• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 14 | Herbst 2019
  • S. 16-18

Nora

Nach vielen Jahren noch eine Uraufführung

Interview: Christoph Wellner

In: Magazin Klassik, # 14 | Herbst 2019, Radio Klassik Stephansdom, S. 16-18 [Hörermagazin]

Der Österreicher Albin Fries komponierte vor vielen Jahren eine Oper. Doch keiner wollte sie. Letztes Jahr gewann er den Kompositionswettbewerb beim Miskolc Bartók Plus Opera Festival. Ein Bericht über die Uraufführung und ein Gespräch mit dem Komponisten.

Seit 2001 gibt es mit dem Miskolc Bartók Plus Opera Festival ein jährliches Festival im Nordosten von Ungarn, das sich auf der einen Seite der Pflege der Werke des ungarischen Namensgebers widmet, auf der anderen Seite ist man mit der Ergänzung „Plus“ sowohl auf der Suche nach anderen Stücken aus dem Bereich des Musiktheaters, wie auch nach unkonventionellen Aufführungsorten abseits der herkömmlichen Theaterbühnen. Wobei „herkömmlich“ beim Nationaltheater Miskolc ohnehin schon nicht stimmt: Es ist das erste aus Stein erbaute Theater Ungarns und die ältesten Bestandteile sind noch aus dem Jahr 1823. Viele weitere Bauschritte ergeben heute ein Multifunktionstheater, das neben der großen (Opern-)Bühne noch Kammertheater, Halle, Schauspielhaus und das Sommertheater mit einem Fassungsvermögen von 500 Personen umfasst.

Beim heurigen Miskolc Bartók Plus Opera Festival standen neben Bartóks „Blaubart“ und der „Bohème“ von Puccini auch selten gespielte Opern wie Pietro Mascagnis „Iris“ oder „Der goldene Drache“ von Peter Eötvös auf dem Programm. Ein Highlight war eine Open-Air-Aufführung der „Cavalleria rusticana“ in den Wäldern bei Miskolc.

Von besonderem Interesse für Österreicher war sicher die Uraufführung der „Nora“ von Albin Fries, dessen romantische Märchenoper „Persinette“ am 21. Dezember 2019 an der Wiener Staatsoper Premiere haben wird.


CW: Sie komponieren „erstaunlich“ tonal. Das ist in der heutigen Zeit – zumindest im deutschsprachigen Raum – sehr ungewöhnlich. Manche würden vielleicht sogar sagen „ungebührlich“ …

AF: Ich erinnere mich an ein Gespräch in der Staatsoper mit einem Sänger vor langer Zeit, in dem wir beide der Meinung waren, dass man Puccinis „Bohème“ nicht aufführen würde, würde sie heute komponiert werden. Ich bin nicht so vermessen, mich mit Puccini vergleichen zu wollen, aber irgendwie hat es mich gereizt, so ein unzeitgemäßes Werk zu schreiben. Ich komponiere ohnehin spätromantisch-tonal, was in Mitteleuropa an sich in den akademischen musikalischen Kreisen schon unverzeihlich ist. Ich glaube aber fest daran, dass in der heutigen Musik Inspiration viel wichtiger wäre als die ewige Forderung nach Innovation, die ohnehin mit 12 Tönen gar nicht mehr möglich ist. Ich bin überzeugt, dass Melodik und Harmonik unerlässliche Elemente eines Musikstücks und mir persönlich Voraussetzung für Inspiration sind.

CW: Worum geht es in der „Nora“?

