• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 34 | Herbst 2024
  • S. 8-10

Anton Bruckner & St. Florian

Wie alles begann ... und wo alles endete

Text: Elisabeth Theresia Hilscher

In: Magazin Klassik, # 34 | Herbst 2024, Radio Klassik Stephansdom, S. 8-10 [Hörermagazin]

Nach wie vor kursiert das böse Bonmot von Johannes Brahms, dass „die Pfaffen von St. Florian“ Bruckner „auf dem Gewissen“ hätten. Doch stimmt das? Wer waren „die Pfaffen von St. Florian“? Und wie erlebte der junge Anton Bruckner das Stift als Sängerknabe und als junger Stiftsorganist? Im Bruckner-Jahr 2024 wurde diese in Fachkreisen schon lange monierte Wissenslücke nun durch eine Ausstellung im Stift und eine umfangreiche Publikation geschlossen. Der Bibliothekar des Stiftes, Friedrich Buchmayr, und der Bruckner-Forscher Felix Diergarten haben gemeinsam mit Klaus Heinrich Kohrs, Klaus Petermayr, Christine Tauber und Elisabeth Maier den Katalog zur Ausstellung in den Landeshauptmann-Zimmern des Stiftes St. Florian erstellt, der durch kompakte Essays zum Werdegang Anton Bruckners von den Anfängen bis zu seiner Entscheidung, hauptberuflich den Weg eines Musikers und Komponisten einzuschlagen, zu einer inhaltsreichen Publikation ergänzt wurde.

Wer weiterhin an den liebgewonnenen G’schichtl um Anton Bruckner und dem Mythos um diesen Komponisten festhalten möchte, sollte an dieser Stelle nicht mehr weiterlesen, sondern ganz schnell umblättern. Denn Ausstellung und Buch basieren auf den zahlreichen Quellen im Stiftsarchiv St. Florian, um sich diesem Thema ausgehend von Fakten, Daten und Dokumenten zu nähern. Ähnlich wie im bereits im magazin KLASSIK No. 32, Frühjahr 2024 vorgestellten Bruckner-Buch von Alfred Weidinger und Klaus Petermayr werden auch hier Dokumente gegen die vielfach noch als „Fakten“ angesehenen Behauptungen in der immer noch als „Bruckner-Bibel“ gehandelten Biographie von August Göllerich und Max Auer gestellt – mit teilweise bemerkenswerten Korrekturen und Zurechtrückungen zu den St. Florianer Jahren Bruckners.


Wo alles begann …

Es war eine Welt geprägt von katholischer Aufklärung, Wissenschaft und Kultur, zu der der junge Bruckner als Sängerknabe Zutritt bekam. Auch Lehrer Michael Bogner, bei dem die drei (nicht mehr!) Sängerknaben aufwuchsen, war ein von den pädagogischen Ansätzen Ignaz Felbigers ebenso wie von josephinischem Beamtenethos geprägter Mann. Und es war der Pfarrer von Ansfelden, Joseph Seebacher, der den Knaben Propst Michael Arneth als Sängerknabe empfahl. Natürlich passt die rührselige Geschichte, dass der Sohn unmittelbar nach dem Tod des Vaters von der verzweifelten Mutter quasi im Stift „abgegeben“ wurde, viel besser als Beginn einer künstlerischen „legenda aurea“, doch Geschichte ist oft viel weniger dramatisch. In den Bereich der Legenden ist auch der Topos vom Autodidakten Bruckner einzuordnen; er ist zwar Ingredienz des Genie-Mythos des 19. Jahrhunderts, trifft aber auf Bruckner nicht zu, wie die Fakten eindeutig belegen: Da die Lehrer auch als Organisten, Regentes chori und oft auch Mesner fungierten, wuchs der kleine Anton von Anfang an in diese Lehreraufgaben hinein. In diesem Sinn kam Anton mit Zehn Jahren zu seinem Taufpaten Joseph Weiß nach Hörsching, wo er durch seinen Cousin Johann Baptist ersten Kompositionsunterricht erhielt. Diese musikalische Basis-Ausbildung war auch Voraussetzung für Bruckners Aufnahme als Alt-Sängerknabe in St. Florian durch Propst Arneth. Unter Lehrer Bogner und den diversen Stiftsmusikern konnte Bruckner nicht nur sein Repertoire erweitern, mehrere Instrumente erlernen, sondern auch seine Kenntnisse in Tonsatz so weit professionalisieren, dass er problemlos die Aufnahmsprüfung an die Präparandie (Lehrerbildungsanstalt) in Linz bestehen konnte. Eine Bedingung zur Aufnahme war, dass man „im Orgelspiel so viel Geschicklichkeit besitzen [musste], daß er [der Kandidat] im Stande ist, wenigstens die gewöhnlichen Kirchenlieder fehlerfrei zu spielen, worüber er vor seinem Eintritte in den Lehrercurs eine Probe ablegen muß.“ Aufgrund der oben angesprochenen Mehrfachfunktion der Lehrer zählte auch Kompositionsunterricht zur Ausbildung an der Präparandie, die Anton Bruckner von Oktober 1840 bis August 1841 besuchte. Johann August Dürnbergers Elementar-Lehrbuch der Harmonie und Generalbass-Lehre (Linz 1841) befähigte Bruckner zur Schaffung von typischen „Schullehrer-Kompositionen“ für die Kirche bzw. gefälligen Gelegenheitswerken. Bruckner hat Dürnbergers Werk auch später hoch in Ehren gehalten – es war auch Basis seines Tonsatzkurses für Hörer aller Fakultäten an der Universität Wien. In seine Zeit als Lehrer und provisorischer Stiftsorganist in St. Florian 1845–1855 fallen seine Studien bei Leopold von Zenetti in Enns, die Bruckner durch eine intensive Beschäftigung mit Werken des Florianer Musikarchivs ergänzte (vor allem Michael und Joseph Haydn, Joseph Eybler, Wolfgang Amadé Mozart oder Beethovens C-Dur-Messe); sie prägen den Stil der Missa solemnis von 1854, die jedoch deutlich zeigt, dass Bruckner als Komponist mit einem so großen Werk zu dieser Zeit noch heillos überfordert war. Der große „Sprung vorwärts“, der Bruckners Musik zu „typisch Bruckner“ werden ließ, geschah erst in der Linzer Zeit durch den Unterricht bei Otto Kitzler in den Jahren 1861 bis 1863.

