• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 8 | Dezember 2018 - Februar 2019
  • S. 6-8

Premiere

Alpenländische Urlaubsklischees und französischer Esprit

Das »Weiße Rössl« in seiner jazzig-revuehaften Urfassung

Text: Larissa Wieczorek

In: PROspekt, # 8 | Dezember 2018 - Februar 2019, Theater Erfurt, S. 6-8 [Publikumszeitschrift]

Berliner Touristen machen den Wolfgangsee im österreichischen Salzkammergut unsicher und versetzen Personal und Gäste des Wirtshauses „Zum weißen Rössl“ in Aufruhr.

Mit ihren Seitenhieben auf zwar herzensgute, aber doch verschlagene Hoteliers, den Massentourismus im Allgemeinen und ständig unzufriedene, raubeinige Großstädter, die in ihrem alpenländischen Urlaubsdomizil nach dem großen Glück suchen, geriet die 1930 lustvoll und mit gigantischem Aufwand zur Uraufführung gebrachte Revue-Operette Im weißen Rössl zu einem Kassenschlager. Das Werk firmierte seinerzeit unter der anachronistischen – wohl ironisch gemeinten – Bezeichnung „Singspiel“. Es erinnert in seiner Machart jedoch weit mehr an eine Frühform des Musicals und erscheint als äußerst selbstironische, bissige Parodie auf die vermeintliche Singspiel-Idylle. 

Vielfarbig fulminante Jazz-Orchestrierung

Inspiriert von einer Stummfilm-Adaption des gleichnamigen Schauspiels von Blumenthal und Kadelburg aus dem Jahr 1926, initiierte der große Berliner Theatermacher Erik Charell mit dem Weißen Rössl ein aufwändiges Musiktheaterprojekt. Hierfür verpflichtete er neben dem heute stets genannten Komponisten Ralph Benatzky auch eine Reihe anderer verheißungsvoller Autoren, darunter die beiden österreichischen Erfolgskomponisten Robert Stolz und Bruno Granichstaedten, die einige der größten Hits des Abends beisteuerten sowie Eduard Künneke, den Komponisten des Vetter aus Dingsda. Dieser komponierte offenbar einige der großen Ensemblenummern und verantwortete die vielfarbige, jazzige und von Tanzmoden der 20er Jahre geprägte Orchestrierung, die bei der Uraufführung erklang. Ebenjene machte in der Nachkriegszeit Platz für eine weitaus betulichere, opernhaftere Fassung. Letztere dominiert bis heute sämtliche Einspielungen des Erfolgsstücks und prägte auch den Klang der beiden als HeimatfilmIdyll gedrehten Verfilmungen von 1952 (mit Johannes Heesters) und 1960 (mit Peter Alexander). Häufig gespielt wurde auch eine sogenannte „kleine Fassung“, ohne Chor mit einem kleinen Instrumental-Ensemble, die zuletzt 2010 auf der Studiobühne des Theaters Erfurt zu erleben war. Mit Künnekes fulminanter Orchestrierung hat die charmante Kammer-Version jedoch wenig gemein. Das originale Arrangement weiß mit einer Jazz-Combo und einem Zithertrio zwischen bigbandhaft swingendem Foxtrott der 20er Jahre und vermeintlich alpenländischen Heimatmelodien die gegensätzlichsten Klangfarben und Stile zu bedienen. „Im weißen Rössl ist ein Stück, das auf die große Bühne gehört“, ist Generalintendant Guy Montavon sicher, der das Stück nun in ebenjener wiederentdeckten Ur-Fassung auf den Spielplan gesetzt hat.

Die Uraufführung – ein Event der Superlative

Geschaffen wurde die jazzige Revue-Operette für das sage und schreibe 3200 Zuschauer fassende Große Schauspielhaus Berlin, das seinerzeit wohl größte Unterhaltungstheater Europas. Neben dem großen Orchester, Chor, Revuetänzern und einer Besetzung mit allerlei Stars und Sternchen aus Film und Rundfunk hatte man so einiges aufgeboten: Die komplette Außenfassade des Theaters war im Landhausstil verbaut und mit großen Lettern zum „Weißen Rössl“ deklariert worden. Auch das Foyer des Großen Schauspielhauses war mit Alpenpanorama-Pappkulissen themengerecht zu einem Erlebnisraum umgestaltet worden. Portiers in Bauerntracht sowie Kellnerinnen im Dirndl empfingen das Publikum und verkauften Plattenaufnahmen mit den Hits aus der Show – ein spektakuläres, kommerzielles Riesen-Event also, das den vergnügungssüchtigen Berlinern des Jahres 1930 ermöglichte, schon beim Betreten des Theaters ganz und gar in die Welt des Stücks einzutauchen.

