• 150 Jahre Richard Wagner-Verband Wien
  • Richard Wagner-Verband Wien
  • herausgegeben von Liane Bermann, Universitätsverlag Leipzig
  • S. 33-54

»Weibes Wonne und Wert«

Frauengestalten in Richard Wagners Leben

Text: Albert Gier

In: 150 Jahre Richard Wagner-Verband Wien, herausgegeben von Liane Bermann, Universitätsverlag Leipzig, Richard Wagner-Verband Wien, S. 33-54 [Buch]

Liebe, Begehren, Erotik und Sexualität sind seit den Anfängen der Geschichte der Oper im 17. Jahrhundert zentrale Themen des Musiktheaters, natürlich auch bei Richard Wagner, allerdings mit einer Besonderheit: Vom Gelingen oder Scheitern einer Liebesbeziehung hängt gewöhnlich das irdische Glück oder Unglück der Protagonisten ab. Bei Wagner gewinnt die Liebe eine transzendentale Dimension: Der Mann wird durch die Frau, oder die Frau durch den Mann »erlöst«, allein die Liebe vermag dem Menschen das »Heil« zu bringen. Friedrich Nietzsche hat sich in Der Fall Wagner1 über die Allgegenwart dieser Denkfigur bei Wagner lustig gemacht: »Das Problem der Erlösung ist selbst ein ehrwürdiges Problem. Wagner hat über nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlösung. Irgendwer will bei ihm immer erlöst sein: bald ein Männlein, bald ein Fräulein – das ist sein Problem.«

Nietzsches Spott blendet nun allerdings das Wesentliche aus: Erlöst werden Wagners Figuren in der Regel nicht zum Leben, sondern zum Tod – die einzige Ausnahme sind die Meistersinger, und das will nicht viel besagen, da die Geschichte Stolzings und Evas nicht zu Ende erzählt, sondern wie im Film »beim Happy End abjeblend’t« wird2. Einzig Arindal in den Feen scheint es zu gelingen, seine Ada zum Leben zu erlösen, was natürlich daran liegt, daß es sich um ein Märchen handelt, und Märchen sind bekanntlich Wunscherfüllungsdichtung.

Liebe bedeutet bei Wagner »höchste Lust und tiefstes Leid«, wie die Operette das später trivialisierend ausdrücken wird3 – der Komponist, der Mensch Richard Wagner, erhofft sich von den Frauen, die er liebt, natürlich Erlösung zum Leben! Um Erlösung aber geht es immer – das erklärt, warum Wagner sich derart in sein Gefühl hineinsteigert, auch und gerade dann, wenn es keine Aussicht auf Erfüllung gibt wie etwa bei Mathilde Wesendonck.

Seine Sicht der Ehe ist unzweifelhaft negativ oder zumindest ambivalent – ein glücklich verheiratetes Paar sucht man in seinem Werk vergebens. Als Ausnahme, die die Regel bestätigt, kämen allenfalls wieder Ada und Arindal in der Märchenoper Die Feen in Frage. Friedrich im Liebesverbot hat Mariana verlassen; wie sich in derselben Oper die Verbindung zwischen Isabella und Luzio, die ihrem Wesen nach doch sehr verschieden sind, entwickeln wird, kann man wie bei Eva und Stolzing nicht wissen. Die Ehe zwischen Isolde und Marke ist ein Irrtum.

Im Ring ist Sieglinde in ihrer Zwangsehe mit Hunding kreuzunglücklich. Was Wotan zur Verteidigung ihrer Verbindung mit Siegmund sagt: Unheilig / acht’ ich den Eid, / der Unliebende eint; und mir wahrlich / mute nicht zu, / daß mit Zwang ich halte, / was dir nicht haftet; / denn wo kühn Kräfte sich regen, / da rat’ ich offen zum Krieg (II 1), könnte Fricka allerdings durchaus auch auf ihre eigene Ehe beziehen. – Über die unter falschen Voraussetzungen geschlossenen Ehen von Brünnhilde und Gunther, Gutrune und Siegfried brauchen wir nicht zu reden.

Im einen oder anderen Fall könnte es verlockend scheinen, Parallelen zur Biographie des Komponisten zu ziehen, aber das wäre eine Trivialisierung, die mit Sicherheit zu kurz greift: Wagner hat nicht sich selbst in Szene gesetzt, er hat seine Stoffe vor dem Hintergrund reicher und differenzierter Deutungstraditionen im Licht neuer philosophischer (Schopenhauer!), soziologischer oder kulturkritischer Ansätze immer wieder durchdacht und originelle, oft überraschende Lesarten entwickelt. Dabei scheute er allerdings nicht davor zurück, selbst seine Werke und sein Leben parallel zu setzen: Am 1. März 1872 notiert Cosima in ihrem Tagebuch: »R[ichard] ruft mir zu: ›Was ist der Unterschied zwischen Wotan und Siegfried? Wotan heiratete Minna und Siegfried Cosima‹.«4

Bevor wir auf Wagners Ehe mit Minna Planer zu sprechen kommen, noch eine Bemerkung zu seiner Kindheit und Jugend: In Mein Leben5 spricht Wagner mit viel Wärme von seinem früh (1821) verstorbenen Stiefvater Ludwig Geyer. Seiner Mutter (Johanna Rosina, † 1848), die immerhin noch seine Anfänge als Komponist miterlebte, widmet er dagegen nur wenige, seltsam distanzierte Sätze: Er charakterisiert sie als »ein eigentümliches Gemisch von bürgerlich-häuslicher Rührigkeit und großer geistiger Empfänglichkeit bei durchaus mangelnder gründlicher Erziehung« (ML, S. 17) und betont: »Der sorgenvoll aufregende Umgang mit einer zahlreichen Familie […] die Schwierigkeiten, das Nötige zu beschaffen und bei sehr beschränkten Mitteln eine gewisse Neigung für äußern Anschein zu befriedigen, ließen nicht jenen behaglichen Ton mütterlicher Familienzärtlichkeit bei ihr aufkommen, ich entsinne mich kaum je von ihr geliebkost worden zu sein […]« (ML, S. 17f.). D.h. Richard nahm die Mutter, die ihn zweifellos liebte, als distanziert wahr; emotionale Nähe hat sich offenbar nie eingestellt.

