• Spielzeitung
  • Anhaltisches Theater Dessau
  • März-September 2022
  • S. 14

Musiktheater

Der Rosenkavalier

Kosmos Österreich

Interview: Felix Losert

In: Spielzeitung, März-September 2022, Anhaltisches Theater Dessau, S. 14 [Publikumszeitschrift]

Mit Michael Schachermaier, dem Regisseur der Neuproduktion Der Rosenkavalier, sprach Operndirektor Felix Losert.

Der Rosenkavalier hat zwei Seiten: Auf der einen erzählt er vom Leben, verschiedenen Arten der Liebe und vom Älterwerden – und das mit markanten Charakteren, die seit der Uraufführung 1911 glaubhaft wirken – bei der des Baron Ochs ging Hofmannsthal soweit, ihn teilweise regelrecht unsymphatisch darzustellen. Auf der anderen Seite entfaltet die Oper – zumal im luxuriösen Klanggewand von Richard Strauss – eine Schein- und Traumwelt voller reicher Menschen, die sich Probleme künstlich schaffen müssen, um welche zu haben. Und diese Traumwelt – von Hofmannsthal mit einer zum Teil erfundenen Wiener Kunst-Sprache versehen – kommt im Gewand der »guten alten Zeit« daher. Wie hast Du Dich diesen Facetten des Werks angenähert, was hat Dich am meisten am Rosenkavalier interessiert?

Meine zentrale Idee ist, ein österreichisches Gesellschaftsbild zu zeichnen mit allen Standesunterschieden und Hierarchien. Und da fügt sich das Thema sehr gut ein, das mich besonders fasziniert hat: der Aspekt der Zeit, und auch der Zeitenwende und des Zeitverstreichens. Die Menschen merken hier, wie ihre Zeit langsam zu Ende geht, sie hadern damit, wie sich die Zeit ihnen gegenüber verhält. Doch als irreale Traumwelt würde ich das Ambiente im Rosenkavalier nicht bezeichnen, auch nicht als behauptete gute alte Zeit. Wenn man durch Wien geht und die prächtigen Gebäude sieht, dann spürt man, dass Österreich einmal die Hauptstadt eines größeren Reiches war. Und wenn du in ein Wiener Café gehst, wirst du genau diese Menschen treffen, die im Rosenkavalier vorkommen. Deshalb möchte ich diese schönen, kontrastreichen Figuren aus diesem Kosmos Österreich mit starken Farben porträtieren. Ich glaube, dass man sie dabei ernst nehmen muss in ihren Sorgen und Nöten. Wenn man das tut und sie nicht ins Lächerliche zieht, dann findet die Komödie statt - umgekehrt würde es nicht gehen.

Was ist es konkret, das Dir an den Charakteren im Rosenkavalier so wienerisch erscheint?

Wenn ich sage, dass für mich der Rosenkavalier unglaublich österreichisch ist, dann ist mir dabei klar, dass ich als Wiener das auch gar nicht anders finden kann. In Österreich weiß jeder - oder glaubt zu wissen -, wie der Rosenkavalier funktioniert, jeder kann mitsingen. Jetzt inszeniere ich den Rosenkavalier aber über 600 Kilometer entfernt von Wien und das ist eine große Herausforderung für mich: Jetzt muss und möchte ich die Dinge zeigen, die ich als Österreicher in dieser Oper wiedererkenne. Beispielsweise die Bedeutung, die in Österreich der Adel und die Standesunterschiede spielen. Da wird man heute noch bei den Ämtern etwa als Hofrat tituliert oder im Kaffeehaus als Herr Doktor angesprochen. Und es verkürzt dir die Wartezeit beim Arzt, wenn du mit einem akademischen Titel auftrittst. Das sind vermeintliche Klischees, aber in Österreich ist es Realität. Auch davon handelt der Rosenkavalier: wie jemand die Standesunterschiede für seinen Vorteil ausnutzt, wie Leute hintenrum schlecht von jemandem reden oder wie sie bei anderen gute Miene zum bösen Spiel machen. Da ist der Ochs ein Paradebeispiel. Er setzt seine Manieren immer dann ein, wenn sie ihm etwas nützen. Er verhält sich ganz anders zur Marschallin als zu dem Bürgerlichen Faninal, den er für untergeordnet hält.

Obwohl die Handlung im 18. Jahrhundert zur Zeit Kaiserin Maria Theresias spielt, kann sich auch jeder heutige Mensch in den Helden der Oper wiedererkennen.

Auch wenn man es in historischen Kostümen spielt, gibt’s da Anknüpfungspunkte mit hohem Identifikationspotenzial in den Figuren. Man kennt die enttäuschte Liebe, man kennt das Verliebtsein, man kennt das Jungsein. Aber man kennt auch das Älterwerden und auch – überspitzt formuliert – den eigenen Verfall. So wird das österreichische Gesellschaftsporträt, das wir malen wollen, auch überzeugend.

Was erleben wir auf der Bühne?

