• Die gelbe Lilie
  • Erzgebirgische Theater und Orchester
  • Rarität. Deutsche Erstaufführung, Saison 2025/26
  • S. 8-15

Die Notwendigkeit, die Lücken zu schließen

Regisseur Christian von Götz im Gespräch mit Dramaturg Lür Jaenike

Text: Lür Jaenike

In: Die gelbe Lilie, Rarität. Deutsche Erstaufführung, Saison 2025/26, Erzgebirgische Theater und Orchester, S. 8-15 [Programmheft]

Mit „Die gelbe Lilie“ präsentiert die ETO eine große Operette von 1934 als Deutsche Erstaufführung. Wie kommt es, dass dieses auch musikalisch so spannende Werk erst jetzt in Deutschland zur Aufführung kommt?

Der Komponist Michael Krasznay-Krausz, Schüler von Kodály und Studienkollege von Paul Abraham war jüdischer Abstammung. Nach großen Erfolgen in Berlin in den 20ern, z. B. 1927 mit „Eine Frau von Format“ mit Fritzi Massary in der Hauptrolle, musste Krasznay-Krausz 1933 vor den Nazis nach Wien fliehen, wo er 1934 die „Lilie“ herausbrachte. Es gab auch eine ungarische Fassung, die sich von der Wiener Fassung in einigen Details unterschied. Ab 1938 nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland wurden auch in Wien keine Werke jüdischer Komponisten gespielt. So erging es der „Lilie“ wie so vielen Werken jüdischer Künstler. Von Nazi-Deutschland wegrasiert ging das Werk in der Nachkriegszeit verloren.

Aber wie bist du auf das Stück gestoßen? Der Komponist Michael Krasznay-Krausz kommt weder in Volker Klotz’ Standardwerk zur Operette noch in „Musik in Geschichte und Gegenwart“ vor?

Vor einigen Jahren habe ich auf einer alten Fritzi Massary-LP ein Stück gefunden, das mir sehr gefiel. Es hieß „Nebenbei“. Weder Komponist noch Werk waren genannt. Nach einigen Recherchen, die damals tatsächlich noch schwieriger waren, als sie jetzt (nach unserer Kölner „Frau von Format“) sind, hatte ich zwar den Namen und das Werk, aber kein Material. Nach ewigem Suchen bekam ich aus Mailand von Ricordi einen alten zerfledderten Klavierauszug und später einen Scan des alten frakturgeschriebenen Textbuchs. Das war „Eine Frau von Format“, die ich an der Oper Köln mit Annette Dasch in der Hauptrolle mit großem Erfolg herausbringen konnte. Danach habe ich weiter gegraben und in Amsterdam ein Textbuch der Wiener Fassung von „Die gelbe Lilie“ gefunden. Aber ein Klavierauszug war nirgends zu finden. Nicht bei Ricordi und nicht in den üblichen Archiven. Michael Krasznay-Krausz war Ungar und hatte seine letzten Lebensjahre nach der Flucht aus Wien 1938 wieder in Budapest verbracht. Ich dachte mir, dass es dort im Stadtarchiv etwas geben müsste. Da hätte aber nur ein Muttersprachler bei der Recherche eine Chance. Deshalb bat ich einen Freund, den ungarischen Dirigenten Gábor Káli, nach Budapest zu reisen, um nach der „Lilie“ zu forschen. Das hat er gemacht und er fand tatsächlich im Staatsarchiv einen Original Klavierauszug der ungarischen Fassung. Natürlich ausschließlich auf Ungarisch und zum Teil handschriftlich. Den hat er komplett abfotografiert und mir geschickt. Dieses Material war der Ausgangspunkt für meine Arbeit und Planung. Moritz Gogg, dem ich den Fund zeigte, hat dann als Erster zugeschlagen.

Später hat der Verlag „Musik und Bühne“ noch Orchestermaterial zur „Lilie“ auf dem Dachboden gefunden.