Minna Planer lernte der vier Jahre jüngere Wagner 1834, nach seiner Ernennung zum Musikdirektor der Magdeburger Theatergesellschaft, kennen; er verliebte sich wohl vor allem deshalb in sie, weil sie nach äußerer Erscheinung und Wesen von den anderen Mitgliedern der Truppe abstach, die auf ihn einen sehr unvorteilhaften Eindruck gemacht hatten (ML, S. 95-97). In Mein Leben heißt es: »Ich glaube nicht, daß sie je eine irgend an Leidenschaftlichkeit grenzende Neigung, den eigentlichen Affekt der Liebe für mich empfand oder überhaupt wohl zu empfinden fähig war«; ihr Gefühl sei »das des herzlichsten Wohlwollens, des innigsten Wunsches für mein Gedeihen und Wohlergehen« gewesen (ML, S. 103). Sie heiraten im November 1836 in Königsberg, wo Minna unterdessen engagiert war.

Das Zusammenleben des Paares war von Anfang an schwierig. Den tieferen Grund dafür fand Wagner in »den bedeutenden Divergenzen unserer verschiedenen Naturen« (ML, 137): Er fühlte sich von seiner Frau nicht verstanden, was er wiederholt in Briefen an Liszt zum Ausdruck brachte, so am 16. November 18506: »Bei allen vortrefflichen Eigenschaften, die [meine Frau] besitzt, versteht sie mich doch in meinem eigensten Wesen leider gar nicht: in dem, was ich bin und leiste, vermag die Ärmste keine Erhebung über das zu finden, was um jenes Höheren willen zu erdulden ist […] Ich bin ihr innerlich fremd.«

In Mein Leben heißt es: »Das Gefühl für Kunst, da es ihr […] an aller Idealität fehlte, ging ihr vollständig ab; Talent für das Theater besaß sie ebenfalls nicht; ihr Gefallen rührte von ihrer lieblichen Erscheinung her […] Sehr bald hatte ich mich daran gewöhnt, mein ideales Bedürfnis nie vor Minna in das Spiel zu bringen […]« (ML, S. 138f.).

Minna hat Richards Musik geliebt. Auf einer Deutschlandreise im Herbst 1854 konnte sie in Weimar und Frankfurt Opern ihres Mannes auf der Bühne sehen und hören, sie war »ganz hingerissen von Wonne und Entzücken. Heulte unaufhörlich«7 – gegeben wurden Lohengrin und Tannhäuser, also Opern, deren musikalischen Stil Wagner zu dieser Zeit bereits hinter sich gelassen hatte. Seine Ansicht, daß seine »Auffassung der Kunst und ihrer Verhältnisse« ihr »immer unbegreiflicher« wurde (ML, S. 140), mag nicht ganz falsch sein.

Wagner hat Minna unendlich viel zugemutet: Die Flucht vor den Gläubigern aus Riga bei Nacht und Nebel, die entbehrungsreichen Jahre in Paris 1839–1842 – daß Minna in dieser Zeit französisch lernte, ist eher unwahrscheinlich; ihr Umgang wäre somit auf den kleinen Zirkel deutschsprachiger Freunde beschränkt gewesen, in dem sich auch Richard hauptsächlich bewegte. Als es in Dresden mit den Uraufführungen von Rienzi und des Fliegenden Holländers endlich aufwärts ging und mit der Ernennung Wagners zum sächsischen Hofkapellmeister eine gesicherte Stellung erreicht war, dauerte es wenig mehr als fünf Jahre, bevor er durch sein Engagement in der Mai-Revolution von 1849 alles verspielte und ins Exil gehen mußte. 1857, als sich die prekäre wirtschaftliche Lage durch die finanzielle Unterstützung Otto Wesendoncks verbessert hatte, zerstörte Richard durch die Beziehung zu Mathilde Wesendonck wieder alles. Daß Minna da gewisse Züge der nörgelnden, verbitterten Fricka, die ihren Wotan ebenfalls nicht versteht (seinen »großen Gedanken«8 versucht er ihr ebensowenig zu erklären, wie Richard »sein ideales Bedürfnis vor Minna in das Spiel« bringt), kann man ihr wirklich nicht verübeln.

Zugleich erscheint Minna als eine Art Elsa von Brabant, die nicht in der Lage war, ihrem Lohengrin das von ihm geforderte grenzenlose Vertrauen entgegenzubringen. Sie stellte keine verbotene Frage, sondern sie widersprach und kritisierte offenbar, und, so muß man Wagners Ausführungen (deren gönnerhafter Ton unangenehm berührt) wohl verstehen, recht heftig: Er spricht von »eine[r] wachsenden Verwirrung, welche, da sie im übrigen so manches Freie in meinen Ansichten nicht begreifen und gutheißen konnte, sie mit einer ihrem gelassenen Wesen ursprünglich fremden Leidenschaftlichkeit erfüllte. Daß wiederum diese Leidenschaftlichkeit, mit den Jahren zunehmend, sich in der Weise äußerte, wie es die Erziehung und der Ton in Familien der unteren bürgerlichen Schichten mit sich bringt, war nicht zu verwundern, weil statt eigentlicher Bildung die Arme nur die dürftige Tünche des bürgerlichen Anstands sich zugeeignet hatte.« (ML, S. 140).

Wagner verließ im August 1858 Zürich und nahm zunächst in Venedig, dann in Luzern Wohnung, wo die Partitur des Tristan ein Jahr später vollendet wurde. Mit Minna stand er in regem Briefverkehr, der bis zu ihrem Tod im Januar 1866 fortgesetzt wurde. In den ersten Jahren machte er regelmäßig Vorschläge, das Ehepaar solle (an unterschiedlichen Orten) wieder zusammenleben; dabei spielten zweifellos praktische Erwägungen eine wichtige Rolle, denn ohne eine Partnerin konnte er keinen eigenen Hausstand haben – dazu hätte er Dienstboten gebraucht, die er in seiner bedrängten finanziellen Lage nicht hätte bezahlen können. 1860/61, als der Komponist in Paris die Première des Tannhäuser vorbereitete, folgte ihm Minna; sie blieb einige Zeit und erlebte den spektakuären Skandal der Erstaufführung der ›Pariser‹ Fassung der Oper mit.

Bis zu einem gewissen Grade sind alle schöpferischen Künstler Egozentriker und müssen es auch sein. In der Regel ist ihre Egozentrik um so ausgeprägter, je origineller ihre Werke sind. Wagner ist extrem originell und grenzenlos egozentrisch. Der egozentrische Künstler braucht ein Publikum, genauer gesagt: Er braucht Jünger. Es gehört zum Wesen des Egozentrikers, daß er beratungsresistent ist; was er verkündet, ist nicht die Wahrheit, sondern seine Wahrheit, und die hat er naturgemäß gepachtet. Nur seine Stimme zählt, aber er benötigt einen Chor, der sie unterstützt. Dabei ist die Qualität der Stimmen wichtiger als die Quantität: Zehn Stimmen sind besser als drei, aber 1000 sind nicht notwendigerweise besser als 200. Für Wagner hat die Zustimmung von Franz Liszt, den er verehrt, ganz besondere Bedeutung; aber er genießt es auch, wenn attraktive junge Frauen an seinen Lippen hängen und sich durch die Tristan-Musik erregen lassen.

