interview: Lorina Strange
In: PROspekt, # 7 | August-November 2018, Theater Erfurt, S. 11 [Publikumszeitschrift]
Carmen ist eine Traumpartie für jeden Mezzosopran. Bei den diesjährigen DomStufen-Festspielen debütiert Katja Bildt, die seit 2014 Ensemblemitglied des Theaters Erfurt ist, in dieser bedeutenden Rolle. Dramaturgin Lorina Strange sprach mit ihr über stimmliche Herausforderungen, große Vorbilder und schmückendes Beiwerk.
Man könnte sagen, Carmen ist die Mezzo-Partie schlechthin. Hast du dir schon lange gewünscht, diese Rolle einmal zu singen?
Witzigerweise hatte ich lange keine Ambitionen, Carmen zu singen. Im Gesangsunterricht habe ich relativ früh Carmens Arien gesungen. Die werden gern zum Üben benutzt, weil sie weder sehr hoch noch sehr tief sind, aber für mich waren sie total unbequem zu singen. Ich dachte, das wäre nichts für mich, bis ich vor ca. drei Jahren diese Arien noch mal ausgepackt und gemerkt habe, dass sie mir jetzt viel besser liegen. Da habe ich zum ersten Mal mit dem Gedanken gespielt, dass ich diese Partie irgendwann singen könnte. Dass es dann so schnell ging und ich damit jetzt auf den Domstufen debütieren darf, freut mich natürlich wahnsinnig.
Was bedeutet das, wenn eine Sängerin sagt, eine Arie liege ihr nicht?
Als Frau hat man mehrere Stimmregister: Bruststimme, Mischlage und Kopfstimme. Auf welcher Tonhöhe der Registerwechsel liegt, ist bei jedem etwas anders, aber genau da ist es dann eine technische Herausforderung, einen einheitlichen Klang hinzubekommen. Bei mir war lange der Übergang von der Mischlage in die Kopfstimme problematisch. Und genau in dieser Tonlage bewegen sich die Carmen-Arien ständig. Die Duette wiederum liegen genau in meinem Schmalzbereich und gehen einfach wie Butter.
Warum verändert sich so etwas im Laufe einer Karriere noch?
Die Stimme reift immer weiter. Mit steigender Technik beherrscht man gerade diese Übergänge immer besser. Ich nehme – wie die meisten Sänger – immer noch regelmäßig Unterricht. Bei mir hat sich so viel entwickelt, dass ich auch diese Tonlage jetzt problemlos bedienen kann.
Die Figur der Carmen ist mit starken Klischees belastet. Wie gehst du damit um?
Ganz einfach, indem ich mich tatsächlich mit der Oper, dem Text, der Musik auseinandersetze. Die Tanzszenen wie der Chanson Bohème oder die Nummer mit den Kastagnetten – das ist eher schmückendes Beiwerk. Das ist nicht der Inhalt des Stücks. Mir sind die Charakterzeichnungen dieser außergewöhnlichen Personen sehr wichtig. Dafür braucht man keine Fächer, keine Rüschen und keinen Flamenco.
Es gab vor Probenbeginn schon ein Fotoshooting auf dem Schrottplatz für das PROspekt-Cover. Wie war das?
Das war richtig toll! Die Mitarbeiter waren sehr hilfreich und haben mit einem riesigen Kran extra noch ein Auto auf den Haufen geworfen, auf den ich dann klettern durfte. Wir konnten viel ausprobieren und ich durfte sogar versuchen, mit einer Metallstange ein Autofenster einzuschlagen – hab es aber nicht geschafft. Nur einen Seitenspiegel hab ich kaputt gekriegt.
Und was hat das für dich mit Carmen zu tun? Gerade die Brechstange?
Die Brechstange ist wie ihre Persönlichkeit. Sie geht psychisch mit der Brechstange vor, indem sie sich nimmt, was sie möchte, gerade wenn es um ihre Freiheit geht. Fahrzeuge und das Schmiedehandwerk gehörten schon immer zu den Zigeunern. Da liegt heute die Altmetallverwertung nahe. Heutige Sinti und Roma werden leider immer noch häufig ausgegrenzt, aber auch wenn sie in schlechten Vierteln leben oder sich aus dem Müll anderer Menschen Behausungen bauen, sind sie – und das sieht man auf dem Titelfoto – nicht weniger stolz oder freiheitsliebend als eine Carmen in einem hübschen roten Kleid.
Ist Carmen trotzdem eine Verführerin?
Ja, natürlich, aber das Verführerische kommt nicht daher, dass sie schön ist, sondern davon, dass sie unerreichbar für die Männer ist, weil sie sich nie verliebt. Das macht sie so begehrenswert.
Du bist vielleicht einigen Domstufen-Gästen aus der Rockoper Jedermann in Erinnerung. Was bedeutet diese Spielstätte für dich?
Es ist eine große Herausforderung, weil die Fläche, die man ausfüllen muss, so groß ist. Man sieht den Dirigenten nicht. Plus die Mücken, die einem in den Hals fliegen. Aber es ist einfach eine Wahnsinns-Kulisse. Und natürlich sind 2000 Zuschauer schon eine tolle Erfahrung. Wenn man da beim Applaus steht – da nehme ich meistens das Publikum zum ersten Mal bewusst wahr – denkt man nur: Wow, das ist unglaublich!
Wie häufig bist du schon auf der Bühne gestorben?
Da ich ein Mezzo bin, fast noch nie. In The
Rape of Lucretia und in Poppea als Oktavia
habe ich mich selbst umgebracht. Als Carmen werde ich zum ersten Mal ermordet.
- Quelle:
- PROspekt
- Theater Erfurt
- # 7 | August-November 2018
- S. 11
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