• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 8 | Dezember 2018 - Februar 2019
  • S. 10-11

Premiere

Bildmächtig, hypnotisch und immersiv

Die Video-Oper »Three Tales« und die Ambivalenz technischer Entwicklungen

Text: Larissa Wieczorek

In: PROspekt, # 8 | Dezember 2018 - Februar 2019, Theater Erfurt, S. 10-11 [Publikumszeitschrift]

Schon immer ist die Geschichte des Theaters auch eine Geschichte der Einverleibung diverser Techniken gewesen. Während anfänglich vor allem mechanische Erfindungen für allerlei Bühnenzauber sorgten, hielten seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch immer mehr motorenbetriebene Maschinen, diverse Medientechniken und zuletzt auch computergestützt erschaffene Effekte Einzug auf den Brettern der Welt. Bereits in den 1920er Jahren begann der große Maschinentheater-Pionier Erwin Piscator Bild- und Video-Projektionen einzusetzen, um das simultan inszenierte Bühnengeschehen zu untermalen, zu kommentieren oder zu ergänzen. Verschiedenste Ausprägungen der seit den 60er Jahren entwickelten Video-Kunst, darunter Video-Skulpturen, Video-Installationen und diverse Animations-Techniken sind mittlerweile auch von der Opernbühne kaum mehr wegzudenken: So gibt es heute zahlreiche Operninszenierungen, in denen das Bühnenbild selbst einer Video-Installation gleicht, in denen Video-Projektionen Hintergrundinformationen zum Bühnengeschehen liefern, in denen die Darsteller zur Live-Cam greifen oder solche, in denen sie live mit vorab erstellten Video-Animationen interagieren. Auf eine ganz andere Weise aber werden Video-Techniken in Beryl Korots und Steve Reichs 2002 für die Wiener Festwochen entstandenen Three Tales genutzt. Die Video-Künstlerin Korot und ihr Ehemann, der als Pionier der Minimal Music bekannte Komponist Reich, beschäftigten sich in ihrer Fusion aus Video-Kunst und Komposition mit dem rasenden Fortschritt technischer Entwicklungen und beunruhigenden wissenschaftlichen Errungenschaften. Sie thematisieren aber auch große Durchbrüche sowie die damit verbundenen Opfer und falschen Hoffnungen.

Technik – Evolution – Hybris?

Die Three Tales (Drei Erzählungen) sind für sich genommen je ein in sich geschlossenes Stück musikalisches Dokumentartheater. Sie befassen sich exemplarisch mit drei einschneidenden, medial dokumentierten Ereignissen der Technikgeschichte, die auf verschiedenste Weise das Verhältnis von Mensch und Technologie beleuchten. Die sich daran anknüpfenden ethischen Fragen über die Zukunft der Menschheit – Debatten, die angesichts aktueller Entwicklungen immer mehr an Relevanz gewinnen – werden in der Video-Oper zwar nicht ausdiskutiert, anhand provokanter Beispiele und damit kombinierten, meist zeitgenössischen, Kommentaren und Bibelzitaten aber gleichermaßen heraufbeschworen: An erster Stelle steht der durch eine Explosion verursachte Absturz des Zeppelins „Hindenburg“ bei Lakehurst im US-Bundesstaat New Jersey im Jahr 1937. Auch dank der umfassenden Live-Medienberichterstattung brannte sich dieses Ereignis als eine der großen Technik-Katastrophen des 20. Jahrhunderts ins kollektive Gedächtnis ein und versetzte dem optimistischen Fortschrittsglauben der Zeit einen heftigen Dämpfer. Im zweiten Teil geht es um die Atombombentests zwischen 1946 und 1954 auf dem Bikini-Atoll, für die man die unschuldigen Einwohner der Inseln zwangsumsiedelte und ihren paradiesischen Lebensraum für immer zerstörte: Ein anderer – im Gegensatz zu den Bewohnern der Marshall-Inseln hoch technologisierter – Teil der Menschheit bewies sich selbst durch die Zerstörung des Inselparadieses, dass man nun in der Lage war, die Erde zu vernichten. Zu guter Letzt werden anhand des 1996 geklonten Schafs Dolly, Cyborgs und künstlichen Intelligenzen die Bestrebungen thematisiert, mit Hilfe von Gentechnik und Robotik die natürliche Evolution sowie die Sterblichkeit des Menschen zu überwinden.