Für den Erotomanen Wagner ist seine Musik auch ein Lockmittel, um Frauen zu verführen; das Ziel ist erreicht, wenn die Umworbene seinem Drängen nachgibt. Reagiert sie auf den erotischen Appell der Musik, versagt sich ihm aber aus irgendeinem Grund (wie Mathilde Wesendonck), ist das natürlich kein vollständiger Sieg; man wird aber vermuten dürfen, daß er die Faszination, die er auf Frauen ausübt, die Macht, die er über sie gewinnt, genossen hat.

Wagner hielt, wir haben es schon gesehen, Minna Planer nicht für eine leidenschaftliche Natur; ihr Gefühl »des herzlichsten Wohlwollens«, von dem er spricht, ist eher kameradschaftlicher oder freundschaftlicher Natur – abgesehen davon, daß er ihr nicht zutraute, seine musikalischen Gedanken vollständig zu erfassen. Damit ist sie aber weder für seine Musik noch auch für seine Kommentare dazu die ideale, d.h. ihn inspirierende Zuhörerin; obwohl er ihr lange Zeit alles, was er komponierte, vorspielte.9 Wenn eine solche ideale Zuhörerin in sein Blickfeld gerät, wendet er sich folglich von Minna ab.

Die verwandte Seele schien er 1850 in Jessie Laussot aus Bordeaux gefunden zu haben. Sie war 20 Jahre alt10 (Wagner war 37) und unglücklich in ihrer Ehe mit dem Weinhändler Eugène Laussot (vor ihrer Heirat war er der Liebhaber ihrer Mutter Ann Taylor gewesen11, was Jessie unmöglich verborgen geblieben sein kann). Jessie hatte eine gute musikalische Ausbildung erhalten und war vor allem eine ausgezeichnete Pianistin12. Vier Jahre früher hatte sie in Dresden Tannhäuser gesehen und war seitdem Wagnerianerin.

Die junge Frau hatte zweifellos aus der Presse erfahren, daß Wagner in finanziell beengten Verhältnissen lebte und sich gerade in Paris aufhielt. Es gelang ihr, ihrer vermögenden Mutter das Versprechen abzuringen, ihm künftig eine Jahresrente von 2.500 Francs zu zahlen. Julie Ritter, eine Leipziger Freundin, war bereit, 500 Francs dazuzugeben. Wagner hätte also über 3000 Francs jährlich verfügt; ein durchaus respektables Einkommen (mittlere Staatsbeamte wie z.B. Bibliothekare hatten in Frankreich zu dieser Zeit ein Jahreseinkommen von 2000 Francs oder wenig mehr). Jessie teilte Wagner die gute Nachricht brieflich mit und lud ihn nach Bordeaux ein, er beeilte sich anzunehmen.

Jessie Laussot war attraktiv, gebildet, hochmusikalisch, sie schwärmte Wagner an – und, das darf man nicht vergessen, die frustrierte Ehefrau war genau halb so alt wie Minna … Daß die beiden sich ineinander verliebten, war unter diesen Umständen voraussehbar. Wagner entwarf einen abenteuerlichen Plan: Er wollte mit Jessie über Griechenland in den Orient fliehen. Ob er daran dachte, sich dort auf Dauer niederzulassen (was zweifellos Aufführungen neuer Kompositionen im westlichen Europa nahezu unmöglich gemacht, und damit das Ende seiner Karriere bedeutet hätte), oder ob sie nur abwarten wollten, bis sich die Aufregung über den Skandal in Frankreich und Deutschland gelegt hätte, ist nicht klar, vermutlich wußte Wagner das selbst noch nicht.

An Minna schrieb er einen Brief, in dem er ihre Ehe für gescheitert erklärte und ihr seinen Reiseplan ankündigte, ohne Jessie zu erwähnen. Er setzt ihr darin auseinander, warum sie beide nicht zueinander passen. Im Umkehrschluß wird man annehmen dürfen, daß er alles das, was er bei Mina vermißte, bei der jüngeren Frau fand oder zu finden hoffte: »Ich bin Dir durchaus fremd. – Du siehst nur Ecken und Auswüchse an mir, Du siehst nur das, was Dir unerklärlich an mir ist, und findest nirgends Ersatz dafür, was Dir Leides durch mich geschieht. Du hängst an Ruhe und Dauerhaftigkeit der Verhältnisse – ich muß sie brechen um meinem inneren Wesen zu genügen. Du vermagst Alles zu opfern um eine ›geachtete Stellung in der bürgerlichen Welt zu haben‹, die ich verachte und mit der ich nichts zu thun haben will […] Du denkst nur mit Wehmuth und Sehnsucht an die Vergangenheit zurück, – ich gebe sie auf und denke nur an die Zukunft. All Deine Wünsche gehen auf Versöhnung mit dem Alten, auf Nachgeben und Sich schmiegen, auf wiederanknüpfen, – ich habe mit allem Alten gebrochen, und bekämpfe es mit allen meinen Kräften. Du hängst an der Person, ich an der Sache; Du an einzelnen Menschen, ich an der Menschheit. So ist zwischen uns nur Widerspruch, unversöhnbarer Widerspruch: so können wir uns nur gegenseitig aufreiben, ohne uns je zu beglücken […]«13 »Man muß gefährlich leben!«, sollte Friedrich Nietzsche später sagen …

Nachdem Jessies Entscheidung gegen ihn gefallen war, schrieb Wagner an Julie Ritter: »Der unsägliche Liebreiz an Jessie war, daß sie so schnell, so klar und sicher mich in allem verstand, – daß ich nicht ein Wölkchen von verführten, engherzigem Vorurtheile in ihr zu entdecken vermochte.«14 Da hatte er sich nun allerdings getäuscht – Jessie, die noch keine Revolution gemacht hatte, weder in Dresden noch in Bordeaux oder anderswo, und der angesichts von so viel Zukunft vermutlich angst und bange wurde, vertraute sich ihrer Mutter an, die (gemeinsam mit ihrem Schwiegersohn) die Flucht der Verliebten vereitelte. – Eine Figur wie Jessie Laussot kommt in Wagners musikalischem Universum nicht vor: Mit den Kleinmütigen, die im entscheidenden Augenblick Angst vor der eigenen Courage bekommen, konnte er nichts anfangen. Enttäuscht kehrte er nach Zürich zurück, Minna und er versuchten zu reparieren, was wohl schon nicht mehr zu kitten war.

