Südböhmisches Theater in Česky Krumlov

Schiele und der Messias

In Böhmisch Krumau treffen Händels «Messias» und Egon Schiele mit Gesang und Ballett aufeinander und verzaubern in einer besonderen Spielstätte, in der sich nicht die Bühne, sondern das Publikum dreht

Klaus Kalchschmid • 22. August 2023

Im Krumauer Schlosspark befindet sich eine einzigartige Drehtribüne (Otáčivé hlediště) © Libor Sváček

Zwei bemerkenswerte Theater besitzt das kleine, traumhaft schöne, um eine enge Moldau-Schleife in Südböhmen gelegen Česky Krumlov, vormals Krum(m)au: Das kleine Barocktheater von 1766 am Ende des weitgespannten Schloss-Berg-Areals mit immer noch funktionsfähiger Maschinerie, die man wie das Theater bei einer englischsprachigen Führung besichtigen kann. 13 original erhaltene Bühnenbilder können sich dank dieser alten Bühnentechnik in wenigen Sekunden vom Wald in einen Palast, von einem Garten in ein Gefängnis verwandeln – wie vor über 250 Jahren.

Noch weiter oberhalb, am Ende des barocken Schlossgartens, gibt es seit 1959 ein sogenanntes „Revolving Theatre“. Dabei kann sich die Zuschauertribüne ziemlich schnell drehen und ebenfalls in wenigen Sekunden einen Szenenwechsel herstellen. Anfangs war die Konstruktion aus Holz und wurde durch die Muskelkraft von 50 Soldaten bewegt. Schon wenig später wurde ein elektrischer Antrieb installiert und die Kapazität auf über 600 Plätze erweitert. In diesem Sommer gab es ein Egon-Schiele-Ballett und einen exzellenten szenischen «Messiah». Gesungen wurde live mit Mikroports, auch das Orchester spielte vor Ort in einem kleinen Lustschlösschen, das einen der vier Schauplätze darstellte, an die sich das Auditorium drehen lässt, und wurde über eine exzellente Soundanlage übertragen.

Dass es dieses Jahr – wie schon im letzten Sommer – Georg Friedrich Händels Oratorium «Mesiáš» gab, wie «Messias» auf Tschechisch heißt, im englischen Original und sehr geschickt auf zwei pausenlose Stunden gekürzt, ist nicht zuletzt dem schönen Zufall zu verdanken, dass Händel exakt am gleichen Tag, dem 22. August 1741, mit der Komposition seines Oratoriums begann, als Joseph I. Adam von Schwarzenberg, Schlossherr in Česky Krumlov, Hochzeit feierte und in den Fürstenstand versetzt wurde. So wird die Geschichte von Jesus, seinem Leben und Sterben, dem 9-jährigen Adam von seinem Vater erzählt, aber auch von einem Mann, der eine Art Hohepriester darstellt, von Jesus selbst und einem Engel, der Sopran singt. Alles kommt mit allem zusammen, die Chöre werden bereichert von hervorragend choreographiertem klassischem Ballett – vor allem vor dem und auf den Treppen des Lustschlosses. Denn auf dichtem, feuchtem Gras lässt es sich verdammt schwer elegant und leichtfüßig Pirouetten drehen.  

Ein echtes Lustschlösschen dient szenischen Aufführungen als einer von vier Schauplätzen, in diesem Fall von Händels «Messiah» © Martina Root

Die Solisten des Südböhmischen Theaters aus České Budějovice (Budweis) singen enorm stilsicher und präzise in der Intonation, sind sie doch auch in jedem Herbst beim alljährlichen Barockfestival im Schlosstheater von Česky Krumlov engagiert. Bei den vielen Szenenwechseln gibt es dank toller Lichtregie, die die riesigen Bäume sehr schön räumlich gestaffelt in Szene setzt, immer wieder große Effekte. Auch der Wettergott hatte ein Einsehen und das prophezeite Gewitter löste sich buchstäblich in warme Luft auf.