Fesselnde Collage

Nicht ohne eine gewisse Selbstironie suggerieren Korot und Reich ihrem Publikum mit Hilfe der technischen Methoden computergestützter Video-Kunst und elektronischer Musik eine kritische Haltung gegenüber neuen Technologien und werfen dabei zugleich Fragen nach Authentizität und propagandistischer Intention der verwendeten Medien auf: In ihrer Video-Collage vervielfacht und verfremdet Beryl Korot historische Film- und Tonaufnahmen, Fotos, Texte und gefilmte Interviews durch allerlei künstlerische Effekte, legt sie übereinander und streut immer wieder Sprachfetzen, Zahlen und den gesprochenen bzw. gesungenen Text als typographische Elemente ein. So wird einerseits eine Bündelung von Fakten angedeutet, andererseits werden manche Aussagen aber zugleich durch die Wiederholung einzelner Sequenzen und Phrasen hervorgehoben und in neue Kontexte gestellt. Darüber hinaus entsteht hierbei eine musikalisch-rhythmische Struktur von Tonspur und Bildelementen, die untrennbar mit Steve Reichs musikalischer Komposition verbunden, ja als ein integraler Bestandteil dieser zu betrachten ist. Mal simultan, mal zeitversetzt greift auch Reichs rhythmisch vertrackte, tonale und gleichsam hypnotische Musik auf die Mittel der Wiederholung, des Samplings und der Phasenverschiebung zurück, wodurch die Inhalte und Strukturen des Videos nicht nur reflektiert, sondern an vielen Stellen auch erst offengelegt werden.

Synchronisation von Technik und Musik

Für die live zum Video musizierenden Künstler bedeutet dies bei der Aufführung eine große Herausforderung: Technik und Musik müssen äußerst präzise ineinandergreifen, der Dirigent, die fünf Sänger und die Orchestermusiker müssen ihre Tempi und Einsätze bis auf die Millisekunde genau mit dem Video synchronisieren und werden somit auf äußerst sinnfällige Weise gleichsam selbst zu Sklaven der Technik. Aus der Kombination von bewegtem Bild, gesprochenem und projiziertem Text im Video sowie live performter Musik entsteht auf der Studiobühne des Theaters Erfurt eine multimediale Aufführung mit Sogwirkung, ein außergewöhnliches, immersives Musiktheater-Erlebnis – also eines, das ein völliges Eintauchen und Sich-Vertiefen in künstliche Welten ermöglicht –, ein Gesamtkunstwerk an der Schnittstelle von Video-Kunst und dokumentarischem Musiktheater.


Three Tales

Video-Oper von Beryl Korot und Steve Reich
Für zwei Soprane, drei Tenöre, Streichquartett, zwei Klaviere, zwei Vibraphone und Schlagwerk
Uraufführung Wien 2002
In englischer Sprache mit Übertiteln 

Video
Beryl Korot

Musik
Steve Reich

Musikalische Leitung
Peter Leipold

Premiere
Do, 31. Januar 2019, 20 Uhr
Studio

Weitere Vorstellungen
Sa, 02.02. | Sa, 09.02. | Sa, 23.02. | So, 03.03. | So, 24.03. | So, 07.04. | Sa, 20.04.2019

Matinee
Regieteam und Ensemble stellen sich vor
So, 20. Januar 2019, 11 Uhr
Studio, Eintritt frei 

Kurzeinführung
jeweils 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn im Studio

FILM-AB-TIPP
Three Tales ist Kino und Oper in einem und zeigt, wie eng die Medien Film und Musik verknüpft sein können, indem das Video mit den gleichen Kompositionstechniken behandelt wird, wie die Minimal Music.

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