Richard Wagner brauchte eine Frau, die willens und in der Lage war, seinen gedanklichen Höhenflügen zu folgen, die ihn bewunderte und die er begehrte – vermutlich in dieser Reihenfolge. Jessie Laussot hätte vielleicht die Voraussetzungen erfüllt, wäre sie bereit gewesen, sich auf Wagners Fluchtplan einzulassen. Einige Jahre später fand er seine Muse und Seelenfreundin in Mathilde Wesendonck. Auch sie war bedeutend jünger als Wagner: 1852, als sie sich kennenlernten, war sie 24, der Komponist 39. Sie verfügte über eine solide musikalische Bildung, veröffentlichte auch Gedichte, Erzählendes und Bühnenwerke. Seit 1848 war sie mit dem vermögenden Kaufmann Otto Wesendonck verheiratet, dem sie 1852 schon zwei Kinder geboren hatte (der erste Sohn war nach wenigen Monaten gestorben)15. Seit 1851 lebten sie in Zürich (zunächst im Hotel Baur au Lac).

In den ersten Monaten des Jahres 1852 besuchten sie drei von Wagner dirigierte Konzerte; beim dritten, am 16. März, stand auch die Tannhäuser-Ouverture auf dem Programm.16 Mathilde Wesendonck war bei den Proben zu diesem Konzert dabei, hatte also inzwischen die Bekanntschaft des Komponisten gemacht. Vermutlich hat sie auch alle vier Aufführungen des Fliegenden Holländers zwischen dem 25. April und 2. Mai besucht.17

Wagner hat sich offenbar schnell in Mathilde verliebt, und sie erwiderte seine Neigung. Beide dürften sich aber bald darüber einig gewesen sein, daß ihre Beziehung platonisch bleiben mußte: Ehebruch hätte für Mathilde möglicherweise Scheidung, und damit die Trennung von ihren Kindern bedeutet. (Man kann sich im übrigen fragen, ob Wagner sich nicht mehr in seine eigene Neigung zu einer Frau verliebte als in die Frau selbst.) Zweifellos auf Mathildes Drängen hin unterstützte ihr Mann Wagner finanziell und bot dem Komponisten 1857 das »Asyl«, ein kleines Haus neben der Wesendonck-Villa, als Wohnung an, die Miete war sehr moderat. (Das Haus hatte vor kurzem den Besitzer gewechselt; der neue Eigentümer war, so Wagner, »ein Irrenarzt«, der dort »eine Irrenanstalt« einrichten wollte [ML, S. 558]; auf so eine Nachbarschaft legten die Wesendoncks keinen Wert, Otto kaufte ihm das Haus für viel Geld wieder ab.)

Richards und Mathildes Beziehung war im Lauf der Zeit immer intensiver geworden, jetzt waren sie auch noch Nachbarn. Am 18. September 1857 brachte er ihr das gerade vollendete Textbuch von Tristan und Isolde. Zwischen November 1857 und Februar 1858 komponierte er fünf ihrer Gedichte, die »Wesendonck-Lieder«; das Lied Träume hat Wagner selbst instrumentiert und am 23. Dezember 1857 mit einem kleinen Streichorchester Mathilde als Geburtstagsständchen dargebracht; Otto war gerade auf Reisen.

Im Bewußtsein, nichts Unrechtes zu tun, gingen die Verliebten vielleicht vertrauter und inniger miteinander um als ratsam war; jedenfalls war Wagners »guter Freund« Otto Wesendonck eifersüchtig, was in Mein Leben so erklärt wird: »Die Ängstlichkeit darüber, daß, wie er vermeinte, in seinem Hause sich bald alles mehr nach mir als nach ihm richten würde, gab ihm […] eine eigentümliche Wucht, mit welcher ein nur wenig Gebildeter bei den von ihm empfundenen Befürchtungen sich auf jedes Gespräch wirft, welches in seiner Gegenwart geführt wird, ungefähr wie ein Löschhut auf das Licht.« (ML, S. 569)

Auch Minna war über die häufigen Besuche »der Wesendonck« im Arbeitszimmer ihres Mannes keineswegs glücklich. Am 3. April fing sie ein Billett ab, das der Diener mit der Instrumentationsskizze zum Tristan-Vorspiel in die Villa bringen sollte; dort heißt es u.a.: »Am Morgen ward ich nun wieder vernünftig, und konnte recht herzinnig zu meinem Engel beten; und dieß Gebet ist: Liebe! Liebe! Tiefste Seelenfreude an dieser Liebe, der Quelle meiner Erlösung [da haben wir wieder das Schlüsselwort – A.G.]«!18

Wenn ihr Mann in einem derart exaltierten Ton an eine andere schreibt, kann das einer Ehefrau naturgemäß nicht gefallen. Minna stellte Mathilde zur Rede, die Folge war ein Zerwürfnis, das zur Aufgabe des »Asyls« führte. Wagners Kontakt zum Ehepaar Wesendonck riß allerdings keineswegs ab: Man traf sich im November 1861 in Venedig, Wagner war wiederholt in der Villa in Zürich zu Gast, und Otto half ihm auch noch mehrfach aus Geldverlegenheiten. – In Mein Leben ist von der leidenschaftlichen Liebe des Paares naturgemäß nicht die Rede, Minnas Eifersucht scheint unbegründet. Eine verräterische Stelle ist allerdings doch enthalten: Frau von Bissing, die Schwester von Wagners Freundin Eliza Wille, hatte sich bereit erklärt, dem Komponisten in seiner bedrängten finanziellen Lage zu helfen, dann aber nichts unternommen. Als ihre Schwester sie an das Versprechen erinnerte, war die Antwort: »Und wenn ich Wagner rette, so liebt er doch am Ende nur die Wesendonck!« (ML, S. 750).

