• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Saison 2018/19, März-April
  • S. 24-25

Neu im Ensemble

Gerard Schneider

Singen im Kostüm reicht nicht

Text: Konrad Kuhn

In: Magazin, Saison 2018/19, März-April, Oper Frankfurt, S. 24-25 [Publikumszeitschrift]

»No kangaroos in Austria« – diesen Stoßseufzer hat schon mancher Österreicher von sich gegeben, der fern seines Landes für einen Australier gehalten wurde. Gerard Schneider ist beides zugleich, nämlich Austro-Australier! Und das kam so: Seine australische Mutter (mit britischen Wurzeln) engagierte für ihr Restaurant in Melbourne einen Maître d’hôtel aus Vorarlberg, und der wurde ihr Mann. Nach der Geburt des Sohnes ging die Familie für einige Jahre nach Österreich, bevor Mutter und Sohn nach Australien zurückkehrten. So sind beide Länder für Gerard Schneider bis heute Heimat: In Australien vermisst er die Berge, und in Vorarlberg das Meer. Zur zweiten Heimat wurde ihm in den letzten beiden Jahren Wien, wo man an jeder Ecke über die alte habsburgisch-imperiale Pracht stolpert. Und jetzt Frankfurt: In Sachsenhausen, in der Nähe des Henninger-Turms, wohnt das neue Ensemblemitglied seit Beginn der Spielzeit im sogenannten »Sängerhaus«, unter dessen Dach derzeit eine ganze Reihe weiterer KollegInnen der Oper Frankfurt ihr Domizil haben. 

Seine Bühnenlaufbahn begann der Tenor, der das lebhafte Gespräch immer wieder gern mit seinem hellen Lachen unterbricht, als Musical-Darsteller in Fernost. In Ländern wie Taiwan und Japan oder im chinesischen Macao trat er in Stücken wie Jesus Christ Superstar oder Les Misérables in Sälen auf, die viele Tausend begeisterter Besucher fassen. Eher zufällig präsentierte er sich 2011 bei der Australian Singing Competition, ohne jemals klassischen Gesang studiert zu haben. Und kam auf Anhieb ins Finale, was ihm eine Ausbildung an der renommierten Guildhall School in London ermöglichte. Von dort ging es weiter an die Juilliard School in New York, wo Edith Wiens ihn unter ihre erprobten gesangspädagogischen Fittiche nahm. »Sie ist die beste Lehrerin der Welt«, sagt Gerard Schneider, »ich verdanke ihr alles!« 

Edith Wiens machte Bernd Loebe schon früh auf den jungen Sänger, der 2014 im Rahmen des Young Singers Project auch schon bei den Salzburger Festspielen an der Seite von Anna Netrebko und Plácido Domingo aufgetreten ist, aufmerksam. Und so kam er in unser Ensemble. »Frankfurt is the place to be for a young singer«, sagt Gerard Schneider. Hier könne man nicht nur ein Repertoire aufbauen und diverse Feuerproben bestehen, sondern auch behutsam eine (hoffentlich lange) Karriere vorantreiben. Denn das sind für ihn zweierlei Dinge: »Ein guter Sänger zu sein und eine Karriere zu haben, ist nicht dasselbe! Zeit haben, sich zu entwickeln, das ist das größte Geschenk. Man kann sich in der Geborgenheit eines Ensembles selbst erforschen, von den anderen lernen, sich gegenseitig unterstützen. Ich empfinde den Austausch mit meinen KollegInnen als ungemein befruchtend. In welchem Opernhaus von internationalem Rang gibt es noch ein so großes festes Ensemble wie an der Oper Frankfurt?«

Auch über das Frankfurter Publikum gerät der Tenor, der sich hier bisher als Prinz in Dvořáks Rusalka vorgestellt hat, ins Schwärmen: »Die Resonanz ist überwältigend. Ich bekomme so viel Zuspruch, sogar Geschenke beim Bühneneingang. Auch auf den sozialen Medien ist das Interesse riesig. Frankfurt hat ein sehr aktives, neugieriges Publikum!« Zudem schätzt er die internationale, vibrierende Atmosphäre der Stadt. Und die Museumslandschaft: »Meine Eltern betreiben inzwischen eine Galerie im australischen Perth. Auch für sie lohnt sich der Besuch: Was man in Frankfurt an Bildender Kunst alles zu sehen bekommt, ist sensationell!« 

Natürlich ist der Sänger stolz, dass das »Opernhaus des Jahres 2018« in Frankfurt steht. Ausdrücklich wünscht er sich neue Sichtweisen von Regisseuren: »Oper darf nicht Singen im Kostüm sein. Warum schwirren diese Ideen immer noch in manchen Köpfen herum? Nein-Sager sind der Tod des Musiktheaters! Ich wünsche mir Austausch mit anderen Kunstformen. Wir müssen als Künstler ein Gewissen haben. Das bedeutet für mich, sich zum Anwalt neuer oder weniger bekannter Werke zu machen. Und es bedeutet, politische Themen zu bedenken, uns den Problemen unserer Welt heute zu stellen – und KollegInnen anderer Hautfarbe den Weg auf die Opernbühne zu ebnen. Diese Fragen beschäftigen mich sehr. Vielleicht kann ich mich später mal als Regisseur oder sogar Intendant damit auseinandersetzen, wer weiß?« 

Derzeit ist der begeisterungsfähige junge Künstler erst einmal an die Komische Oper Berlin »ausgeliehen«: In Barrie Koskys Neuinszenierung von La Bohème singt er Rodolfo. Frankfurt muss noch ein wenig warten, bis er in Szymanowskis Król Roger in der Rolle des geheimnisvollen, dionysische Mächte entfesselnden Hirten wieder hier auf der Bühne steht. 

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