• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Saison 2018/19, März-April
  • S. 30-31

Hinter den Kulissen

Meister des „So tun als ob“

Die TheaterplastikerInnen

Text: Deborah Einspieler

In: Magazin, Saison 2018/19, März-April, Oper Frankfurt, S. 30-31 [Publikumszeitschrift]

 »BühnenplastikerInnen arbeiten an der Erstellung der Dekorationen für das bühnenbildnerisch vorgegebene Inszenierungskonzept. Sie zeichnen, malen und arbeiten plastisch.« So liest man im Internet über das Berufsbild des Plastikers oder auch Kascheurs. Doch was genau wird in den Werkstätten geschaffen? Wie sieht die berufliche Ausbildung aus und welche Voraussetzungen muss ein junger Mensch mitbringen, um als Theaterplastiker in einem Theater arbeiten zu können?

Seit 2000 gibt es eine staatlich anerkannte Ausbildung zum Theatermaler und -plastiker, die mit einer Prüfung an der IHK nach drei Jahren abgeschlossen wird. Darüber hinaus ist ein Studium der Theaterplastik in Dresden möglich. Auch in Frankfurt besteht die achtköpfige Abteilung plus einem Auszubildenden unter der Leitung von Ursula Klimczyk, aus ausgebildeten TheaterplastikerInnen. Einige von ihnen haben zuvor einen Abschluss in artverwandten Berufen absolviert. Alle drei Jahre stößt ein/e neue/r Azubi zu den KollegInnen. Die Auswahl der/s Richtigen fällt oft schwer, denn unter meist 100 Bewerbungen sind viele talentierte Menschen, die sich am besten mit einer Mappe, einem Talent auch für dreidimensionales Zeichnen und einer gehörigen Lust auf Kreatives vorstellen. Mathematische Fähigkeiten wie ein Minimum an Rechnen im Dreisatz und eine Vorstellung von Geometrie schaden ebenfalls nicht, wie die KollegInnen lachend versichern.

Tiere, Bäume, Figuren, aber auch Säulen und Reliefs entstehen in der Werkstatt der Theaterplastiker, bei den »Meistern des als ob«. Aus den unterschiedlichsten Materialien wie Styropor, Ton, Gips, Stein und Kunststoffen fertigen sie Dekoratives für die Bühne. Ebenso vielfältig wie die Materialien und Stilrichtungen sind die Techniken, die angewandt werden. Oft entstammen die Motive den Bereichen der Architektur, wie die Reliefs im Bühnenbild von Oedipus Rex, oder es sind Modelle aus der Anatomie, aus Flora und Fauna gefragt. In Iolanta blühen auf Wunsch der Bühnenbildnerin zum »Blumenchor« in der zweiten Szene acht große Blüten: zwei Rosen, zwei Orchideen, zwei kleine und zwei große Lilien. Barbara Ehnes überließ die Blüten und das »How to do« der Konstrukteurin und der Plastikerin, die diese gemeinsam entwickelt haben. Verschiedene Materialien wurden ausprobiert, mit Tyvek, einem papierähnlichen Kunststoff, den man als Malerkittel kennt, experimentiert, denn die Blüten sollten nicht nur groß sein und hübsch aussehen, sie durften wie jedes Bühnenbildelement nur schwer entflammbar sein. Drei Prototypen brauchte es bis zur Realisierung, und dann glänzten die Blumen in jeder IolantaVorstellung neben Asmik Grigorian im Licht der Scheinwerfer.

Im November entstanden für Vincenzo Bellinis I puritani vier Karyatiden, also Figuren mit tragender Funktion, wie sie in der Architektur statt Säulen oder Pfeilern in Fassaden oder Innenräumen zu finden sind. Der Bühnenbildner Johannes Leiacker hatte sich vier lebensgroße Skulpturen, zwei Frauen, zwei Männer gewünscht und zunächst Vorlagen aus einem Ornamente-Buch geliefert. Die KollegInnen brauchten trotzdem bessere und vor allem genauere Bilder und wurden auf einem Streifzug durch das Bahnhofsviertel in der Kaiserstraße fündig. Über einem Eissalon »wachen« dort tragende Figuren, die von vorne und von der Seite fotografiert wurden – dazu musste man die Nachbarn in den Büros fragen, um, tief aus deren Fenstern gelehnt, die Bilder zu knipsen. In der Werkstatt der Theaterplastiker wurden sie nachgebaut. Vier Kollegen haben jeweils hundert Stunden gleichzeitig an den vier Karyatiden gearbeitet, deren Körper aus Styropor und die Gesichter aus Gummi entstanden. Die Gesichter der Männer und Frauen sollten die gleichen sein, wenn auch gespiegelt. Also wurde das Gesicht erst aus Ton modelliert, dann mit Gips abgeformt und anschließend beliebig oft aus Gummi gegossen. Dann wurde mit Holzleim und Packpapier kaschiert, weshalb TheaterplastikerInnen in Theatern früher oft auch als »Kascheure« bezeichnet wurden – eine Berufsbezeichnung, die sie aus heutiger Sicht freilich reduziert. Im nächsten Schritt wurden die Karyatiden von den TheatermalerInnen bemalt. Die Kollegen eint das Interesse am Theater, die künstlerische und handwerklich-technische Affinität und Begabung, das räumliche Vorstellungsvermögen und vor allem Ausdauer. Die braucht es, wenn beispielsweise über Wochen und oft im Stehen im Umfeld von Farben und Lösungsmitteln große Bäume entstehen. So wünschte sich der Bühnenbildner Rainer Sellmeier für Verdis La forza del destino Palmen. Bevor die Plastiker mit der Produktion der Palmen loslegten, benötigten sie ein Modell und mehr Informationen über die Größe und darüber, was die Teile eventuell können müssen. Filigranes wie der abgespreizte Arm einer Skulptur braucht eine Verstärkung. Objekte, die auf der Bühne kaputt gehen sollen, wie etwa der große Gorilla, der vor einigen Jahren in Tschaikowskis Pique Dame auseinanderfiel, müssen anders konstruiert bzw. verstärkt werden als eine feste Figur. Und »Wiedersehen macht Freude« – auch nach Jahren – behaupten die Theaterplastiker einstimmig; nämlich dann, wenn sie ihre besonderen Schätzchen aus abgespielten Produktionen am Tag der Auflösung des Bühnenbilds vor dem Press-Container, sprich der Mülltonne, retten. So finden sich zum Beispiel die ägyptischen Skulpturen aus einer längst vergangenen L’Orontea-Produktion im Augenblick in der Werkstatt und warten auf ihren nächsten großen Auftritt. Vielleicht können Sie sie ja beim nächsten Theaterfest auf der Galerie im Malersaal bewundern?

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