- Magazin Klassik
- Radio Klassik Stephansdom
- # 34 | Herbst 2024
- S. 24-26
Musik ähnlich einer Traumnovelle
Heinz Winbeck (1946-2019). Gedanken über einen großen Unbekannten der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts
Text: Christoph Wellner
In: Magazin Klassik, # 34 | Herbst 2024, Radio Klassik Stephansdom, S. 24-26 [Hörermagazin]
Es war im Zuge eines Interviews mit Dennis Russel Davies am Ende seiner Linzer Zeit, da der Name Heinz Winbeck zum ersten Mal gefallen ist: „Hören Sie sich seine 5. Symphonie an, hier wird Bruckner ins 21. Jahrhundert geführt!“ Gesagt, getan. Fasziniert! Dann längere Zeit keine Gedanken an Winbeck. Später war es Georg Trakl und sein Gedicht „Grodek“, das eine weitere Spur aufgetan hat, hatte Heinz Winbeck doch seine 3. Symphonie nach diesem Gedicht benannt und es in dieser Komposition verarbeitet. Wer war dieser Heinz Winbeck?
Geboren 1946 in Piflas/Landshut, begann er 1964 mit seiner musikalischen Ausbildung in München, die er 1973 mit dem Staatsexamen abschloss. Er arbeitete als Schauspielkomponist, erhielt 1980 einen Lehrauftrag an der Münchner Musikhochschule, ging mit einem Stipendium ein halbes Jahr nach Paris und wirkte von 1988 bis 2010 als Professor für Komposition an der Universität in Würzburg. 1991 erwarb er mit seiner Frau Gerhilde den Pfarrhof Schambach bei Riedenburg, der bis zu seinem Tod im März 2019 sein Domizil bleiben sollte.
„Ich bringe buchstäblich nur das zu Papier, was, würde ich es nicht tun, mich zersprengte“, hat Heinz Winbeck über sein Schaffen gesagt. Viele Werke hat er nicht hinterlassen, aber jede Komposition ist „Endpunkt einer langen, intensiven Auseinandersetzung des Künstlers mit sich selbst, der Welt und der Musikgeschichte“, schreibt Norbert Florian Schuck im Beiheft der aktuellen CD Lebensstürme über Winbeck. Es sei daher nur logisch, dass Winbeck zu jenen Komponisten gehört, in deren Werkverzeichnis sich keine „Nebenwerke“ oder „Gelegenheitsstücke“ finden.
Seine fünf Symphonien und vier Streichquartette sind sicherlich seine Hauptwerke. Er selbst schreibt am 1. August 1985 in sein Tagebuch: „Niemand versteht, warum ich nur noch Sinfonien und Streichquartette schreiben will. Ich auch nicht. Was zwingt mich eigentlich, mich genau dieser Anforderung zu stellen?“
An dieser Stelle sei – dem Bruckner-Jahr 2024 geschuldet – auf die 5. Symphonie eingegangen. Komponiert in den Jahren 2009/2010 wurde sie 2011 unter der Leitung von Dennis Russel Davies mit dem Brucknerorchester Linz uraufgeführt. Der volle Name der Symphonie erklärt ihr Programm: „Jetzt und in der Stunde des Todes“. Drei Fragmente unter Verwendung von Motiven insbesondere des Finales der 9. Symphonie von Anton Bruckner für Orchester. Zur Entstehung sagte der Komponist: „Tatsächlich habe ich mich während mehrerer Jahre mit diesem vermessenen Gedanken getragen, mich in die Strukturen im Werk Bruckners und das hinterlassene Material hineingearbeitet, auch mit den bereits vorhandenen kompositorischen Versuchen (Versuchungen?) auseinandergesetzt – das Ergebnis: Es ist unmöglich. Gründe liegen für mich in der Redlichkeit im Umgang mit dem fragmentarischen Material, im Respekt vor der Unberechenbarkeit von Bruckners Genie, in der Vergeblichkeit anmaßender Stückelung eines vollendeten Lebens und Schaffensprozesses.“ Die drei Sätze dieser Symphonie tragen sprechende Titel: 1. Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget, 2. Komm, Heiliger Geist und entzünde und 3. Jetzt und in der Stunde des Todes.
In einem ausführlichen Interview, das Heinz Winbeck dem Bayerischen Rundfunk gegeben hat, sagt er über seine 5. Symphonie: „Meine Musik ist einer Traumnovelle ähnlich. Es ist, als ob die Partikel der Musik ungeordnet durch den Raum fliegen und sich in einer völlig neuen Ordnung wieder zusammenfinden. Aber in einer Ordnung, die schon ein bisschen etwas Jenseitiges hat. Ich unterwerfe mich nicht der Spekulation, wie Bruckner diesen Satz vollendet hätte, aber ich habe mir gesagt: ‚Wenn schon Spekulation, dann gleich richtig spekulieren!‘ Ich habe mir also die Frage gestellt, was Bruckner in seiner letzten Lebensstunde oder in seiner letzten Minute oder im Augenblick des Todes gemacht, gedacht, getan hätte. Was könnte sich da abgespielt haben? Die Frage hat mich wahnsinnig fasziniert! Letztlich ist mein ganzes Stück ein Versuch, eine Antwort auf diese Frage zu finden.“
Der Arbeitstitel der Komposition hieß: In Bruckners Kopf. Winbeck hat gesagt, dass er durch die intensive Beschäftigung mit Bruckner schon so gesprochen hätte, so gegangen sei wie Bruckner. Dann hätte er festgestellt: „Ich habe ein ganz ähnliches Leben wie Bruckner.
Ich komme aus einfachen, ländlichen Verhältnissen. Die katholische Kirche hat mich von Kindheit an geprägt. Messdiener, Organist, Chorleiter … Ich habe 20 Jahre lang praktisch mein halbes Leben in der Kirche verbracht. Ich glaube, das ist auch notwendig, um den Geist von Bruckner zu verstehen und daran weiterzuarbeiten!“
Heinz Winbeck imitiert den typischen Bruckner-Klang wenig, zitiert (angeblich) auch nur in 4 von 1.237 Takten Bruckner wörtlich, schafft aber dennoch eine faszinierende Brücke von Bruckner ins Heute und lässt uns in die Zukunft blicken: Nikolaus Harnoncourt sagte über die 9. Symphonie von Anton Bruckner, sie sei „eine Antenne ins 20. Jahrhundert“. Heinz Winbeck hat die Signale dieser Antenne empfangen und sie in die Zukunft ausgerichtet.
PS: Vor kurzem wurde die letzte Komposition von Heinz Winbeck auf CD veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein „Quodlibet mit und nach Musik von Franz Schubert für Singstimme (Bariton oder Mezzosopran), Klavier und Kammerorchester“ mit dem Titel Lebensstürme. Uraufgeführt wurden die Lebensstürme im Februar 2011, der Mitschnitt mit dem Sinfonieorchester Basel, Martin Achrainer und Maki Namekawa unter der Leitung von Dennis Russel Davies im November 2012 wurde nun bei Sonus Eterna veröffentlicht. Dieses knapp einstündige Werk verbindet in genialer Weise Lieder und Klavierstücke von Franz Schubert und lässt einen völlig neuen Klangkosmos entstehen. Ein Werk von bezaubernder Schönheit und mitreißender Dramatik.
CD-Tipp
Heinz Winbeck
Lebensstürme
Sinfonieorchester Basel, Dennis Russel Davies, Martin Achrainer (Bariton), Maki Namekawa (Klavier)
Sonus Eterna EAN – 4260398610175
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