Premiere
Der Blick auf den Anderen
Interview: Arne Langer
In: PROspekt, # 9 | März-Juni 2019, Theater Erfurt, S. 10-12 [Publikumszeitschrift]
Es gehört zu
den Stärken und zum besonderen Reiz der Kunstform Oper, den Zuschauer bzw. Zuhörer
in fremde Erlebniswelten zu entführen. Deshalb waren fern gelegene,
unerreichbare Länder schon immer beliebte Schauplätze für dramatische
Geschichten mit Musik. In der Oper des 19. Jahrhunderts führte das zu einem
fast schon inflationären Exotismus, kaum ein Fleckchen der Erde wurde
ausgelassen, um als Hintergrund für eine tragische Liebesgeschichte zu dienen.
Die Perspektive war meist eine eurozentristische: Der Blick war von einer ganz
selbstverständlich als überlegen wahrgenommenen eigenen europäischen auf eine
vermeintlich rückständige außereuropäische Kultur gerichtet.
Giuseppe
Verdis Aida gehört auf den ersten Blick in diese Reihe exotischer Opern,
doch verhält es sich hier anders:
Der Auftraggeber war der ägyptische Vizekönig, der für sein neues Opernhaus bei
Verdi ein Werk mit einheimischem, ägyptischem Sujet bestellte. Die Handlung
entwarf der renommierte französische Ägyptologe Auguste Mariette. Darin geht es
um die Liebe der äthiopischen Sklavin Aida zum ägyptischen Feldherrn Radamès. Als
Lohn für seinen Sieg über die angreifenden Äthiopier unter der Führung König
Amonasros soll Radamès die Pharaonentochter Amneris heiraten. Im Konflikt
zwischen Pflicht und Liebe wird er mehr zufällig als vorsätzlich zum Verräter
und büßt dies mit dem Tod. Hier stellen die europäischen Autoren von Operntext
und -musik in Aida einen Konflikt zweier „exotischer“ Rivalen dar. Und
zwar im Wissen darum, dass – anders als bei den üblichen Orient-Opern – „diese
Inszenierung für Kairo, also die Selbstrepräsentation der ‚Anderen‘ bestimmt
ist, die wiederum europäische Standards nachahmen wollen.“ (Anselm Gerhard)
Der
brasilianische Regisseur André Heller-Lopes hat sich für unsere Erfurter Aida
mit seinem argentinischen Team, der Kostümbildnerin Sofía di Nunzio und dem
Bühnenbildner Renato Theobaldo, eng an Verdis Bildvorstellungen gehalten.
Altägyptische Ornamente und Schriftzeichen dominieren den Bühnenraum.
Anders als
in Mitteleuropa, wo Bühnenwerke meist mit Bezug zum Hier und Heute inszeniert werden,
ist es in der italienischen Opernkultur auch heute noch üblich, sich trotz
optischer Auffrischung an den historischen Szenenangaben bzw. Schauplätzen zu
orientieren. Und der italienischen Opernpraxis sind auch die gar nicht so
wenigen Opernhäuser in Südamerika ästhetisch verbunden.
Seit der
Eröffnung des ersten Opernhauses in Kairo 1869 anlässlich der Eröffnung des
Suez-Kanals mit Rigoletto gibt es Oper auch auf dem afrikanischen
Kontinent. Eine regelmäßige Opernpflege aber hat sich trotz vieler
Schwierigkeiten vor allem in Südafrika etabliert.
Über Oper in
Afrika sprach Chefdramaturg Dr. Arne Langer mit dem Bariton Siyabulela Ntlale.
Der Südafrikaner gehört seit seinem Erfurter Rollendebüt als Rigoletto 2015 zum
Ensemble des Theaters Erfurt und hat hier seitdem in vielen großen
Baritonpartien überzeugt. In der Neuinszenierung der Aida wird er den
äthiopischen König Amonasro verkörpern
Ist die
Partie des Amonasro für Sie ein Rollendebüt?
