- Der Barbier von Sevilla
- Erzgebirgische Theater und Orchester
- Großes Theater, Saison 2024/25
- S. 8-9
Wovon träumt eine Frau?
Text: Shira Szabady
In: Der Barbier von Sevilla, Großes Theater, Saison 2024/25, Erzgebirgische Theater und Orchester, S. 8-9 [Programmheft]
Das zentrale Thema meiner Inszenierung ist die weibliche Selbstbestimmung. Ich erzähle deshalb Rossinis Oper aus der Perspektive Rosinas, als Traum und innere Reise. Es werden hierbei die patriarchalen Rahmenbedingungen, in denen sich die Heldin bewegt und denen sie zu entkommen versucht, hinterfragt. Dieser Grundgedanke bildet den roten Faden meines Konzepts.
Die Oper beginnt mit dem Ende des großen Junggesellinnenabschieds Rosinas. Sie bleibt danach allein mit sich, mit ihren Ängsten und Fragen: Ist die Heirat wirklich die richtige Entscheidung? Wird sie durch diesen großen Schritt ihre heißgeliebte Freiheit verlieren?
Da Rosina viel getrunken hat, fühlt sie sich müde und schläft ein – ihr Traum und die Musik Rossinis beginnen. Eine riesige Hochzeitstorte taucht auf. Aber statt Freude bereitet sie Rosina eher Unbehagen, der Gedanke an die Hochzeit wird immer beängstigender. In ihrer Unruhe fällt ihr Blick auf die Marzipanfigur des Bräutigams auf der Torte. Diese Marzipanfigur wird, wie wir später noch sehen, lebendig werden und ist niemand anderes als Almaviva, der Rosinas große Sehnsucht nach dem perfekten Mann, der sie auf Händen trägt, symbolisiert.
Plötzlich erscheint eine Tür und eröffnet Rosina einen Fluchtweg – die Möglichkeit, dem bedrückenden Gedanken an die Hochzeit zu entkommen. Einmal hindurchgetreten findet sich Rosina in ihrer eigenen inneren Welt, die aussieht wie eine überdimensionale Spielzeugkiste und gefüllt ist mit Gegenständen und Stofftieren aus ihrer Kindheit. Dies gibt ihr Sicherheit, ist Schutzraum. Doch kaum hat sie sich umgesehen, wird diese vermeintlich heile Welt unheimlich. Eine riesige Stoffratte erwacht zum Leben – es ist Bartolo. Einst eine niedliche Plüschmaus, ist Bartolo jetzt der bedrohliche, böse Geist der Spielzeugschachtel. Er ist Rosinas Begrenzung, sperrt sie ein und verhindert immer wieder, dass sie flieht. Diese groteske Figur symbolisiert die tiefsten Ängste Rosinas, das Gefühl, durch die Ehe für immer gefangen zu sein. Bartolo verkörpert dabei den schlechtesten möglichen Bräutigam der Welt.
Figaro ist die „männliche“ Märchenfee unseres Spiels und wird als klassischer Arlecchino in Erscheinung treten. Er verkörpert die gute Seele der Spielzeugkiste, die Rosina beisteht und ihr hilft, ihre Träume zu verwirklichen, ihre Freiheit zu erkämpfen. Er steht auch für anarchische Energie, Lebenslust und Spontanität.
Der Ort des Geschehens, Sevilla, wird als Figaros Spielbrett dargestellt, zu dem nur er die Würfel hält und mit denen er das Leben in der spanischen Stadt bestimmt. Basilio, Berta und Ambrosio treten als Teil dieser Spielzeugwelt auf: Basilio in Form einer Aufziehfigur, die beiden Diener als klassische Wackelkopffiguren.
Doch die Welt um Rosina verändert sich rapide. Ihre Spielwelt beginnt zu schrumpfen, wird kleiner und immer enger. Rosina steht nun endgültig vor der wohl wichtigsten Entscheidung ihres Lebens: Bleibt sie in der kindlichen Welt oder wagt sie den Schritt hinaus – in die Realität? Kann sie sich von den patriarchalen Erwartungen an sie und von ihrem Glauben an das Ideal von der großen Liebe befreien?
Diese Fragen werden in diesem Text noch nicht, wohl aber in dieser Inszenierung verraten.
- Quelle:
- Der Barbier von Sevilla
- Erzgebirgische Theater und Orchester
- Großes Theater, Saison 2024/25
- S. 8-9
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