Wir haben uns entschlossen, die Handlung in drei verschiedenen Zeiten in Wien spielen zu lassen: den ersten Akt originalgetreu im 18. Jahrhundert, den zweiten Akt zur Entstehungszeit der Oper, also etwa um 1910, und den dritten Akt im Wien der 80er Jahre. Wir wollen Lust darauf machen, gemeinsam mit den Heldinnen und Helden durch die Epochen zu gehen. Auf die 80er Jahre sind wir gekommen, weil für uns das Wirtshaus, in dem der dritte Akt spielt, ganz klar der Prater in Wien sein muss. Daran knüpft sich für uns die Idee, diesen Teil der Handlung in einer Halbwelt spielen zu lassen. In den 80ern gab es in Wien nicht nur Falco, sondern auch einiges an Rotlichtmilieu, Kleinkriminalität und – wie wir sagen würden – »Verhaberung« zwischen Polizei und Verbrechertum. In dieser Welt aus Schein und Sein wird Ochs mit seinen Urängsten konfrontiert. Wir wollten etwas finden, womit wir die Szene, in der Ochs von den Helfershelfern Octavians im Gasthaus erschreckt wird, berührender und überraschender machen kann. Die Geschlechterrollen weichen sich auf, und Ochs bekommt Angst, sich in der Welt nicht mehr zurechtzufinden. Weil eine Figur wie Ochs heute dazu zwingt – gerade in Zeiten von #MeToo – sich zu positionieren, wollen wir diesen Aspekt der Geschichte hinzufügen.

Anders als in den Operetten aus der Rosenkavalier-Zeit bleiben die Frauenfiguren bei Hofmannsthal und Strauss schwach: die Marschallin sitzt gemütlich in ihrem goldenen Käfig anstatt auszubrechen, und Sophie fühlt sich von der unangenehmen Art des Ochs abgestoßen, traut sich aber nicht selbst zu rebellieren.

Sind die Frauenfiguren im Rosenkavalier wirklich schwach? Ich habe es immer so gelesen, dass diese Marschallin sich zwar eingerichtet hat in ihrem Leben, aber trotzdem selbstbestimmt ist. Sie nimmt sich ja diesen jungen Liebhaber. Und ich würde behaupten, wenn sie am Ende des Terzetts Octavian bitten würde, mit ihr zu gehen, würde er dieser Frau wieder verfallen. Das ist eine mächtige, selbstbewusste Frau. Wenn diese Frau ausbrechen wollte, so schätze ich es ein, dann würde sie es tun. Ja, und auch bei Sophie merkt man durchaus, dass sie weiß, wie sie sich präsentiert. Am Ende des Tages bekommen ja beide Frauen, was sie wollen. Die Marschallin wird ihr Leben weiterleben und sich vielleicht einen neuen jungen Liebhaber nehmen. Und Sophie kriegt ihren Octavian. So viel falsch gemacht haben die Frauen sicher nicht. Darin besteht für uns, finde ich, die Herausforderung, diese Frauen als selbstbewusst und im Leben stehend zu zeichnen.


Der Wiener Regisseur Michael Schachermaier inszeniert nach Tschaikowskys Iolanta zum zweiten Mal am Anhaltischen Theater.


Der Rosenkavalier

Komödie für Musik in drei Aufzügen Musik von Richard Strauss
Text von Hugo von Hofmannsthal
In deutscher Sprache mit zusätzlichen Übertiteln

Großes Haus
Premiere am 7. Mai 2022, 18 Uhr

Weitere Termine
14. Mai, 18 Uhr
29. Mai, 17 Uhr

Wien zur Zeit Maria Theresias. Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg und ihr Geliebter, der junge Graf Octavian, werden nach einer Liebesnacht durch einen grobschlächtigen Verwandten der Fürstin, den Baron Ochs auf Lerchenau, gestört. Bevor er ungebeten ins Gemach tritt, kann sich Octavian noch als Kammerzofe verkleiden. Ochs bittet die Feldmarschallin, ihm für seine anstehende Hochzeit mit einer wohlhabenden Bürgerlichen einen Adligen zu empfehlen, der der Braut nach alter Sitte eine silberne Rose überreichen kann. Während Ochs mit der vermeintlichen Kammerzofe zu flirten versucht, schlägt die Feldmarschallin Octavian als Rosenkavalier vor. Als Octavian der Braut Sophie anderntags die Rose überreicht, können die beiden ihre Blicke nicht voneinander lassen. Ochs aber beharrt auf der Erfüllung des Ehevertrages, er möchte auf die Morgengabe nicht verzichten. In Gestalt der Zofe lockt Octavian ihn deshalb in eine Schenke, um ihn in eine kompromittierende Lage zu bringen. Die Feldmarschallin erkennt, dass sie den jungen Mann verloren hat.

Musikalische Leitung Markus L. Frank Inszenierung Michael Schachermaier Bühne Karl Fehringer, Judith Leikauf Kostüme Jessica Rockstroh Chorleitung Sebastian Kennerknecht Dramaturgie Felix Losert

Mit KS Iordanka Derilova, Rita Kapfhammer, Cornelia Marschall, Kay Stiefermann, Michael Tews, Ania Vegry, Sylvia Rena Ziegler u.a