Mathilde, das ist offensichtlich, ist Isolde – Richard ist Tristan, Otto ist Marke. Das Tristan-Buch ist das Gedicht der schwärmerischen Liebe des Paares. Mathilde ist auch die Seelenfreundin, der gegenüber er alle seine Gedanken, seine Arbeit und künftige Vorhaben betreffend, ausspricht. Am deutlichsten wird das in den Briefen, die er nach seiner Flucht aus Zürich, zwischen August 1858 und Ende August 1859, an sie richtet19: In seiner (selbstgewählten) Einsamkeit ist sie sein einziger Ansprechpartner. Zunächst geht es noch darum, die »Entsagung«, den endgültigen Verzicht auf die Erfüllung ihrer Liebe, zu verarbeiten; je nach seiner Stimmung klingt das entweder schroff pessimistisch (»… ich wußte nur, daß Du mich liebtest, und daß alles Erhabene in der Welt unglücklich sein muß«, S. 74; »Mir ist nichts verblieben als die Einsamkeit und mein zukunftsloses Dasein!«, S. 80) stehen versöhnliche: »… durch das ewige, unentweihbare und unzerstörbare Asyl, das ich in Deinem Herzen gewonnen, [fühle ich mich] so gegen alle Welt geborgen und behütet, daß ich von ihm aus, das mich ja in alle Welt begleitet, mit ruhig freundlichem, mitleidvollem Lächeln in diese Welt blicken kann …« (S. 94). Später geht es dann vor allem um die Arbeit am Tristan (mit dem hübschen Detail, daß ihm in Luzern ein Übergang nicht gelingen will, weil ihm der Zwieback nicht schmeckt, während der »süße, altgewohnte Zwieback, in Milch getaucht«, den Mathilde schickt, ihm sofort über die Schwierigkeit hinweghilft, S. 146f.), aber auch um Wagners Weiterdenken der Philosophie Schopenhauers (S. 105f.), Lektüreerfahrungen (Goethes Torquato Tasso, S. 138-140) und anderes. Ein langer Brief aus Luzern (30. Mai 1859, S. 155-160) teilt auf vier engbedruckten Seiten erste Überlegungen zum Parsifal mit, nebst scharfer Kritik an Wolfram von Eschenbach und einem Abriß der Stoffgeschichte. Am Ende findet sich ein bei Wagner ungewohnter Anflug von Selbstironie: »Nun, da hätte ich mich einmal schön vergralt! Nehmen Sie’s für eine Vorlesung, zu der sie nicht nötig hatten ins Züricher (sic) Rathaus zu gehen!« (S. 160).

Wie hat Mathilde darauf reagiert – hat sie sich darauf beschränkt, Zustimmung oder Bewunderung auszudrücken (was Wagner sicher genügt hätte), oder war sie möglicherweise in der Lage, mit- und weiterzudenken, Fragen zu stellen u.ä.? Wir werden es nie erfahren: Nach dem Tod des Komponisten hat Cosima alle Briefe Mathildes vernichtet. Wie dem auch sei: 1863 schrieb Wagner über Mathilde an Eliza Wille: »Drum sag’ ich’s Ihnen: sie ist und bleibt meine erste und einzige Liebe!«20

Die Bedeutung Cosimas für Leben und Werk Richard Wagners kann schwerlich überschätzt werden. Die Fakten sind bekannt: Cosima wurde 1837 als zweite Tochter von Franz Liszt und Marie d’Agoult geboren; ihre Mutter hatte 1835 Liszts wegen Mann und Tochter verlassen. 1844 trennte sie sich von ihm; die Töchter Blandine und Cosima wuchsen in Paris, in der Obhut von Liszts Mutter, auf. Wagner lernte Cosima 1853 kennen, als Liszt ihm während eines Paris-Aufenthalts seine Töchter und den Sohn Daniel vorstellte; er erinnert sich später, daß er »von seinen Töchtern nur die anhaltende Schüchternheit zu bemerken hatte« (ML, S. 516).

1857 heiratete Cosima den Meisterschüler ihres Vaters, den Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow, der einer der eifrigsten Propagandisten der Werke Wagners war. Auf der Hochzeitsreise war das junge Paar vier Wochen, von Anfang bis Ende September, bei Richard und Minna Wagner im »Asyl« zu Gast. 1864 berief König Ludwig II. Bülow auf Wagners Vorschlag nach München, wo er die Uraufführungen von Tristan und Isolde (1865) und den Meistersingern (1868) dirigierte.

Cosimas Ehe mit Bülow, dem sie zwei Töchter gebar, war nicht glücklich. Dagegen empfanden Wagner und Cosima immer mehr Zuneigung füreinander: Sie wurde seine Geliebte und gebar auch ihm zwei Töchter, 1865 Isolde, 1867 Eva. Vor allem vor dem König hielten sie ihre Beziehung geheim: In Briefen an Ludwig II. spricht Cosima (die als »Sekretärin« des Komponisten galt) von Wagner als »dem Freund«, Wagner nennt sie »die Freundin«.

Da Ludwig II. Anfang Dezember 1865 auf öffentlichen Druck die Ausweisung Wagners aus Bayern verfügen mußte, reiste der Komponist am 10. Dezember wieder in die Schweiz. Cosima, Heinrich Porges und Peter Cornelius begleiteten ihn zum Zug. Cornelius (den mit Wagner eine, wenn auch schwierige, Freundschaft verband) berichtet21: »Wir gingen hinaus an den Waggon … Cosima war ganz gebrochen. – Als der Wagen hinter den Pfeilern verschwand, war es wie das Zerrinnen einer Vision. Wir brachten Cosima in die Wagnersche Wohnung … Sie ist seither in allen Zuständen. Gott segne die zwei, wenn sie sich wirklich innig lieb haben, und wenn der arme Wagner endlich noch am Abend seines Lebens – die Rechte findet. Es scheint, daß Wagner wirklich die Cosima liebt – er sagt, die Hoffnung sie bald zu sehen, wäre sein einziger Trost! Wenn er denn wirklich einmal liebt, und Cosima liebt ihn allem Anschein nach glühend, so wünsch’ ich von ganzem Herzen, es möge beiden ein stilles Glück erblühen.«

Da der König ihn weiterhin finanziell unterstützt, kann Wagner das Haus in Tribschen mieten. Im November 1868 verläßt Cosima Bülow endgültig und übersiedelt mit den Kindern zu Wagner. Als (noch) verheiratete Frau, die offen mit ihrem Liebhaber zusammenlebt, macht sie sich gesellschaftlich unmöglich; auch das Verhältnis Cosimas (und Wagners) zu Liszt wird durch die Ereignisse schwer belastet. – Im Juni 1869 wird der gemeinsame Sohn Siegfried geboren. Nachdem Cosima im Juli 1870 von Bülow geschieden worden war, heirateten Wagner und sie am 25. August in Luzern.