Ja, es wird
mein erster Amonasro sein, aber nicht meine erste Aida. Vor mehr als
zehn Jahren war ich in meiner Heimat Südafrika im Chor der Cape Town Opera
engagiert. Die Aida war die zweite Oper nach Porgy and Bess, bei
der ich mitwirkte. Der Amonasro ist wie der Rigoletto für einen Bariton eine
absolute Traumpartie. Ich bin dankbar, diese wundervolle Rolle jetzt erarbeiten
zu dürfen.
Was
verbindet Sie mit Ägypten und gibt es etwas, das die afrikanischen Länder
miteinander verbindet?
Das ist eine
interessante Frage. Afrika ist ein riesiger, vielfältiger Kontinent, ich habe
den Eindruck, Europa ist da kulturell etwas einheitlicher. Für uns Südafrikaner
gibt es schon einen Unterschied zwischen dem schwarzen Afrika, dem wir uns
kulturell nahe fühlen, und dem, was wir „weißes Afrika“ nennen, die Länder
Nordafrikas entlang der Mittelmeerküste. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten über die
unterschiedlichen Sprachen und Religionen hinweg. Man hält mich übrigens hier
in Erfurt manchmal nur wegen meiner Hautfarbe für einen Moslem. Generell habe
ich den Eindruck, dass wir Afrikaner, egal ob aus Nord oder Süd, besonders
traditionsbewusst leben und diese Traditionen z.B. beim Beten oder Singen mit
besonderer Inbrunst pflegen und auf sie vertrauen.
In Aida
geht es um einen Krieg zwischen Ägyptern und Äthiopiern. Sind die Ägypter dabei
die Guten, die angegriffen werden und die Äthiopier, die „Wilden aus dem
Süden“, die bösen Aggressoren?
So einfach
ist das nicht. Die Aggression ging doch von den Ägyptern aus, denn sie haben schließlich
Aida und andere Äthiopierinnen gefangen genommen und versklavt. Der äthiopische
König hat kein Interesse, Ägypten zu bekämpfen und beginnt den Feldzug nur, um seine
Tochter zu befreien. Das hält er als Vater für seine Pflicht.
Die Oper Porgy
and Bess darf nur mit schwarzen Sängerinnen und Sängern aufgeführt werden.
Sollte das bei Aida auch so sein?
In Porgy
and Bess wird eine ganz spezielle amerikanische Umgangssprache verwendet, die
dem entspricht, wie ich zuhause mit meinen nächsten Angehörigen reden würde.
Das kann meines Erachtens ein weißer Sänger nur sehr schwer nachahmen. Bei Aida
fände ich es auch gut, wenn man schwarze
Sängerinnen und Sänger engagieren würde, aber nicht primär wegen der Sprache
oder des Aussehens, sondern um schwarzen Sängern die Chance zu geben, solche
Rollen zu singen. Sie sind immer noch unterrepräsentiert auf den Opernbühnen,
und Aida ist nun mal eine afrikanische Geschichte, das würde einfach
passen.
Es gab
eine berühmte Inszenierung, in der Aida als Putzfrau zu sehen war. Wäre das auf
Südafrika übertragbar, Aida als schwarze Hausangestellte?
Das kann ich
mir gut vorstellen, das ließe sich durchaus mit der Lebensrealität bei uns in
Einklang bringen. Auch so einen Charakter wie Rigoletto würde man leicht in einem
Township finden: Ein Mann von nebenan, aus einem schlechten Viertel, ein besorgter
Vater, der für einen sehr reichen weißen Politiker arbeitet und gezwungen wird,
Verbrechen zu begehen.
Halten
Sie die Oper für eine eurozentrische Kunstform?
Ich persönlich
halte die Oper nicht für eurozentrisch, sie gehört allen Menschen gleichermaßen.