Während der Studiengang als Komponist klar nachvollziehbar ist, bleiben beim Werdegang des Organisten Bruckner doch noch einige Unklarheiten bestehen, v. a. was die in der Literatur so dominant hervorgehobene Improvisationskunst Bruckners auf der Orgel betrifft. Bei der erwähnten Aufnahmsprüfung in Linz 1840 war er offenbar schon ein passabler Liturgie-Organist (wie sich das für einen Lehrersohn und angehenden Lehrer auch gehörte); Stiftsorganist Anton Kattinger, den Bruckner 1850 ablöste, wird den jungen Brucker sicherlich beeinflusst und inspiriert haben – ein Lehrer-Schüler-Verhältnis ist nicht belegt. Dass Bruckner aber die hervorragenden Orgeln von St. Florian ab 1845 offenbar intensiv nützte, um sich als Improvisator weiterzuentwickeln, geht aus den Zeugnissen dieser Jahre hervor. Und ganz selbstbewusst bewarb er sich schließlich als Domorganist in Linz, wo er sicher war, dass er „all’ die armen Schlucker zu Schanden spielen“ würde. Erst im für damalige Begriffe doch bereits reifen Alter von Mitte 40 (dies erklärt, warum es vom Komponisten Bruckner kaum Bilder als Heranwachsendem oder jungem Erwachsenen gibt) beschloss Anton Bruckner endgültig, sich ganz dem Leben als Komponist zu widmen – und zwar als „Symphoniker“ und nicht als Kirchenmusiker (und wenn schon religiöse Werke, dann waren sie von Bruckner mehr für den Konzertsaal gedacht als für die Kirche, wie beispielsweise Te Deum und 150. Psalm). Lange Zeit schien es jedoch so, als würde Anton Bruckner den in dieser Zeit von vielen Komponisten und Dichtern beschrittenen Weg gehen: im Brotberuf Lehrer – im Herzen Komponist / Musiker. Und viele der Persönlichkeiten, die in seiner Kindheit, Jugend und seinem jungen Erwachsenenleben seinen Weg kreuzten, hatten ihm dieses auch vorgelebt: vom Lehrer Michael Bogner an über den Kastner und Stiftsorganisten bzw. Regens chori Franz Schäfler oder den Kanzleidirektor und bei Schuppanzigh in Wien ausgebildeten Geiger Franz Gruber. Und mit der Rückkehr in das Stift 1845 schien dieser Weg auch „auf Schiene gebracht“; die Widmung der Missa solemnis, des ersten großen Werkes des ehrgeizigen Stiftsorganisten, an den nunmehrigen Propst May(e)r verstärkt diesen Eindruck. Mit dem Sprung nach Linz und aus dem engeren Umkreis von Lehrerschaft und Stift begann Bruckners Transformation zu einem neuen Stil, einem neuen Selbstverständnis und zu dem, was in den Wiener Jahren immer mehr zur „Marke Bruckner“ werden sollte – inklusive aller Auffälligkeiten, die von den einen liebevoll als „Schrullen“, von anderen (Brahms) ohne Umschweife als Pathologien bezeichnet wurden. 