Bis zum Tod Wagners am 13. Februar 1883 in Venedig bleiben dem Ehepaar knapp zwölfeinhalb gemeinsame Jahre. Cosima stellt sich in dieser Zeit ganz in den Dienst ihres Mannes, der nicht nur mehr als 24 Jahre älter, sondern – das sollte nicht unerwähnt bleiben – auch 15 cm kleiner ist als sie. (Wir erinnern uns wohl alle an die Karikatur aus der Münchner Zeit: Der kleine, rundliche Wagner neben Cosima, die ihn hier um mehr als einen Kopf überragt, hinter ihnen herhastend Bülow, beladen mit Notenheften.) Cosima organisiert den Haushalt in Tribschen, später in Wahnfried. Sie fungiert tatsächlich als Sekretärin, der der Komponist seine Autobiographie diktiert und die ihm einen bedeutenden Teil seiner großen Korrespondenz abnimmt; vor allem wird sie seit dem 1. Januar 1869 zur Chronistin seines Lebens, deren Tagebücher minutiös berichten über die Fortschritte der Arbeit an Parsifal, Organisation und Durchführung der ersten Festspiele 1876 und die Bayreuther Uraufführung des Parsifal 1882, gesprächsweise geäußerte Ansichten Wagners über aktuelle Ereignisse, Musik, Literatur etc., über Reisen, Gäste, die sie in Tribschen, und vor allem dann in Bayreuth empfingen, Briefe, die Wagner erhielt, seinen Gesundheitszustand, etc. etc.

Cosimas Bewunderung für Wagners Musik ist grenzenlos. Sie ist die einzige Frau, von der er sich in allem vollständig verstanden fühlen konnte. Ihre Begeisterung hat ihn mit Sicherheit getragen und angespornt. Dabei war sie keine bequeme, und wohl auch keine besonders liebenswürdige Person. Wagner war ihr Gott, daß sie Ansichten, die von den seinen abwichen, nicht gelten ließ, ist insofern begreiflich; aber wenn es kein »Meisterwort« gab, daß eine Frage ein für allemal entschied, scheint sie nicht selten engstirnig und rechthaberisch gewesen zu sein. Etliche der Mitwirkenden bei den Festspielen von 1876 haben später ihre Erinnerungen veröffentlicht; da findet man viele Klagen über Cosima, mit der es immer wieder Auseinandersetzungen gab. Beispielhaft sei der Kostümbildner Carl Emil Doepler angeführt: Die ersten Entwürfe hatten dem Ehepaar Wagner noch gefallen, aber am 28. Juli 1876 schrieb Cosima ins Tagebuch: »Die Kostüme erinnern durchweg an Indianer-Häuptlinge und haben neben dem ethnographischen Unsinn noch den Stempel der Kleinen-Theater-Geschmacklosigkeit.«22

Doepler wiederum bemerkt: »Mit Richard Wagner hatte ich, was sein großes Werk anbetraf, nie nennenswerte Differenzen, wohl aber mit der Gattin des Meisters, die nur zu sehr geneigt war, alle erdenklichen Eindrücke, die sie aus dem damals reich fließenden Broschürenmaterial schöpfte, eifrig und ohne lang zu prüfen auf das Werk ihres Gatten verwerten zu wollen, was dann zu allerhand kuriosen Blüten ihres Forschertriebes führte und Zwischenfälle im Gefolge hatte, die allerdings nicht zu dem Annehmlichkeiten meines Bayreuther Aufenthaltes zählten.«23

Unter anderem gibt er ein Beispiel aus der Generalprobe zur Götterdämmerung: »Der Hochzeitszug mit den Frauen und Kindern, anläßlich Gutrunes Hochzeit, schritt soeben über die Bühne; da empfing mich die Gattin des Meisters folgendermaßen: ›Aber, lieber Herr Professor, sind nicht die Kostüme der Frauen und Kinder zu bunt und zu festlich?‹ ›Ja, gnädige Frau, das sollen sie doch sein, sie haben sich doch zu einer Hochzeit geschmückt!‹ ›Aber einem solchen Drama gegenüber, Professor, bedenken sie doch!‹ ›Das ist freilich ein Gegensatz‹, entgegnete ich, ›aber durch Gegensätze wirkt man ja doch am besten!‹ ›Ja, aber einem solchen Drama gegenüber darf das nicht geschehen!‹ – ›Gut, gnädige Frau, dann wollen wir die Frauen und Kinder gleich schwarz kleiden, damit sie sich dem Drama anfügen, als wenn sie den Ausgang vorher gewußt hätten!‹ Frau v. S…, die neben der Gattin Wagners saß, suchte durch folgenden Einwand mich zu beschwichtigen: ›Nicht doch, Herr Professor, Frau Cosima meint, nur ruhiger in den Farben und die Kinder ohne Zweige und Blumen!‹ Nun wurde es mir aber doch zu toll und ich sagte: ›Sehr wohl, meine Gnädigste, ich bitte mir auf einen großen Bogen Papier alle Ihre Wünsche und Befehle aufschreiben zu wollen, ich werde sie auf das Pünktlichste und Religiöseste erfüllen, denn ich bin Ihr ganz gehorsamer Diener und Knecht – aber – meinen guten Namen gebe ich dazu nicht her! Haben gnädige Frau mir noch etwas zu befehlen?‹ Als sie stumm verneinte, ging ich […] festen Schrittes […] auf die Bühne zurück, wo ich meinem Sohn mit lauter Stimme zurief: ›Emil, komm, wir reisen!‹ […] [Wagner], der nicht wußte, was vorgefallen, war sehr bestürzt und soll, wie ich später erfuhr, zu seiner Frau in Gegenwart ihrer Umgebung gesagt haben: ›Du wirst mir noch alle meine Freunde verscheuchen!‹«24 Züge Frickas, so scheint es, lassen sich nicht nur bei Minna, sondern auch bei Cosima finden …

Die Tochter eines kosmopolitischen Vaters und einer französischen Mutter, die in Frankreich erzogen wurde, machte sich auch Wagners blinden Haß auf Frankreich, die Franzosen und vor allem auf Paris zu eigen, der aus den narzißtischen Kränkungen erwuchs, die er während seines Paris-Aufenthalts 1839–1842 und anläßlich des Tannhäuser-Skandals 1861 erfahren hatte. Ihre politische Einstellung war deutschnationalistisch und antisemitisch; dafür, daß Bayreuth nach Wagners Tod ein Zentrum der sog. ›völkischen‹ Bewegung werden konnte, mit verhängnisvollen Konsequenzen, ist wesentlich Cosima verantwortlich.

Wagner, daran kann kein Zweifel bestehen, hat Cosima geliebt. Fest steht aber auch, daß er für weibliche Reize immer empfänglich war. Als eine sehr attraktive junge Französin in sein Leben trat, die ihn obendrein geradezu anbetete, mußte das Eindruck auf ihn machen.

