• Foyer5
  • Landestheater Linz
  • # 16 | Jänner-März 2020
  • S. 10-11

Premierenfieber

Je absurder, desto Oper

Eine kurze Lektion über die Unlogik der Oper

Text: Christoph Blitt

In: Foyer5, # 16 | Jänner-März 2020, Landestheater Linz, S. 10-11 [Publikumszeitschrift]

Der Sopran und der Tenor lieben sich. Der Bariton liebt den Sopran auch, wird aber von diesem verschmäht. Tenor und Bariton kämpfen in einem Krieg auf unterschiedlichen Seiten. Der Mezzosopran gibt vor, die Mutter des Tenors zu sein. Doch in Wahrheit ist der Tenor der Bruder des Baritons. Denn fünfzehn Jahre zuvor hatte der Vater des Baritons die Mutter des Mezzosoprans als Hexe verbrennen lassen. Aus Rache raubte der Mezzosopran den Tenor, also den Bruder des Baritons (da beide zu diesem Zeitpunkt jedoch noch Kinder waren, hatten sie wohl noch andere Stimmlagen). Der Mezzo wollte das geraubte Kind auch den Flammen überantworten, doch sie warf stattdessen ihr eigenes Kind in das Feuer. Das geraubte Kind (den späteren Tenor) zog sie nun an Sohnes statt auf. Jetzt, wo Tenor und Bariton zum Manne gereift sind, gelingt es, den Bariton, den Mezzosopran und den Tenor in seine Gewalt zu bringen. Der Sopran will den Tenor retten. Sie verspricht dem Bariton ihre Liebe. Doch der Sopran nimmt ein langsam wirkendes Gift. Der Tenor denkt, der Sopran sei ihm untreu. Der Sopran beteuert seine Unschuld. Obwohl das Gift schon Wirkung zeigt, singt der Sopran und singt und singt und stirbt und singt. Der Tenor erkennt, dass er den Sopran zu Unrecht beschuldigt hat. Der Bariton lässt den Tenor hinrichten. Der Mezzosopran offenbart dem Bariton, dass er soeben seinen eigenen Bruder töten ließ. Der Bariton ist verzweifelt.

Musiktheaterfreund*innen werden gleich erkannt haben, dass hier in äußerst verknappter Form der Inhalt von Giuseppe Verdis Oper Il trovatore (Der Troubadour) skizziert wurde. Diejenigen jedoch, die der Oper generell skeptisch gegenüberstehen, werden sich durch eine derartige Beschreibung in all ihren Vorurteilen gegenüber diesem Genre bestätigt fühlen: Menschen, die Gift nehmen und dann noch ewig weiter singen; Ereignisse und Vorkommnisse, die völlig unwahrscheinlich erscheinen; das sich ewig wiederholende Handlungsmuster von Sopran und Tenor, die sich lieben und vom bösen Bariton daran gehindert werden etc. etc.

Wer derartige Einwände meint, vorbringen zu müssen, dem kann man zurufen: „Ja, du hast vollkommen recht!“ Aber man muss ihm auch fragend erwidern: „Und, was ist nun mit solch einer Aussage, dass das alles absurd sei, gewonnen?“ Denn sich über die Unlogik der Oper zu beschweren, ist so, als würde man sich beim Baden darüber aufregen, dass Wasser nass sei. Denn der stinknormale Alltag hält doch eher selten Situationen bereit, die Menschen dazu bringen würden, singenderweise und mit Begleitung eines Orchesters miteinander zu kommunizieren.

Will sagen: Oper ist nicht realistisch, Oper ist per definitionem absurd! Doch genau darin liegt ihre große Stärke und ihr faszinierender Reiz begründet. In der Oper kann man die Fantasie frei schweifen lassen, ohne sich an die starren Regeln einer kleinlichen und einengenden Logik halten zu müssen.

Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass sich auch eine Opernhandlung nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit entwickelt. Und es ist natürlich so, dass Oper selbstverständlich auch den Intellekt anspricht. Aber das vorrangige Ziel des Musiktheaters ist es, Gefühlen und Seelenregungen Raum zu geben und sie zum Schwingen und zum Klingen zu bringen. Somit spielt es im Grunde lediglich eine untergeordnete Rolle, wie die Personen in die emotionalen Ausnahmesituationen kommen, die sie veranlassen, sich in und mit der Musik zu äußern. Und so ist es dieses „Kraftwerk der Gefühle“, das immer wieder aufs Neue zu packen und zu fesseln vermag und einen Erfahrungen und Empfindungen vermittelt, die über die Gesetze der Wahrscheinlichkeit erhaben sind. Dazu gehört etwa die Macht der Musik, die Zeit anzuhalten und einen Augenblick so lange zu dehnen, wie es die jeweilige emotionale Situation eben erfordert. Und wer würde nicht behaupten wollen, dass der Tod – sei es das eigene Sterben oder der Verlust eines Anderen – eines der wichtigsten und folgenreichsten Ereignisse im Leben eines Menschen ist. Somit ist es nicht nur konsequent, sondern eben auch logisch und – im wahrsten Sinne des Wortes – zum Sterben schön, wenn Verdi dem Sopran in Il trovatore, nachdem das tödliche Gift schon längst Wirkung gezeigt hat, alle Zeit der Welt gönnt, seine Seele im Gesang auszuhauchen.

Statt sich daran zu stören, dass Opern oft Geschichten erzählen, die unrealistisch, wenn nicht gar (um einen Begriff zu nennen, den Verdi in Zusammenhang mit Il trovatore immer wieder selbst aufgriff) „bizarr“ sind, sollte man sich all dies immer wieder ins Bewusstsein bringen: Die Oper braucht Vorgänge und Handlungen, die von dem Bereich des Gewöhnlichen und Alltäglichen geschieden sind.

Denn erst hier kann sich die Ausdruckskraft der Musik in ihrer ganzen Kraft und Schönheit entfalten, um die emotionale Wahrheit hinter den gezeigten Geschichten zum Leuchten und Glühen zu bringen. Gerade Verdi war ein Meister darin, diese Sphäre jenseits der Realität erblühen zu lassen. Und so sind dem Publikum die von ihm erschaffenen Figuren trotz aller Monstrositäten des Handlungsverlaufs auf einmal nicht nur doch ganz nahe, sondern sie erobern auch unser aller Mitgefühl.

Oder, um es auf eine äußerst knappe Formel zu bringen: Je absurder, desto Oper!


IL TROVATORE

DER TROUBADOUR
OPER IN VIER TEILEN VON GIUSEPPE VERDI
TEXT VON SALVADORE CAMMARANO UND LEONE EMMANUELE BARDARE NACH DEM GLEICHNAMIGEN DRAMA VON ANTONIO GARCÍA GUTIÉRREZ
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere 11. Jänner 2020
Großer Saal Musiktheater

Musikalische Leitung Enrico Calesso
Inszenierung Gregor Horres
Ausstattung Jan Bammes
Video Volker Köster
Dramaturgie Christoph Blitt
Nachdirigat Marc Reibel

Mit Federico Longhi/Adam Kim (Graf Luna), Izabela Matula/Sonja Šarić (Leonora), Katherine Lerner/Julia Faylenbogen (Azucena), Sung-Kyu Park/James Lee (Manrico), Dominik Nekel (Ferrando), Gotho Griesmeier (Ines) u. a.

Chor und Extrachor des Landestheaters Linz
Statisterie des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz

Rache, romantische Liebe, Hass, Krieg und Künstlertum – das sind die Zutaten, aus denen Verdis Il trovatore eine emotionsgeladene, wild bewegte Geschichte webt: Die Hofdame Leonora liebt den Troubadour Manrico. Gleichzeitig wird sie auch vom Grafen Luna begehrt. Manrico und Luna sind aber nicht nur Rivalen um die Gunst Leonoras, sondern sie stehen sich auch in einem Bürgerkrieg als Feinde gegenüber. Und dann ist da noch Azucena, die Mutter Manricos. Deren Mutter wiederum wurde einst vom Vater des Grafen Luna als Hexe verbrannt. Seitdem lebt Azucena nur für den Gedanken, den Tod der Mutter zu rächen. Tatsächlich gelingt ihr das auch, doch der Preis dafür ist extrem hoch …

Weitere Vorstellungen
14., 18., 28. Jänner, 9., 15., 21., 24., 26. Februar, 6., 11., 13., 18., 20., 31. März, 2. April, 1., 13. Mai, 3. Juni 2020