Ja, Gott sei Dank. Somit spielen wir ca. 80 Prozent Original und ca. 20 Prozent ist von Markus Teichler stilecht nachinstrumentiert.

Und das Textbuch bleibt original?

Nein, so arbeite ich nicht. So wichtig es mir ist, dass die Musik bei diesen Operetten-Ausgrabungen möglichst original erklingt – also in historischer Aufführungspraxis sozusagen – so wichtig ist es meiner Meinung nach, an den Textbüchern zu arbeiten und ggf. Hand anzulegen. Das hat damit zu tun, dass die Originalbücher einerseits oft gesellschaftskritische Themen zwar anreißen, aber nicht durchführen, andererseits zeitgeschuldete, chauvinistische oder frauenfeindliche Inhalte haben, die ich nicht inszenieren will. Insofern habe ich für die „Lilie“ das Textbuch so bearbeitet, dass ich die Geschlechterbilder emanzipatorischer und die Frauenfiguren feministischer gezeichnet habe. Das habe ich durch die zum Teil gegenderte Besetzung noch verstärkt.

Und was ist mit der Widerstandsthematik? Ist die im Original angelegt?

Sagen wir so: Die Widerstandsgeschichte ist in einer allgemein gehaltenen Form im Werk angelegt. Da ich die biografische Situation des Komponisten als jüdischer Künstler im Naziregime und im Weltkrieg in das Werk spiegeln wollte, auch weil diese Situation ja ganz ursächlich damit zusammenhängt, dass das Werk vergessen wurde, habe ich diese in der Stückvorlage von Lajos Bíró und im Originallibretto von Karl Farkas sehr allgemein gehaltene politische Geschichte zu einer Erzählung zum jüdischen Widerstand in Ungarn und Österreich nach dem „Anschluss“ 1938 zugespitzt.

Und das ungewöhnliche Ende der Buffo-Figur Max von Hessen?

Ist Inszenierung und steht auch in diesem Kontext.

Wenn ich mir Deine Arbeiten der letzten Jahre anschaue, fällt mir auf, dass Du nahezu systematisch eine Rarität nach der anderen ausgräbst. Interessieren Dich „Csárdásfürstin“ und „Gräfin Mariza“ gar nicht?

Doch, ich habe große Freude an diesen Werken, vor allem an Kálmán, aber ich überlasse das Inszenieren der klassischen Operetten vorerst gern Anderen. Ich finde, dass es tatsächlich immer noch eine Notwendigkeit ist, die Lücken zu schließen, die die Nazidiktatur im Genre gerissen hat. Die Arbeit an diesen Ausgrabungen hat oft den Charakter einer Forschungsreise, und das ist regielich in jeder Hinsicht eine Wohltat.

Unabhängig von der musikhistorischen Dimension – was gefällt Dir so gut an den Stücken von Michael Krasznay-Krausz?

Es sind die Kontraste, die die Werke von Krasznay-Krausz für mich so aufregend machen: Auf der einen Seite haben wir noch die anarchischen Schlager aus den 20er Jahren, die Wildheit und den Tanz auf dem Vulkan, damit verbunden ist der freche Komödien-Wahnsinn, den es mit dem Ensemble freizusetzen gilt. Auf der anderen Seite stehen die starken dramatischen Stellen von Musik und Handlung, die oft folkloristisches Kolorit haben, aber auch – z. B. im 2. Teil der „Lilie“ – an Richard Strauss oder Kodály erinnern. Ich liebe an diesen Kontrasten, dass sie mich als Regisseur einladen, immer wieder die Narration zu hinterfragen: Ist das jetzt Traum oder Wirklichkeit, Happy End oder Märchen, ungarischer Sommernachtstraum oder Vorspiel zu einem Pogrom? Die Stücke von Krasznay-Krausz machen viele Türen gleichzeitig auf. Und man muss aushalten, dass sich am Ende nicht alle wieder schließen.

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