Die 1845 geborene Judith Gautier, die Tochter des Dichters, Schriftstellers und Kritikers Théophile Gautier, galt in ihrer Jugend als eine der schönsten Frauen von Paris. Sie war selbst eine durchaus erfolgreiche Schriftstellerin: Ihr Vater hatte dafür gesorgt, daß sie als junges Mädchen von einem Chinesen in die Sprache des Reichs der Mitte eingeführt wurde, sie konnte Chinesisch nicht nur lesen, sondern auch sprechen (was damals selbst bei Sinologen eine seltene Ausnahme war). Die meisten ihrer Romane und Erzählungen spielen im Orient, in China, Japan, Indien oder Persien; keines dieser Länder hat sie je bereist, sie stützt sich auf mündliche Berichte und Publikationen befreundeter Orientalisten, auf Gespräche mit chinesischen, japanischen und persischen Diplomaten, die in ihrem Salon verkehrten. Die Buchausgabe ihres ersten Romans, Le Dragon impérial, der im China des 17. Jahrhunderts spielt, erschien 1869, im Jahr ihres ersten Besuchs in Tribschen.

Der Pariser Tannhäuser-Skandal 1861 hatte Judiths Interesse für Wagners Musik geweckt, sie buchstabierte sich trotz nach ihrer eigenen Aussage unzureichender pianistischer Kenntnisse durch den Klavierauszug des Fliegenden Holländers und war damit für Wagner gewonnen. 1866 heiratete sie den vier Jahre älteren Schriftsteller und Journalisten Catulle Mendès, der ebenfalls Wagnerianer war. Beide veröffentlichten in Pariser Zeitungen Artikel über Wagner und sein Werk.

Zur Pariser Erstaufführung von Rienzi im Théâtre-Lyrique (6. April 1869) verfaßte Judith, so Cosima in ihrem Tagebuch (8.4.1869, CWT 1, S. 82) »einen sehr guten Aufsatz« für die Zeitung La Presse, der in Tribschen zur Kenntnis genommen wurde. (Rienzi war in Paris bemerkenswert erfolgreich, es gab 38 gut besuchte Aufführungen – natürlich vor allem, weil sich Wagner hier am Modell des Grand Opéra orientiert.) Man hatte gehofft, der Komponist würde zu einer der Aufführungen anreisen; daß er darauf verzichtete, begründete er in einem zur Veröffentlichung bestimmten Brief an Judith, man stand also bereits in Verbindung.

Im Juli desselben Jahres reisten Judith, Catulle und ein Freund, der Schriftsteller Villiers de l’Isle-Adam, nach Deutschland, um sich in München die (von Bülow dirigierte) Wiederaufnahme von Tristan und Isolde und die Uraufführung von Rheingold anzuschauen. Im Juli statteten sie Wagner in Tribschen einen Besuch ab, sie blieben zehn Tage. Über Judith notiert Cosima im Tagebuch: »Sie ist sehr merkwürdig, so ungezogen, daß es mich förmlich verlegen macht, dabei gutmütig und schrecklich enthusiastisch.« (16.7.1869, CWT 1, S. 129). Zwei Tage später allerdings schrieb sie über die jungen Eheleute: »R. betrachtet sie und ihren Mann als eine wirkliche Bereicherung unseres Lebens, und sie sind gewiß ein außerordentliches, edles Paar« (CWT 1, S. 130).

Für die drei Franzosen, die Tribschen 1869 besuchen, ist Wagner der größte Künstler aller Zeiten, er überragt Homer, Aischylos, Dante, Goethe, Beethoven und selbst Shakespeare.25 Seinem Haus nähert man sich »wie der Schwelle eines Tempels«. Judith (die jüngste der Gruppe) treibt die quasireligiöse Verehrung Wagners am weitesten: Während einer von Wagner organisierten Kutschenfahrt durch die Berge achtet sie nicht auf die Landschaft, sondern schaut immer nur Wagner an, denn er ist ihre »Sonne«26, und sie hat »Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut«.27 Einmal nähert sie sich unbemerkt Wagners Haus, während er komponiert (er arbeitet gerade an der Szene zwischen Erda und Wotan zu Beginn des III. Akts von Siegfried); um ihn nicht zu stören, setzt sie sich still draußen hin: Sie hat dabei das Gefühl, »Gott im Schöpfungsakt überrascht« zu haben.28 Ob Wagner bemerkt hat, wie weit die Bewunderung der jungen Frau für ihn ging, ist schwer zu sagen, die beiden werden kaum Gelegenheit zu einem Gespräch unter vier Augen gehabt haben.

Im folgenden Jahr reisten die drei Franzosen wieder nach Tribschen, um der Trauung Richards und Cosimas beizuwohnen (so eng war die Freundschaft inzwischen!), sie trafen just am 19. Juli, dem Tag der Kriegserklärung Frankreichs an Preußen, ein. Die Zeremonie konnte allerdings erst im folgenden Monat, ohne die französischen Besucher, stattfinden. Nach der Niederlage Frankreichs veröffentlichte Wagner 1873 sein unglaublich geschmackloses »Lustspiel in antiker Manier« Eine Kapitulation, das ihn in Frankreich für fast 20 Jahre zur Unperson machte. Catulle Mendès brach daraufhin den persönlichen Kontakt ab, stellte aber klar: »Ich war sein Freund, ich bin es nicht mehr, aber ich bleibe sein leidenschaftlicher Apostel, ich beschränke mich darauf, ihm nicht mehr die Hände zu reichen, die ihm Beifall klatschen.«

Judith dagegen hielt ihre Verbindung zu Richard und Cosima aufrecht, für sie schien sich nichts geändert zu haben. – 1874 trennten sich Judith und Catulle, das Ehepaar Wagner ergriff Partei für Judith. Zu einer persönlichen Begegnung Wagners mit Judith kam es erst wieder 1876, anläßlich der Festspiele. Zu dieser Zeit war Wagner offenbar rasend in die junge Frau verliebt und suchte sie mit allen Mitteln für sich zu gewinnen. 1869 war sie jung verheiratet gewesen; auch wenn er zu diesem Zeitpunkt ein erotisches Interesse an ihr gehabt haben sollte, wollte er vermutlich nicht schon wieder einem Freund (als den er Catulle Mendès wohl betrachtete) die Frau wegnehmen, jetzt war sie frei (daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach die Geliebte des 74jährigen Victor Hugo war, konnte er natürlich nicht wissen).