AF: Die Oper ist in Wien um 1900 angesiedelt. Der herzkranke Komponist Arthur Sonnenfels verzweifelt an seiner Unfähigkeit, das Gefühl der Liebe in Musik auszudrücken. Durch verschiedene Umstände blieb seine Jugendliebe zu Nora letztlich unerfüllt – nach einer kurzen, glücklichen Zeit trennten sich ihre Wege. Seitdem verlief sein Leben erfolgreich, doch empfindungslos. Als er 20 Jahre später der jungen Desirée begegnet, glaubt er in ihr Nora zu erkennen. Er erleidet einen Herzinfarkt. An dem Medaillon, einst ein Geschenk Arthurs an Nora, welches Desirée seit dem Tod ihrer Mutter trägt, erkennt Arthur in Desirée seine eigene Tochter, von deren Existenz er bisher nichts ahnte. Er begreift plötzlich durch die Beziehung zu seinem Kind das Wesen der bedingungslosen Liebe. In Gedanken hört Arthur die Melodie der Liebe, nach der er so viele Jahre lang vergeblich gesucht hatte. Als er versucht die Melodie aufzuschreiben, versagt sein Herz, und er stirbt. Mit seinem Liebesthema endet die Oper.

CW: „Nora“ ist ja kein neues Stück. Wie ist es zu dieser späten Uraufführung beim Miskolc Bartók Plus Opera Festival gekommen?

AF: Musikalisch ist „Nora“ sicher mein Zentralwerk. Das extrem gefühlsbetonte, ja sentimentale Sujet zu Nora habe ich bewusst als Gegenstück zur intellektuellen oder apokalyptischen Oper unserer Tage gewählt. Es war eine mutige Entscheidung – zusammen mit meinem spätromantischen Stil sozusagen ein doppelter künstlerischer Selbstmord. Das Libretto schrieb Miriam Mollard, wobei ich in ständiger Rücksprache und langen Diskussionen großen Einfluss nehmen durfte. Kein anderes Werk hat mir bei der Komposition so viel Freude bereitet wie diese Oper … und später dann so viele Enttäuschungen! Innerhalb kurzer Zeit in den Jahren 2010/11 wie in Trance entstanden, sandte ich die umfangreiche Partitur an 20 Opernhäuser in aller Welt. Lediglich San Francisco sandte mir die Partitur mit der Bemerkung, man bekäme wöchentlich 6 Opernangebote zurück. Allen anderen Intendanten war „Nora“ nicht einmal eine E-Mail wert. Einigen namhaften Dirigenten zeigte ich die Partitur. Sie waren alle begeistert, aber keiner wagte eine Aufführung oder hatte die Macht, sie in seinem Haus durchzusetzen. So auch Simone Young, damals Chefin der Hamburger Oper. Sie bot mir an, Orchesterstücke daraus konzertant aufzuführen, aber für eine szenische Aufführung einer tonalen Oper hätte sie in Hamburg nicht Mut genug. Lediglich Dominique Meyer erteilte mir daraufhin einen Kompositionsauftrag für eine Kinderoper. Die Partitur von „Nora“ aber verschwand für sieben Jahre von meinem Schreibtisch und ich vermied die schmerzhaften Erinnerungen daran. Die Teilnahme am Bartók-Kompositionswettbewerb war dann ein letzter Versuch … Den Glauben an „Nora“ allerdings hatte ich keinen Augenblick verloren, aber an eine Aufführung glaubte ich schon lange nicht mehr. Nun wurde sie als Gewinnerin dieses Wettbewerbs heuer am 20. Juni beim Miskolc Bartók Plus Opera Festival uraufgeführt. Wunder brauchen offenbar ihre Zeit!
 

Der amerikanische Komponist Fredric Kroll schrieb über „Nora“: „It takes up the thread quite exactly where Schreker and Korngold were forced to abandon it.“ So kann man die Tonsprache durchaus beschreiben. In der Regie von Ferenc Anger konnte das Stück durchaus überzeugen, auch wenn das Libretto (und damit die Oper) einige Längen aufweist. Leider war der Tenor Pedro Velázquez Díaz der eher „heldischen“ Partie des Sonnenfels nicht ganz gewachsen, woran auch der auf Lautstärke bedachte Dirigent Ádám Cser einen erheblichen Anteil hatte. Herausragend hingegen Valentina Pluzhnikova in der Hosenrolle des jungen Arthur. Man kann „Nora“ nur weitere und besser besetzte Aufführungen wünschen!