Das war bei der Premiere des Tanztheaters „Egon Schiele – Selbstporträt“ anders, aber der feine Schnürlregen erzeugte wohl nach Berichten von Augenzeugen eine besonders mystische Atmosphäre. Bei der Dernière herrschte dann trockenes Wetter und viele Grillen zirpten leidenschaftlich. Aber auch so wurde der Abend à la Kafka, den ein fahrender Händler mit einem großen (Lebens-)Rad, der den Tod darstellte, ein Grusical. Von der Sinnlichkeit des Malers, der im Alter von 28 Jahren kurz nach seiner Frau an der Spanischen Grippe starb, war freilich eher wenig zu sehen, abgesehen von einem „Pas de Trois“ dreier Männer mit nacktem Oberkörper über buntem Rock, wie man ihn auf vielen Bildern Schieles sehen kann, oder einem durchaus erotisch angehauchten Pas de deux zweier Männer. Die minimalistisch geprägte, sehr rhythmisch pointierte Musik von Petr Kaláb kam diesmal vom Band, die Choreografien besorgte Jan Kodet. Aber die Sound-Anlage ist exzeptionell und beschallt immer das Auditorium direkt, auch über die vielen Szenenwechsel hinweg.

Mehr von der Ambivalenz und der erotischen Kunst Egon Schieles erfährt man im nach ihm benannten „Art Center“, in dem es neben Ausstellungen zeitgenössischer Künstler zwar nur Hinterglas-Reproduktionen einiger seiner Gemälde mit Motiven aus Krumau zu sehen gibt, aber auch etliche Briefe, die selbst entworfenen Möbel seiner Wiener Wohnung, Fotos und Druckgrafik. Wie Schiele gelebt und gearbeitet hat, kann am besten erspüren im Gartenhaus, das er 1911 mit Wally bewohnte und in dessen Erdgeschoss heute ein Café zum Verweilen einlädt. Geht man durch die kleinen, original ausgestatteten Räume mit Wohnküche und Schlafzimmer, ist sein Geist plötzlich ganz nahe, auch wenn hier heute, politisch korrekt, weibliche Aktfotos einer Frau ausgestellt sind.

Auch getanzt wird in dieser schmucken Kulisse. In diesem Jahr zeigte man das Tanztheater „Egon Schiele – Selbstporträt“ © Pavel Hejný

Vor der Wende verfiel das schöne, traumhaft im Grünen gelegene Städtchen, das Egon Schiele mit seinen malerischen kleinen Häuschen auf vielen seiner Gemälde verewigt hat, zunehmend. Diese Bilder nennen sich etwa „Die Kleine Stadt I-V“, „Alte Häuser in Krumau“ (1914) oder „Krumauer Landschaft“ (1916) und zeigen das Stadtbild noch ein wenig chaotischer und kantiger, aber auch noch bunter als es zumindest heute ist. Unter kommunistischem Regime gab es weder das Geld noch die Absicht, dem Verfall etwas entgegen zu setzen. Das war vielleicht ein Glück, denn so wurde auch nichts abgerissen und neu gebaut.

So konnten seit den 1990er Jahren die Häuser, deren exzellente Bausubstanz die Jahrhunderte überdauert hatte, allesamt renoviert werden. In dreien von ihnen, die nebeneinander liegen und deren Ursprünge auf das 15. Jahrhunderts zurückgehen, ist gleich beim Hauptplatz um die Ecke das „Hotýlek U Malého Vítka – Hotel zum kleinen Vitek“ untergebracht. Die großen Zimmer sind liebevoll restauriert, mit Dielenboden und auch sonst viel Holz. Dank der niedrigen Decken ist es urgemütlich und so genießt man das feine Flair des Städtchens noch im Schlaf.


„Egon Schiele – Selbstporträt“
Jihočeské divadlo (Südböhmisches Theater) ∙ Drehtribüne (Otáčivé hlediště), Česky Krumlov

Kritik der Aufführung am 13. August 2023 

«Messiah» – Georg Friedrich Händel
Jihočeské divadlo (Südböhmisches Theater) ∙ Drehtribüne (Otáčivé hlediště), Česky Krumlov

Kritik der Premiere der Wiederaufnahme am 17. August 2023
Termine: 22./23./24./25./26./27. August

 

Zum Thema

JIHOČESKÉ DIVADLO (SÜDBÖHMISCHES THEATER)
Link zur Internetseite

SÜDBÖHMISCHE ZENTRALE FÜR TOURISMUS
Link zur Internetseite

CZECHTOURISM (Tschechische Zentrale für Tourismus)
Link zur Internetseite