Doch zurück zu den „Pfaffen von St. Florian“, die nach Johannes Brahms den „armen verrückten Menschen“ angeblich „auf dem Gewissen“ hätten. Es sei dem Protestanten und Frauenliebling verziehen, dass für ihn katholischen und freiwillig zölibatär lebenden Männern per se etwas Pathologisches anhaftete. Hätte er auch nur einen der Chorherren persönlich kennengelernt, wäre er, der Bildung und Wissenschaft schätzte, wohl zu einem gänzlich anderen Urteil gekommen. Gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts leiteten mit Propst Michael Ziegler und Propst Michael Arneth aufgeklärte „Spät-Josephiner“ und angesehene Wissenschaftler das Stift. Unter ihnen wurde St. Florian zu einem prosperierenden Ort von Wissenschaft und Kunst. Arneth galt als Schulreformer in der Nachfolge Ignaz Felbigers, und die angesehene „Florianer Historikerschule“ unter Franz Kurz und seinen Schülern und Nachfolgern Jodok Stülz, Josef Chmel und Josef Gaisberger war weit über die Grenzen des Landes ob der Enns bekannt. Doch der junge Bruckner scheint von den intellektuellen wie spirituellen Kräften, die im Stift herrschten, erstaunlich wenig mitbekommen und mitgenommen zu haben. An Lehrer Michael Bogner konnte dies nicht gelegen sein, denn dieser passte wie ein Puzzlestein in das intellektuelle Umfeld des Stiftes. Warum Bruckner nicht nur in dieser Zeit, sondern auch in Wien so wenig nach den Tugenden des bürgerlichen Bildungskanons der Zeit strebte, bleibt offen bzw. wird immer mehr zum Fragezeichen, liest man über das Umfeld, in dem sich der junge Bruckner bewegte. Auf jeden Fall sind die Chorherren von St. Florian von jeglicher Schuld an den psychischen „Verwerfungen“ Anton Bruckners freizusprechen. Im Gegenteil: Es hätte dem jungen Bruckner wohl sehr gutgetan und ihn optimal auf sein künftiges Leben vorbereitet, wenn er sich von den hochgebildeten und kultivierten Männern im Stift „ein Scheibchen abgeschnitten“ hätte.


… und wo alles endete

Bruckner, zeitlebens krankhaft geizig, liebte es, sich zur „Sommerfrische“ in Klöster einladen zu lassen (und auf die Einladung legte er großen Wert, garantierte nur diese einen Gratis-Aufenthalt für ihn) – bevorzugter Ort war Stift St. Florian, da hier sein Bruder Ignaz als Gärtner und Kalkant tätig war. Obwohl Anton Bruckner zeitlebens keinen „Kontakt auf Augenhöhe“ mit den Chorherren pflegte (auch nicht, als er Organist des Kaisers, Lektor an der Universität und ein mit Ehrendoktorat und Orden geschmückter Komponist war), inszenierte er seine Beisetzung und seine Grabstätte fürstlich und aufwändiger als die meisten Pröpste von St. Florian. Gleichsam als Adnex zur Ausstellung um den jungen Bruckner und seinen Weg von Ansfelden nach Linz und Wien sind die beiden neugestalteten Gedenkräume und der Vorraum zum Grufteingang zu sehen – und hier schließt sich der Kreis zur Ausstellung über die Anfänge Bruckners in den Landeshauptmann-Zimmern. In den beiden Gedenkräumen (nach wie vor als Appendix der Kaiserzimmer) wurde die Wohnung Bruckners in der Heßgasse, die auf der bekannten Fotoserie ziemlich genau abgebildet ist, nachempfunden; die bisher in diesen Räumen vor sich hinstaubenden Kranzschleifen und „Devotionalien“ zu Tod, Einsegnung und Beisetzung Bruckners wurden – von einigen Stücken abgesehen – entweder in den Gruftvorraum transferiert oder diskret ins Depot geräumt. So sind zwei freundliche Räume mit Originalmöbeln und Bildern aus Bruckners Wohnungen entstanden, in denen nur das Notenchaos und das Klavier (dieses steht nun frisch restauriert und wieder spielbar in den Landeshauptmann-Zimmern) fehlen – als wäre Bruckner nur kurz weggegangen (vielleicht um wieder lieben jungen Mäderln den Hof zu machen?). Für den Gruftvorraum wurde eine Dokumentation zum Ablauf der sehr aufwändig und keineswegs den christlichen Tugenden modestia und humilitas entsprechenden Verabschiedung in Wien und Beisetzung in St. Florian gewidmet. Denn wenn er sich schon im Leben immer zurückgesetzt gefühlt hat, wollte Bruckner doch wenigstens im Tod „jemand sein“. Und die Inszenierung des Sargs auf dem höchsten Sockel in der Gruft und vor den unzähligen Gebeinen aus einer frühchristlichen Nekropole hätte kein Hollywood-Regisseur besser hinbekommen. Ob dieser „Inszenierung“ ist wohl auch Richard Wagner auf seiner Wolke erblasst …

 

Buchtipp

Friedrich Buchmayr und Felix Diergarten (Hg.) Anton Bruckner & St. Florian. Wie alles begann.
Verlag Müry Salzmann ISBN: 978-3-99014-258-5 39,00 EUR