Man darf davon ausgehen, daß Judith auf seine Avancen nicht eingegangen ist. Trotz ihrer Liaison mit Victor Hugo war sie ganz offensichtlich keine leidenschaftliche Frau: Schon als junges Mädchen wirkte sie (wie sich einer ihrer Freunde erinnert) wie »die Göttin der Gleichgültigkeit«29. Ihre Ehe mit Mendès scheiterte möglicherweise daran, daß sie frigide und er ein Erotomane war; schon bald nach der Heirat betrog er Judith mit der Komponistin Augusta Holmès, mit der er nach der Trennung des Ehepaars zusammenlebte und die ihm fünf Kinder gebar, während die Ehe kinderlos geblieben war. – Denkbar wäre auch, daß Judiths erotisches Interesse sich eher auf Frauen richtete: Im Alter lebte sie mehrere Jahre mit einer deutlich jüngeren Frau zusammen. Die verführerische Judith hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Venus im Tannhäuser, aber sie war wohl eine Venus aus Marmor, und Wagner war nicht ihr Pygmalion.

Nach den Festspielen schrieb Wagner ihr anderthalb Jahre lang Briefe, die immer leidenschaftlicher werden; in jedem Brief liest man Sätze wie: »Lieben Sie mich für immer!«, aber auch: »Geliebte Seele! Weinen Sie nicht mehr! Ich erinnere mich an Ihre Küsse nur als an das berauschendste und mich am meisten mit Stolz erfüllende Ereignis meines Lebens«30 – wobei man sich vielleicht fragen kann, ob Judith ihn wirklich geküßt, oder sich eher seine Küsse hat gefallen lassen ...

Ihre Briefe konnte er sich natürlich nicht nach Wahnfried schicken lassen: Der Laden eines Bayreuther Barbiers diente als toter Briefkasten. Als Wagner schließlich einsehen mußte, daß sein Wähnen diesmal keinen Frieden finden würde, brach er die Korrespondenz ab: Fortan ließ er Cosima an Judith schreiben, wenn es nötig war (sie bearbeitete für ihn Cosimas französische Rohübersetzung des Parsifal-Buchs, und wurde oft beauftragt, Stoffe, Duftwässer und andere Luxus-Artikel in Paris zu besorgen, was sie auch treulich erledigte).

Bis zu Judiths Tod 1917 blieb Richard Wagner das Zentrum ihres künstlerischen Universums: Sie setzte sich weiter für die Verbreitung seiner Werke ein, organisierte Konzerte und führte jedes Jahr in ihrem Marionettentheater (dessen Figuren sie selbst aus Ton modellierte) für geladene Gäste eine Oper Wagners mit Klavierbegleitung vollständig auf; die Sänger standen hinter der kleinen Bühne. Und die Gäste in ihrem Salon wurden mit dem Thema des Walkürenritts zu Tisch gebeten, das ihr Diener auf der Trompete blies.

 


 

1 Friedrich Nietzsche, Der Fall Wagner, in: Das Hauptwerk, Band 4, München 1990, S. 179-231: 184f.

2 Vgl. Kurt Tucholskys Gedicht Danach: »Es wird nach einem Happy End / im Film jewöhnlich abjeblent« (aus: Zwischen gestern und morgen).

3 S. Padre Filippos Solo »Ein Zauber ist’s« in Eduard Künnekes Operette Wenn Liebe erwacht (II. Akt) (Buch Hermann Haller und Rideamus [eig. Fritz Oliven], 1920). Vgl. auch in Ein Walzertraum von Oscar Straus (Buch Felix Dörmann und Leopold Jacobson, 1907) das Walzerduett (Nr. 7: »Leise ganz leise / klingt’s durch den Raum«): »Glück ohne Ruh’, / Hoffen und Bangen, Liebe, bist du«.

4 Cosima Wagner, Die Tagebücher, Bd. 1: 1869–1877, Bd. 2: 1878–1883, ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München Zürich 1976/77 [im folgenden abgekürzt CWT] hier Bd. 1, S. 495. Vgl. auch Eva Rieger, Minna und Richard Wagner. Stationen einer Liebe, Düsseldorf Zürich 2003, S. 7.

5 Richard Wagner, Mein Leben. Einzige vollständige Ausgabe, hg. von Martin Gregor-Dellin, 2 Bde., München 1969 (durchgehend paginiert). Verweise im fortlaufenden Text, mit Abkürzung ML.

6 Zitiert nach Rieger (Anm. 4), S. 181f.

7 Ebd., S. 238. Die Aussage bezieht sich auf den Frankfurter Tannhäuser.

8 Vgl. die Schlußszene des Rheingold.

9 Daran erinnert sie ihn in einem Brief vom 8. Mai 1850, während der Jessie Laussot-Affaire, vgl. Martin Gregor-Dellin, Richard Wagner. Sein Leben – sein Werk – sein Jahrhundert, 2. Aufl., München / Zürich 1989, S. 304.

10 Rieger (Anm. 4), S. 101; Gregor-Dellin (Anm. 9), S. 299: 21 Jahre.

11 Gregor-Dellin (Anm. 9), S. 299.

12 Ebd., ihre Gesangsstimme sei allerdings »schrill und scharf« gewesen.

13 Zit. nach Rieger (Anm. 4), S. 163f.

14 Zit. ebd., S. 163.

15 Vgl. ebd., S. 196.

16 Gregor-Dellin (Anm. 9), S. 351.

17 Ebd., S. 352.

18 Rieger (Anm. 4), S. 278.

19 Richard Wagner, Tagebuchblätter und Briefe an Mathilde Wesendonck und Otto Wesendonck, Berlin o.J., Seitenzahlen im Text.

20 Gregor-Dellin (Anm. 9), S. 438.

21 Cosima Wagner / Ludwig von Bayern, Briefe. Eine erstaunliche Korrespondenz, Zum ersten Mal vollständig hg. von Martha Schad unter Mitarbeit von Hans Heinrich Schad, München / Zürich 2014, S. 70.

22 CWT Bd 1, S. 997; Doeplers Erinnerungen bei Bernd Zegowitz (Hrsg.), Die ersten Bayreuther Festspiele 1876. Eine Anthologie, Würzburg 2022, S. 55-69.

23 Ebd., S. 65.

24 Ebd., S. 68f.

25 Judith Gautier, Auprès de Richard Wager. Souvenirs (1861-1882), Avant-propos par Gustave Samazeuilh, Paris 1943, S. 30.

26 Ebd., S. 73.

27 Ebd., S. 75.

28 Ebd., S. 88f.

29 Maurice Dreyfous, Ce que je tiens à dire, Bd. 1, Paris o.J., S. 84; zitiert nach Joanna Richardson, Judith Gautier, traduit de l’anglais par Sara Oudin, Mesnil-sur-l’Estrée 1989, S. 35.

30 Am 18. November 1877; Richard et Cosima Wagner, Lettres à Judith Gautier, présentées et annotées par Léon Guichard, Paris 1964, S. 63.

 

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