In Südafrika ist die Regierung allerdings anderer Meinung und unterstützt die
Oper nicht besonders. Das liegt auch daran, dass es nur wenige Werke gibt, die
afrikanische Themen behandeln, auch wenn inzwischen z.B. eine Oper über Nelson
Mandela in Südafrika und auf Tourneen aufgeführt wurde. Man darf nicht
übersehen, dass das Zusammenwirken von Singen, Darstellen und Tanzen auch in
der afrikanischen Kultur eine ganz lange Tradition hat. Ein sich singend
äußernder Schauspieler kann Menschen aus allen Kulturen emotional erreichen. Um
die traditionelle europäische Oper allerdings zu verstehen oder gar selbst
darin mitzuwirken, bedarf es einer speziellen Ausbildung.
Es gibt
doch einige erfolgreiche Sänger aus Südafrika. Welche Chancen hat der Nachwuchs?
Es gibt
trotz der äußerlichen Abschaffung der Rassentrennung noch erhebliche
Unterschiede und keine wirkliche Chancengleichheit. Die meisten schwarzen
Kinder und Jugendlichen haben in der Schule keinen Musikunterricht und deshalb auch keine Chance,
dass ihr Talent gefördert wird. Und wenn es jemand zum Studium auf das Konservatorium
schafft, muss er an Hintergrundwissen sehr viel nachholen, was Kinder aus der
Oberschicht bereits haben. Für uns gehört das Singen und Tanzen zum Leben, aber
wir lernen nicht nach Noten, sondern intuitiv und durch Zuhören. Deshalb
unterstütze ich die Initiative „Umsebenzi Womculo“ (Die Arbeit der Musik), deren
Mission es ist, die Kultur der Chormusik und des klassischen Konzerts in den Townships
zu entwickeln sowie afrikanische und westliche Musikerziehung dorthin zu
bringen. Dies wurde angeregt durch Musa Ngqungwanas Buch Odyssee eines afrikanischen
Opernsängers – Aus dem Township Zwide auf die Bühne der Welt, in dem es auch
um die fehlende Musikausbildung in den Townships geht. Aus diesem rauen und
unterprivilegierten Background kommen – wie auch ich selbst – die meisten der
heute international erfolgreichen südafrikanischen Sängerinnen und Sänger wie z.B.
Thato Machona, Musa Ngqungwana, Sunnyboy Dladla, Hlengiwe Mkhwanazi, Pretty
Yende oder Levy Sekgapane.
Aida
Oper von
Giuseppe Verdi
Text von
Antonio Ghislanzoni
Uraufführung
Kairo 1871
In
italienischer Sprache mit Übertiteln
Musikalische Leitung
Myron
Michailidis
Inszenierung
André
Heller-Lopes
Bühnenbild
Renato
Theobaldo
Kostüme
Sofía Di
Nunzio
Besetzung
König: Caleb
Yoo
Amneris: Eliška
Weissová
Aida: Lana Kos
Radamès: Mikhail Agafonov
Ramphis: Kakhaber Shavidze
Amonasro: Siyabulela Ntlale
Tempelsängerin:
Jolana Slavíková
Opernchor
des Theaters Erfurt
Extrachor
Philharmonisches
Orchester Erfurt
Premiere
Sa, 27. April
2019, 19.30 Uhr
Großes Haus
Weitere Vorstellungen
Fr, 10.05. |
So, 12.05. | So, 19.05. |
So, 26.05. |
Fr, 07.06. | So, 09.06. |
Sa,
15.06.2019
Matinee
Regieteam
und Ensemble stellen sich vor
So, 14.
April 2019, 11 Uhr
Großes Haus, Eintritt frei
Rang frei!
Der
exklusive Probenbesuch
Di, 23.
April 2019, 18.30 Uhr
99 Zählkarten ab 17.30 Uhr
am Studioeingang, Eintritt frei
- Quelle:
- PROspekt
- Theater Erfurt
- # 9 | März-Juni 2019
- S. 10-12
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