Mit französischem Flair in Erfurt

Eine besondere Art des Unterhaltungs-Events hat auch die neue Inszenierung von Guy Montavon am Theater Erfurt inspiriert. „Mir gefällt vor allem, wo das stattfindet: Ich bin ein großer Fan von Österreich – auch eine Alpenrepublik, genau wie mein Heimatland“, schwärmt der gebürtige Schweizer. Begeistert ist er aber auch von der Machart der Berliner Operette: „Im Stück gibt es so unglaublich skurrile Nummern: die Chornummer Eine Kuh, so wie du zum Beispiel. Das ist eine vollkommen abstrakte Situation, daran ist nichts Reales mehr. Diese absurden Situationen, den Kuhstall, die Alm und den Markt, das will ich alles ein wenig übertreiben, karikieren.“

Montavon, der nach Gräfin Mariza und Land des Lächelns nun bereits zum dritten Mal eine Operette inszeniert, hat jedoch auch großen Respekt vor dem Genre: „Die Operette ist ein Genre, das sehr delikat und raffiniert inszeniert werden muss. Es verlangt nach großen handwerklichen Fähigkeiten.“ Man müsse die Geschichte so erzählen, wie sie ist – „natürlich mit einer kleinen persönlichen Note,“ schmunzelt er und betont, dass man keinesfalls versuchen dürfe, mit billigen Gags die Komik zu forcieren: „Die eigentliche Raf­finesse liegt im richtigen Timing – darin, einen guten Rhythmus zu finden.“ 

Aufgrund der Distanz, die er als frankofoner Schweizer gegenüber der Berliner Operette verspürt, sieht er sich als geradezu prädestiniert dazu, das klischeebehaftete Werk einmal ganz unvoreingenommen zu inszenieren: „Ich versuche dem Stück ein anderes, französischeres Flair zu geben: Vergessen Sie alles, was deutsch ist! Es geht mir um eine gewisse Leichtigkeit und Humor.“ Was für ihn die besondere Herausforderung dabei sei? „Man hat da eine typische Liebesgeschichte zwischen Wirtin und Kellner, deren Konflikt man schnell verstanden hat, aber eben auch eine kleine Kritik an Berlin und viele Details, die es einem erlauben, sehr vielfarbig zu inszenieren. Man muss wirklich jede Nummer für sich betrachten und versuchen, ihre Essenz zu finden und wiederzugeben – das ist schwer, sehr schwer! Aber nicht unmöglich.“


FILM-AB-TIPP

Im weißen Rößl (Deutschland 1960) mit Peter Alexander, Waltraud Haas

Im weißen Rössl – Wehe du singst! (Deutschland 2013) mit Diana Amft, Tobias Licht, Armin Rohde


Im weißen Rössl

Operette von Ralph Benatzky
Text: Hans Müller und Erik Charell, Liedtexte: Robert Gilbert
Uraufführung Berlin 1930
In deutscher Sprache mit Übertiteln

Musikalische Leitung
Samuel Bächli

Inszenierung
Guy Montavon

Bühne
Hartmut Schörghofer

Kostüme
Frauke Langer

Choreografie
Jessica Krüger

Besetzung
Josepha Vogelhuber: Margrethe Fredheim/Julia Stein
Leopold Brandmeyer: Alexander Voigt
Wilhelm Giesecke: Ks. Máté Sólyom-Nagy
Ottilie: Leonor Amaral/Daniela Gerstenmeyer
Dr. Erich Siedler: Julian Freibott
Sigismund Sülzheimer: Ks. Jörg Rathmann
Professor Hinzelmann: Reinhard Becker
Klärchen: Carolin Blumert
Der Kaiser/Der Reiseführer: Juri Batukov
Piccolo: Florian Appelius
Zenzi: Leonor Amaral/Daniela Gerstenmeyer

Opernchor des Theaters Erfurt
Philharmonisches Orchester Erfurt

Premiere
Sa, 15. Dezember 2018, 19.30 Uhr
Großes Haus

Weitere Vorstellungen
So, 30.12. | Mo, 31.12.2018 | Mi, 09.01. | Fr, 11.01. | Sa, 12.01. | Fr, 25.01. | So, 03.02. | So, 24.02. | Sa, 09.03. | So, 17.03. | So, 21.04. | Mo, 22.04.2019

Matinee
Regieteam und Ensemble stellen sich vor
So, 9. Dezember 2018, 11 Uhr
Großes Haus, Eintritt frei

Rang frei!
Der exklusive Probenbesuch
Di, 11. Dezember 2018, 18.30 Uhr
99 Zählkarten ab 17.30 Uhr am Studioeingang, Eintritt frei

gefördert von: [Logo] Stadtwerke Erfurt Gruppe

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