Nachruf

Ein grandioser Dauerläufer

Stephen Gould erlag am Dienstag seiner erst im August bekanntgegeben schweren Krebserkrankung. Bei den Bayreuther Festspielen zählte er zu den Marathonkräften. Und nicht nur dort

Jens Voskamp • 21. September 2023

Stephen Gould © Johannes Ifkovits

Stephen Gould wurde 1962 in der Industriestadt Roanoke im Herzen des US-Staats Virginia geboren. In seinem Elternhaus stand Musik immer im Zentrum. Goulds Mutter war Konzertpianistin, der Vater ein Methodistenpfarrer. Nach dem College nahm er in Boston seine musikalische Ausbildung auf und wurde das, was stimmbegabte Sänger in den Vereinigten Staaten in der Regel zuerst werden: Musicaldarsteller. Acht Jahre tourte er in verschiedensten Produktionen, darunter in Webbers «Das Phantom der Oper», bevor er seinen Fachwechsel zum Heldentenor in die Tat umsetzte. An der Lyric Opera in Chicago erarbeitete sich Gould erste Partien und debütierte dort als Florestan in Beethovens «Fidelio».

Rasch entdeckte die Opernwelt den Sänger mit dem tragfähigen Timbre und einem ausgesprochenen Langstrecken-Vokaltemperament, dass Gould wie gemacht für das Wagner-Fach war. 2001 übernahm er in Bayreuth als Melot («Tristan und Isolde») seine erste Aufgabe, der zahlreiche weitere folgen sollten. Auch seine Qualitäten als Einspringer sollte Gould immer wieder unter Beweis stellen. In «Ring»-Produktionen wurde er nun quasi Dauergast, etwa als Siegfried in Wien oder München oder zwischen 2006 und 2008 in Tankred Dorsts etwas unentschlossener Deutung bei den Wagner-Festspielen. 2004 übernahm er die Titelpartie im «Tannhäuser» auf dem Grünen Hügel und stellte sich erstmals an der Wiener Staatsoper vor.

Gould verliebte sich in die Donaumetropole, machte sie sie zu seinem europäischen Hauptwohnsitz. Die Staatsoper am Ring wiederum profitierte von Goulds Einsätzen auch bei Verdi (etwa als Othello), Britten (Peter Grimes) oder Richard Strauss (sei es als Kaiser in «Frau ohne Schatten» oder Bacchus in «Ariadne auf Naxos»). 2015 zeichnete man ihn mit dem Ehrentitel als Österreichischen Kammersänger aus. Im selben Jahr verkörperte er die Titelrolle in Katharina Wagners «Tristan»-Inszenierung im Bayreuther Festspielhaus. Hier wagten Kritiker allerdings einzuwenden, dass Gould dem Isolden-Liebhaber zwar stimmlich gewachsen war, aber mit seiner monochromen Darstellung der Rolle schauspielerisch einiges schuldig blieb. Dabei war die Akribie und Unbedingtheit bewundernswert, mit der Gould in das Wagner-Fach eindrang. Für ihn war klar: Wer Wagners Sprache verstehen will, muss in ihrem Umfeld leben. Eine rein phonetische Aneignung war seine Sache nicht. Große Erfolge feierte Gould denn auch zwischen 2019 und 2022 in der Tobias Kratzers Erfolgsproduktion des «Tannhäuser», wo er erneut als Rompilger bei den Bayreuther Festspielen im Einsatz war. 

Auch 2023 war er für diese Partie vorgesehen, musste aber auf dringenden Rat seiner Ärzte krankheitsbedingt absagen. Ein Dauerlauf war nicht mehr möglich. Kurz nach dem Ende der Festspiele gab der 61-Jährige dann ein bestürzendes Statement ab: Man habe bei ihm unheilbaren Gallengangkrebs festgestellt mit einer weiteren Lebensperspektive von nur wenigen Monaten. Und doch fand er die Größe, eine Liebeserklärung an das Festival auszusprechen: „Ich bin Bayreuth dankbar, dass ich hier alles gelernt habe, was ich über die Aufführung der Werke dieses großen Musikers zu wissen hoffte.“ Und weiter: „Ich habe nichts als Freude und Bewunderung für das immerwährende Streben der Werkstatt nach Exzellenz“. Er wird uns fehlen.