• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 2 | Herbst 2016
  • S. 42-43

Universum und Eniversum

Meinung

Text: Peter Planyavsky

In: Magazin Klassik, # 2 | Herbst 2016, Radio Klassik Stephansdom, S. 42-43 [Hörermagazin]

Bisweilen hat man das Gefühl, in einem Parallel-Universum zu leben mit seiner klassischen Musik. Vanessa Mai sagte am 23. Mai 2016 im ORF auf die Frage, ob sie auch klassische Musik höre: „Mmm ... also ... eigentlich ...“ Moderator: „Also eher nicht.“ – Vanessa Mai: „Nein ... aber es ist ok, diese Musik hat auch ihre Berechtigung.“

Crossover? Ja, musikalisch schon. Aber ansonsten driften E- und U-Musik weiter und weiter auseinander – in Wahrnehmung, Präsentation und handwerklichem Aufwand.

Naiv wie ich war, äußerte ich nach der Nominierung des österreichischen Beitrags beim Songcontest meine Neugier auf jenes Lied, das dann ins Finale gelangt. Weit gefehlt: es würde dieselbe 4-Minuten-Nummer sein, die schon wochenlang zu hören war – erstaunlich, wenn man das mit den harmlosesten Klassik-Wettbewerben vergleicht, wo zwei oder drei Programme zu je 25 bis 30 Minuten gespielt werden müssen. Erstaunlich auch die vergleichsweise geringe Eigenleistung; wie man hört, werden die Sänger(innen) Monate davor tagelang gecoacht, damit es überhaupt etwas hermacht. Vollends verblüffend – für einen alten Klassiktypen – wird es dann, wenn man die Elemente der Darbietung nüchtern analysiert: Die Lichteffekte, das Arrangement, die Zuspielungen, die Textilien und die Choreographie machen etwa 80% der Wirkung aus. (Nebenbei: die anwesenden Musiker spielen gar nicht wirklich, sondern simulieren nur.) Wohl wahr – auch in der Staatsoper tragen Licht, Kostüm und Schauspiel zur Gesamtwirkung des musikalischen Kerns bei. Aber man kann dort jede Menge „Songs“ hören, die sich über mehr als hundert Jahre in den Charts gehalten haben – übrigens auch ohne Arrangement, in nackten Klavier-und-Stimme-Wiedergaben.

Und schon fliegen mir die ersten Tomaten entgegen – aber es geht nur um eine trockene Gegenüberstellung. Wer also wochenlang dieselbe Nummer singt, gilt als (Zitat) „Ausnahmekünstler“? Da fällt mir doch die Geschichte vom Sänger Yosep Kang von der Deutschen Oper Berlin ein, der um 16 Uhr angerufen wird, er möge einspringen und heute Abend (sic) den Rodolfo in der Bohème übernehmen. Als er landet, beginnt gerade der Einlass in der Staatsoper. Maske, Kostüm, Express-Einweisung, damit er nicht auf offener Bühne nach dem eiskalten Händchen suchen muss; das Publikum bekommt derweil ein Gläschen Sekt. Und dann singt und spielt Herr Kang halt – ohne Probe und klarerweise auswendig. Allerdings sind es nicht vier, sondern 104 Minuten Musik.

Und wenn er nicht weiter weiß bei seinem Liedlein, das er vor 3 Wochen zuletzt gesungen hat (anderer Dirigent, andere Bühne?), dann gibt es den Souffleur. Er sitzt nicht einfach in seiner Kiste und wartet bis der Sänger erbleicht. Er summt und dirigiert mit – die ganze Zeit, ununterbrochen. Ein im Dienst ergrauter Souffleur hat einmal nachgezählt, wie viele Einsätze er in einer Wagner-Oper gibt: mehr als 4000.

Irgendwie verlieren die gewissen vier Minuten Contest-Song trotz der vielen Millionen am Fernsehgerät gerade ein wenig an Hochglanz. Aber bitte – hat auch seine Berechtigung!